Altes Testament

Michael S. Heiser: Demons

Michael S. Heiser: Demons. What the Bible Really Says about the Powers of Darkness, Bellingham/WA: Lexam Press, 2020, 321 S., US $ 17,60, ISBN 978-1-68359-289-1

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Michael Heiser ist ein amerikanischer evangelikaler Alttestamentler. Seit seiner PhD-Dissertation 2004 an der University of Wisconsin-Madison zum Thema The Divine Council in Late Canonical and Non-Canonical Jewish Literature hat er zahlreiche wissenschaftliche Beiträge und eine Reihe Bücher zu dem Themenfeld Gott, Götter und jenseitige Welt veröffentlicht, zuletzt drei einander ergänzende Bände: The Unseen Realm. Recovering the Supernatural World of the Bible (2015), Angels. What the Bible Really Says about God’s Heavenly Host (2018) und den zu besprechenden Titel. Charakteristisch für die drei Bände ist, dass sie als Lehrbücher eine breitere Leserschaft ansprechen, die gleichzeitig die wissenschaftlichen Diskussionen in teilweise ausführlichen Fußnoten mitzuvollziehen bereit ist. Der Band Demons listet im Anhang in der „Selective Bibliography“ über 350 Titel. Neben einem Stichwort- und Personen- (11 S.) sowie einem Bibelstellenverzeichnis (14 S.) erfreut besonders auch eine Übersicht (8 S.) der zitierten deuterokanonischen Quellen, alttestament­lichen Pseudepigraphen, Qumrantexte, verschiedener ANE-Texte und jüdischer (Philo, Josephus, Talmud, Targume) sowie altkirchlicher Schriften und neutestamentlicher Apokryphen.

Das Buch gliedert sich nach einer Einleitung in vier Teile. Im Teil I (1–58) werden sorgfältig die Begriffe geklärt, die Bedeutungen der im AT verwendeten Lexeme, ihre Übersetzungen in der LXX und aramäischen Schriften sowie ihre oft nuancierte Verwendung in der zwischentestamentlichen Literatur, die wiederum als Denkraum der neutestamentlichen Schreiber relevant ist. Die sehr differenzierte Vorgehensweise, bei den verwendeten Begriffen und Themen den jeweiligen kulturellen Kontext mitzudenken, zieht sich durch alle Kapitel. Das steht in deutlichem Kontrast zu dem heute oft recht groben Gebrauch des Wortes „Dämon“ als Sammelbegriff für alle bösen nichtirdischen Mächte und eröffnet teilweise über­raschende Einsichten.

Im Teil II (113 S.) geht es um die Mächte der Finsternis, wie sie im AT erwähnt und im Judentum des Zweiten Tempels rezipiert sind. Während das Denken heutiger Christen weitgehend nur einen Sündenfall kennt, ging nach Heiser das Judentum der neutestament­lichen Zeit von drei kosmischen Rebellionen aus. Neben dem Auftritt der Schlange in Gen 3 tritt die Vermischung der Göttersöhne mit Menschen in Gen 6,1–4 dazu sowie als drittes Ereignis das Gericht über die Völker in Zusammenhang mit dem Turmbau zu Babel in Gen 11, jeweils mit eigenen weitreichenden Implikationen für die Menschen. Die drei Rebellionen werden ausführlich dargestellt und diskutiert. Der Ur-Rebell in Eden, dem Garten, wo Gott wohnt, ist als Schlange kein zoologisches, vielmehr ein kosmisches Wesen, dessen Auftreten in Eden als dem Wohnbereich Gottes (Tempel) kaum ungewöhnlich sein kann. Sein Verhalten dient später als Folie zur Charakterisierung der Hybris der Könige von Tyrus (Hes 28) und Babel (Jes 14). Erst im NT firmiert der kosmische Rebell unter dem Namen Satan, im AT ist das Wort mit bestimmtem Artikel (in Hiob 1–2; 1Chr 21,1; Sach 3,1–2) nicht als Name, sondern als eine Rollenbeschreibung zu lesen.

Zur zweiten kosmischen Rebellion in Gen 6,1–4 verweist Heiser auf die Rezeption des Ereignisses im NT (Jud 6; 2Petr 2,4–5), deren Aussagen von der Verbannung der „Engel in Ketten“ an einen Ort der Finsternis ihre Wurzeln nicht in dem Text der Genesis, wohl aber in der Henochliteratur haben, die als Quelle genannt ist (Jud 14). Für die urgeschichtliche Darstellung bezieht sich Heiser u. a. auf Arbeiten von Amur Annus (JSP, 2010) und (J. C. Greenfield, „apkallu“, in DDD, 2014), die Gen 6,1–4 als Parallele und Polemik zu den apkallu-Erzählungenin der Keilschriftlitertur lesen. Darin vermitteln die apkallu alsniedere Götter den Menschen Kenntnisse, die sie zu den großen kulturellen Leistungen Mesopotamiens befähigen, auch Magie, Sterndeutung und andere Zauberkünste. Nicht alle Götter sind damit einverstanden und bestrafen sie. Aber als bewunderte und berühmte Kulturspender werden apkallu-Tonfiguren in die Fundamente von Häusern vergraben und wohl wegen ihrer Amulettfunktion als „Wächter“ bezeichnet. Gen 6,1–4 polemisiert dagegen und erklärt aus der Vermischung von Göttlichem und Menschlichem die ungeheuerliche Bosheit, deretwegen die Sintflut kommt. Der Begriff „Wächter“ bezeichnet auch in der Henochliteratur die niederen „Göttersöhne“ von Gen 6. Dies deutet an, dass ihre Schreiber neben der Bibel auch mesopotamische Traditionen kannten. Aus der Verbindung der Göttersöhne mit Menschen in Gen 6 stammen die Nephilim, Mischwesen mit göttlichen und menschlichen Anteilen, deren Nachkommen mit den Enakim (Geschlechter von Riesen) und den Rephaim (Geister im Totenreich) in Verbindung stehen. Nach der Henochliteratur entweichen bei dem Tod der Nephilim ihre Geister als Dämonen oder „unreine Geister“, ein Begriff, der nicht auf kultische Unreinheit, sondern auf ihren Charakter der verbotenen Mischung von Göttlichem und Menschlichem verweist. Dieser in den Evangelien häufig verwendete Ausdruck für geistige Wesen, die Menschen u. a. mit Krankheiten quälen, hat in diesen Zusammenhängen seine Wurzeln. Die Dämonen sind in Ketten gebannt, aber nicht alle. Einige stehen auch dem Urrebellen, Satan, zu Diensten.

Zur dritten kosmischen Rebellion in Zusammenhang Gen 11 bezieht Heiser Dtn 32,8 und Ps 82 ein. Er spricht von einer kosmischen Geographie, die auch u. a. in Dan 10,13.20–21 sichtbar wird. Heiser sieht diese aufgenommen in der paulinischen Redeweise von Fürstentümern und Gewalten, Autoritäten der unsichtbaren Welt. Dies wird ausführlich entfaltet im Teil III des Buches, der sich den neutestamentlichen Aussagen zuwendet, zu drei Rebellionen: der Teufel, böse Geister, regierende Mächte.

Abschließend thematisiert Teil IV allgemeine Fragen und Missverständnisse christlicher Tradition, wie u. a. den Hintergrund der ziegenartigen Darstellung des Teufels. Engel im AT sei eine „Job-Beschreibung“, kein einziger Engel in der Bibel hat Flügel, Dämonen auch nicht. Die Idee, dass Satan mit einem Drittel der Engel gefallen sei, lässt sich nach Heiser nirgends belegen. Die einzige Erwähnung eines Drittels „der Sterne“ – wenn himmlische Wesen, dann eher gute Geister wie Dan 8,10 – in Offb 12,4 stehe in Zusammenhang mit der Geburt des Messias. Er diskutiert u. a. Fragen von Besessenheit, dem Wissensstand der Geister, „spiritual warfare“ und die Erlösungsfähigkeit von Geistern. Es gelingt Heiser in diesem Buch hervorragend, das Thema mit großer Klarheit und Breite zu entfalten. Ausgehend von den biblischen Aussagen als Grundlage erläutert er sie auf der Höhe der wissenschaftlichen Diskussion. Die Lektüre im Kontext der jeweiligen zeitgeschichtlichen Kulturen berücksichtigt Informationen, die nicht ausdrücklich in der Bibel erwähnt sind, als Hintergrund für das Verständnis der Texte aber erhellend bzw. notwendig sein können. Dass dabei in Einzelfragen gleichzeitig weiter Diskussionsbedarf besteht, schmälert nicht den großen Wert der Darstellung.


Dr. Herbert H. Klement, Prof. em. für Altes Testament an der STH Basel und der ETF Leuven