Jim W. Adams: The Performative Dimensions of Rhetorical Questions in the Hebrew Bible
Jim W. Adams: The Performative Dimensions of Rhetorical Questions in the Hebrew Bible. Do You Not Know? Do You Not Hear?,LHBOTS 622, London / New York, NY: T&T Clark, 2020, Hb., XIV+292 S., € 115,90, ISBN 978-0-5676-9558-1
Der Verfasser, „Professor of Bible and Theology“ an der Life Pacific University (Kalifornien), legt hiermit eine zweite sprachwissenschaftliche Monographie in pragmatischer Ausrichtung, angewandt auf alttestamentliche Texte, vor (vgl. zuvor: The Performative Nature and Function of Isaiah 40–55, LHBOTS 448, New York/NY, London: T&T Clark, 2006). Die Studie zeichnet sich dadurch aus, dass sie die relevante linguistische und sprachphilosophische Forschungsdiskussion gründlich aufarbeitet und in die Analyse einbezieht. Die Lektüre ist entsprechend nicht leicht. Dem Leser wird zugemutet, sich zunächst rund 180 Seiten lang in die komplexen Sachverhalte zu indirekten Sprechakten und der performativen Dimension von rhetorischen Fragen (= rF) einzuarbeiten, bevor auf rund 90 Seiten die Applikation mit ausgewählten Beispielen aus dem hebräischen AT erfolgt. Wer jedoch den langen Anmarschweg auf sich zu nehmen bereit ist, wird erkennen, wie reichhaltig Sprache ist und wird zur pragmatischen Textdimension manches lernen können.
In der Einleitung wird zunächst eine Auslegungsordnung der in die Thematik involvierten Fragestellungen und wichtiger Begrifflichkeit vorgenommen und die Anlage der Studie vorgestellt. Erste biblische Beispiele von rF werden kurz präsentiert, z. B. Ps 27,1 (rF = kursiv):
JHWH, mein Licht und meine Rettung! / Vor wem sollte ich mich fürchten? //
JHWH, Schützender meines Lebens! / Vor wem sollte ich Angst haben? //
Im ersten Hauptteil geht es darum, Rahmen, Einordnungen und Implikationen innerhalb der Sprechakte abzustecken und insofern Grundlagen für die Äußerungsform von rF zu legen. Diese gehören in die Kategorie der indirekten Sprechakte: Syntakto-semantische Satzaussage (what is said) und pragmatische Satzbedeutung (what is meant) sind nicht deckungsgleich. Kurz gesagt: RF sind Fragen, aber stellen keine Fragen. Der kommunizierte Bedeutungsgehalt der Äußerung ergibt sich aufgrund von kontextuellen Signalen (Implikationen), über die der Adressierende das intendierte Verstehen derart steuert, dass es von den Adressaten entsprechend wahrgenommen und geteilt wird. Für die Aufschlüsselung muss der Adressat zuerst die wörtliche Aussage verstehen, um danach aufgrund des kommunikativen Kontexts die indirekte (nicht-wörtliche), beabsichtigte Aussage erschließen zu können (pragmatischer Prozess).
Der zweite Hauptteil ist den rF und ihrer Funktion und Wirkweise gewidmet. Diese stellen Hybride dar: Zwar wird eine Frage gestellt, aber keine „offene“, sondern eine, die eine implizite und exklusiv gewollte „Antwort“ mit sich führt. Mit rF werden vornehmlich Feststellungen (Assertiva) angezielt, die gegenüber der Frage eine polare Umkehrung beinhalten. Sie wirken in ihren Kontexten allerdings multifunktional; es können mit ihnen weitere Momente zu Aussage und Wirkung gebracht werden. Mit einer rF will der Adressierende den Adressaten dazu bringen, einem Sachverhalt zuzustimmen: „With any type of RQ [= rhetoric question], the ultimate intention aims at synchronizing the beliefs and commitments of both addressers and addressees.“ (187) Als mit den rF verwandte Kategorie klassifiziert Adams das Verstehen von Fragen, die eine bestimmte Antwort nahelegen bzw. befördern (conducive questions), z. B. Gen 3,9; 1Sam 10,24. Anders als bei rhetorischen Fragen wird bei dieser Äußerungsweise der Frage-Charakter bis zu einem gewissen Maß beibehalten und pragmatisch nicht wie bei rF in offensichtliche Antworten transformiert.
Im dritten Hauptteil wird die Performanz von rF an ausgewählten Beispielen untersucht. Die Aussagepotenz wird in unterschiedlicher Ausführlichkeit für folgende Belege erörtert: Gen 4,9; 30,2; 41,38; 50,19; Ex 3,11; 5,2; 15,11; Jes 40,12–31; Ps 8,5; 27,1; 35,10; 71,19; 77,14; 88,11–13; 89,7–9.49; 113,5–6; 144,3–4; Hi 7,17–18; 15,7–10 (ein Teil dieser Gruppe lässt sich als Unvergleichlichkeitsaussagen klassifizieren). Ich greife die bekannte Aussage von Ps 8,5 heraus: Adams hält zunächst fest, dass die rahmenden מה-Sätze (Ps 8,2.10) nicht als Interrogativa, sondern als Exklamativa („Wie herrlich …!“) aufzufassen sind. Die – formal gesehen – gleiche Partikel מה erscheint zudem im thematischen Zentrum des Psalms (V. 5). Wie diese Äußerung aufzufassen ist, wird in der Forschung kontrovers diskutiert. Gemäß Adams handelt es sich bei dem Bikolon um parallele rF, „which infers a negative illocutionary assertion: Human beings are nothing special for Yahweh to pay such conscientious attention to!“ (237, kursiv vom Verfasser). Ps 8,5 ist pragmatisch nicht nur eine Feststellung (Assertiva), sondern vermittelt zugleich eine starke Beteiligung des Sprechenden (Expressiva und Emotiva).
Der Band schließt mit einer Zusammenfassung. Beigegeben sind Bibliographie sowie Stellen- und Autoren-Indices. Angesichts der für Bibelwissenschaftler anspruchsvolle Lektüre hätte etwas mehr Leserfreundlichkeit gutgetan: eine bessere Strukturierung und angesichts der Abkürzungen für linguistische Sachverhalte (diese erscheinen nur beim ersten Vorkommen in Klammern) ein Glossar oder jedenfalls Verzeichnis derselben (samt Seitenangaben, wo im Buch die Erklärungen gegeben werden). Insgesamt ist der Theorieanteil gegenüber den Texterläuterungen für eine bibelwissenschaftliche Monographie etwas gar dominant. Wer sich in die linguistisch-pragmatische Materie einarbeitet, kann aber daraus Gewinn ziehen – nicht zuletzt für eigene exegetische Studien. Es wäre wünschbar wie vielversprechend, auf fundierter Theoriebasis über die ausgewählten Stellen hinaus biblische Äußerungen in den Blick zu nehmen. Ich denke an tabellarische Zusammenstellungen und Tiefenbohrungen entlang ganzer Bibelbücher (hier läge Stoff für einige Dissertationen). Wichtig für die Bestimmung von Argumentationsführung und Redepragmatik sind die sorgfältige Erfassung von Gehalt, Funktion und Wirkung von Fragen – direkten und indirekten (rhetorischen und solchen, mit denen präferierte Antworten angesteuert werden). Die Studie von Adams bietet zudem einen Ausgangspunkt, über theoretische und methodische Sachverhalte weiter nachzudenken und sie gegebenenfalls weiterzuführen. Die Differenzierung zwischen rhetorical und conducive questions und ihre biblische Anwendung verdiente weitere Überlegungen. Wünschbar wäre auch eine Sortierung biblischer Fragepartikel und der Einbezug derjenigen Fälle, wo keine Markierung als Frage vorliegt, aber vom Kontext her sich die Einstufung einer Äußerung als (rhetorische) Frage aufdrängt (bekanntes Beispiel: der Schluss der Jona-Schrift, Jon 4,11). Persönlich hätte ich gerne nicht nur etwas zu Ps 77,14 (rF als Unvergleichlichkeitsaussage), sondern auch zur Fragestaffel V. 8–10 im gleichen Psalm gelesen: Handelt es sich um echte oder rhetorische Fragen? Oder – wie ich in meiner Dissertation andeute (Psalm 77 und sein Umfeld, BBB 103, Weinheim: Beltz Athenäum, 1995, 92–94, 108–111) – wechselt ihre pragmatische Funktion im Verlauf des Psalms (V. 11ff.) aufgrund der Aussageentwicklung von echten zu rhetorischen Fragen? Insgesamt: Eine empfehlenswerte Studie, weniger für Proseminare und Studierende als für Doktorierende und Dozierende, die sich um Verstehen und Wirkweise von Bibeltexten, insbesondere solche mit Äußerungen im Fragemodus, bemühen.
Beat Weber, Pfr. Dr. theol., Basel; Research Associate am Department of Ancient and Modern Languages and Cultures, Universität Pretoria, Südafrika