Altes Testament

Walter Dietrich: Samuel. 2 Samuel 9–14

Walter Dietrich: Samuel. 2 Samuel 9–14,BKAT VIII/4, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2021, geb., 460 S., € 100,–, ISBN 978-3-525-50353-9

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Wieder legt Walter Dietrich, emeritierter Professor für Altes Testament an der Universität Bern und einer der führenden Experten zu den Samuelbüchern, ein beeindruckendes Tempo vor: Bereits nach zwei Jahren folgt mittlerweile der vierte umfangreiche Band zu den Samuelbüchern. Da Vandenhoeck & Ruprecht die üblichen Einzellieferungen der Reihe BKAT eingestellt hat, entschloss sich Dietrich den nächsten, ursprünglich bis 2Sam 20 zum Ende der „Vita Davids“ reichenden Band aufzuteilen. Der vierte Band kommentiert 2Sam 9–14 „Davids Krisis“ (1).

Nach den für die Reihe üblichen Literaturangaben und -nachträgen beginnt Dietrich mit einem kurzen Überblickskapitel zu 2Sam 9–14 (1–13). Dietrich behandelt hier zwei Fragestellungen: In synchroner Sicht verortet er diese sechs Kapitel im näheren und weiteren Kontext des Samuelbuches (4–7) und in diachroner Perspektive behandelt er Leonhard Rosts These, dass 2Sam 9–14 Teil einer Thronfolgegeschichte sei (7–13). Während Dietrich Letzteres verneint (11), geht er von verschiedenen Quellen aus. So sei der Grundbestand von 2Sam 13–19 auf eine alte Novelle zurückzuführen (12), die der Gesamtverfasser von 1Sam 1 – 1Kön 12, der Höfische Erzähler, für sein Meisterwerk verwandt habe (13). In synchroner Perspektive sieht er 2Sam 9–14 als „ein zentrales Scharnierstück der Davidsgeschichte“ (7) an, die mit 2Sam 5–7 und 9–14 ihren „Kulminations- und Wendepunkt“ (7) erreiche.

Der grundsätzliche Befund der Rezension zu Dietrichs drittem Samuelband hat sich nicht geändert: Nach der eigenen Übersetzung und intensiven Diskussion der Textkritik finden sich ausführliche synchrone und vor allem erzähltechnische Analysen unter „Form“. Die diachrone Verortung, die Dietrich vor allem im Abschnitt „Ort“ ausführt, ist wie in den früheren Bänden von der Göttinger Schule geprägt. Leser, die an Dietrichs diachronen Deutungen weniger interessiert sind, können diese Seiten überspringen, ohne dass dies im Lesen der Einzelverskommentierung („Wort“) hinderlich wäre. Hier könnte sogar der Eindruck entstehen, dass die komplexen Textentstehungsmodelle für die Kommentierung keine große Relevanz besitzen – wenngleich unter „Ort“ manche spannende Beobachtung zu finden ist. Für die Reihe BKAT mag hier äußerst positiv überraschen, wie prägend sich die erzähltechnische Analyse in den Abschnitten „Form“ und „Wort“ auswirkt. Sehr positiv hervorzuheben sind dabei generell der flüssige Stil und die Strukturiertheit von Dietrichs Ausführungen. Wie bereits in den früheren Bänden beeindruckt Dietrichs umfangreiche Wiedergabe der Wirkungsgeschichte unter „Ziel“.

Die durch den monumentalen Umfang des Bandes (460 S. zu 2Sam 9–14) ermöglichte umfassende Analyse ist ein wahrer Schatz für jeden, der sich intensiv mit den Einzeltexten auseinandersetzen möchte. Zugleich wird ein guter Überblick über die bisherige Forschung gewährt, in der selbst konservativere Positionen immer wieder mal genannt werden. Insbesondere die Wiedergabe anderer Interpretationen in Petit-Abschnitten – bspw. zu weiterführenden Fragen und Deutungen von 2Sam 11 und dessen Wirkungsgeschichte (178–196) – weist eine Fülle von wertvollen Perspektiven auf. Am ertragreichsten dürften dabei Dietrichs intensive synchronen Analysen („Form“) sein, die ein besonderes Augenmerk auf die Erzähltechnik legen: Allein zu 2Sam 11,2–25 werden auf den S. 104–131 die Struktur, direkte Reden, Leitwörter & Wortspiele, Zeitstruktur, Darstellungen von Urijas Tod, Leerstellen, Charaktere und intertextuelle Bezüge beleuchtet. Seine Deutung bleibt dabei wohltuend differenziert: So wirkt Urija auf der Textoberfläche ehrbar und prinzipientreu, wobei es möglich erscheint, ihn in seiner Herausforderung des Königs ambivalenter zu betrachten (124). Die kompakte Wiedergabe einer Vielzahl von Interpretationen im folgenden Petit-Abschnitt (124–125) hilft dem Leser anhand der Forschung seine eigene Meinung zu bilden.

Lesern außerhalb der akademischen Welt – besonders Pastoren, theologisch versierten Laien in der Predigtvorbereitung u. Ä. – erschwert der große Umfang den Gebrauch allerdings erheblich: Allein zu 2Sam 11,2–25 findet sich Material auf über 100 Seiten (90–196), wenngleich dieser Befund durch Dietrichs gelungene Struktur (vgl. Petit-Abschnitte usw.) etwas abgemildert wird. Dieses Problem ist allerdings kein spezifisches Phänomen von Dietrichs Samuelkommentaren, sondern trifft auch auf viele neuere Kommentare zu.

Der breite Horizont der Wirkungsgeschichte zum Christen- und Judentum, zur Kunst, Musik und Literatur („Ziel“) zeigt wertvolle Perspektiven auf. Auch in diesem Band ist vor allem Flavius Josephus ein ständiger Gesprächspartner. Daneben bedient sich Dietrich eines breiten Spektrums. Positiv hervorzuheben ist hier die exemplarisch aufgeführte afrikanische Rezeption von 2Sam 14,1–33 (448–449) mit ihren anregenden Impulsen. Insgesamt kann auch der vierte Samuelband klar empfohlen werden. Dietrichs beeindruckende Kenntnis der Forschung und Wirkungsgeschichte sowie seine ausführlichen erzähltechnischen Analysen bereichern die Forschung ungemein.


Christian Hilbrands, Doktorand an der Theologischen Universität Kampen, Niederlande