Udo Sträter / Johannes Wallmann in Zusammenarbeit mit Klaus vom Orde (Hg.): Philipp Jakob Spener
Udo Sträter / Johannes Wallmann in Zusammenarbeit mit Klaus vom Orde (Hg.): Philipp Jakob Spener. Briefe aus der Frankfurter Zeit 1666–1686,Band 7: 1684–1685, Tübingen: Mohr Siebeck, 2019, Ln., XXXV+716 S., € 199,–, ISBN 978-3-16-159115-0
Mit Band 7 der Briefe Philipp Jakob Speners (1635–1705) aus seiner Zeit als Senior der lutherischen Geistlichkeit in Frankfurt am Main schließt sich nun fast die Lücke zu den bereits edierten Briefen aus seiner Dresdner Zeit. Wie das Vorwort (V–VI) des Herausgebers Udo Sträter ankündigt, werden zeitnah ein achter und letzter Band der spenerschen Briefe aus der Frankfurter Zeit (erstes Halbjahr 1686) sowie weiterer undatierter, „aber eindeutig in die Frankfurter Zeit“ (V) gehörender Briefe folgen, ebenso ein Sachindex zu allen edierten Briefen, die Spener in den 20 Jahren (1666–1686) seines Wirkens in Frankfurt verfasste und die zugleich Anfang und Fortgang des lutherischen Pietismus zeigen. Im vorliegenden Band sind 148 Briefe aus den Jahren 1684 und 1685 erstmals bzw. neu historisch-kritisch ediert, im bisherigen Modus (thematische Einleitung; Edition der lateinischen und deutschen Briefe mit Adressat, Datum, Inhaltsangabe und ergänzenden Informationen im Anmerkungsapparat; Register) und in der von der Editionsreihe stets gebotenen Qualität.
Die Briefe aus den Jahren 1684–85 führen in eine Zeit, die in der Forschung bisher wenig Beachtung fand, in der sich Spener aber persönlichen, innerlichen und äußerlich-politischen Anfechtungen ausgesetzt sieht. Das Jahr 1685 wird zu Recht von Klaus vom Orde in seiner sachkundigen Einleitung (XI–XXI) als „Krisenjahr“ (XXI) Speners bezeichnet. In diesen beiden Jahren muss sich Spener auf persönlicher Ebene sowohl mit dem Separatismus in seinem Freundeskreis auseinandersetzen als auch mit einer langwierigen Erkrankung im Frühjahr 1685, die ihm nach eigenen Angaben 30 Wochen lang das Predigen nicht erlaubte. Speners Ablehnung des Separatismus wird in seiner Schrift Der klagen über das verdorbene Christenthum mißbrauch und rechter gebrauch, die im Herbst 1684 erscheint und auf die er mehrfach in den Briefen zu sprechen kommt, deutlich, ebenso in seiner systematisch-theologischen Darstellung der lutherischen Lehre (Evangelische Glaubensgerechtigkeit, 1684). Deren Entstehung spiegelt sich ebenfalls in der Korrespondenz wider. Vor allem aber richten sich seine Briefe in diesen zwei Jahren an ausgesprochen viele unterschiedliche, bekannte und erstmalige, Korrespondenten. Thematisch sprechen die Briefe neben der persönlichen Auseinandersetzung mit Separatismus und Krankheit auch religionspolitisch wichtige Entwicklungen (römisch-katholische Reunionsversuche, die Verfolgung der Hugenotten und Unterdrückung der linksrheinischen Gebiete durch den französischen König Ludwig XIV.), theologische Diskussionen (z. B. über Jakob Böhme oder die Molinisten) und immer wieder Themen der pastoralen Praxis (Beichte, Taufe, Abendmahl) sowie Fragen der Besetzung geistlicher Ämter an. Viele dieser Themen begegneten bereits in den Briefen der vorausgehenden Jahre; doch deutet Spener die als negativ verstandenen Entwicklungen hier explizit als endzeitliche Krisen, gibt aber die Hoffnung auf Erneuerung und Reform der Kirche und der Geistlichen nicht auf.
Zwei Beispiele sollen sowohl die neue Problematik der persönlichen Betroffenheit durch den Separatismus als auch – als Grundzug der spenerschen Briefe – das Bemühen um geistlich erneuerte Theologen illustrieren. Spener zeigt sich in seiner fortgesetzten Korrespondenz mit Johann Wilhelm Petersen (1649–1727) empört über das Verhalten der Frankfurter Separatisten, das er als „scandala Francofurtensium amicorum“ (Brief vom 16. und 18. April 1684, Nr. 16, Z. 219f.) bezeichnet, und erklärt ebenfalls gegenüber Petersen im Herbst 1685, dass er leider keine Hoffnung mehr habe, seinen Freund und pietistischen Mitstreiter Johann Jakob Schütz (1640–1690) vom separatistischen Weg abzubringen (Brief vom 3. November 1685, Nr. 123, Z. 22ff.). Gegen diese innere Gefährdung der pietistischen Bewegung durch den Separatismus hält Spener fest an einem Heilmittel, das er seit seiner Programmschrift Pia Desideria (1675) immer wieder empfiehlt, an einer Erneuerung aus dem Wort Gottes und durch gottgefällig lebende Geistliche. So finden sich auch in diesen Jahren wiederholt Briefe an Professoren und Studenten der Theologie, die das Studium der Schrift und einen entsprechenden Lebenswandel einschärfen. Im Juni 1684 schreibt Spener an den ihm persönlich bekannten Theologiestudenten Nicolaus Berg aus Reval und betont ihm gegenüber erneut, dass die Exegese im Zentrum eines Theologiestudiums stehen müsse („ut […] Exegetica ante omnes alias species primatum suum obtineret“, Brief vom 6. Juni 1684, Nr. 25, Z. 18–20). Für Spener sind Schriftstudium und Schriftauslegung der Weg („sola via“, ebd.) des rechten Theologiestudierens. Daher gilt es, so Spener an einen anderen Theologiestudenten, „sich vor allem in dem studio biblico zu gründen“ (Brief vom Frühjahr 1685, Nr. 86, Z. 22f.).
Die Briefe aus den Jahren 1684–85 geben schließlich auch einen Einblick in das Selbstverständnis Speners, der sich nach fast 20 Jahren Dienst in Frankfurt und 10 Jahre nach Erscheinen der Pia Desideria nicht als Reformator, sondern nur als „Stimme“ versteht, „dadurch einige auffgewecket worden“, und ergänzt: „aber von selbsten etwas zu thun und anderen anzuführen, bin ich viel zu schwach: Sondern wo der Herr unserer kirchen noch mehr heyl zuerzeigen bestimmet, daß sie neben der wahren lehr auch zu besserem stand kommen solte, müssen es gantz andere männer seyn als ich“ (Brief vom Frühjahr / Sommer 1684, Nr. 38, Z. 366ff.). Ungeachtet der demonstrativen Bescheidenheit eilt Spener ein Ruf voraus, der ihn ab Juni 1686 in das Amt des Oberhofpredigers am sächsischen Kurfürstenhof führt. Die – zurückhaltende – Antwort Speners auf eine erste Anfrage für dieses Amt durch Veit Ludwig von Seckendorff ist ebenfalls im Band enthalten (Brief vom 29. Mai 1684, Nr. 22).
Auch der siebte Band der Briefe aus der Frankfurter Zeit ist eine Pflichtlektüre für Pietismus-Forscher und an dieser Reformbewegung Interessierte. Die Briefe zeigen das weitgespannte Korrespondenz-Netzwerk Speners, sein theologisches Denken und kirchlich-politisches Handeln und sind darüber hinaus eine wichtige Quelle der Kirchen- und Kulturgeschichte der 1680er Jahre.
Dr. Ulrike Treusch, Professorin für Historische Theologie an der Freien Theologischen Hochschule Gießen