Altes Testament

Judith E. Filitz: Gott unterwegs

Judith E. Filitz: Gott unterwegs. Die traditions- und religionsgeschichtlichen Hintergründe des Habakukliedes (Orientalische Religionen in der Antike 36), Tübingen: Mohr Siebeck, 2020, Leinen, 571+XIV S. + 13 Abb., € 144,–, ISBN 978-3-16-159265-2

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Dem zu besprechenden Buch liegt eine von Prof. Dr. Angelika Berlejung betreute und 2018 von der Theologischen Fakultät der Universität Leipzig angenommene Dissertation zugrunde. Darin wird das Habakuklied (Hab 3) über dessen gesamten Wachstumsprozess hinweg bis zur Endfassung interpretiert. Dabei liegt ein besonderes Gewicht auf detaillierten Analysen der traditions- und religionsgeschichtlichen Hintergründe der rekonstruierten, ältesten Fassung des Habakukliedes, wodurch der Wert der sehr zu empfehlenden Arbeit weit über ihren Beitrag für die Habakuk-Forschung hinausgeht.

Judith E. Filitz stellt in Kapitel 1 Vorgehen und methodische Schwerpunkte dar und bietet in Kapitel 2 Übersetzung und textkritische Anmerkungen (39 Seiten!) des in jeglicher Hinsicht herausfordernden Textes von Hab 3.

In Kapitel 3 skizziert sie nach einem forschungsgeschichtlichen Überblick zum Habakukbuch und seiner Entstehung zunächst ihre These zum mehrstufigen Wachstum von Hab 1–2 und dann zur Entstehung von Hab 3. Demnach hat Hab 1–2 seinen Ursprung in einer Klage über soziale Missstände in Juda in spätvorexilischer Zeit, die (hier vereinfachend) aus Hab 1,2–3.12–13; 2,5–16 rekonstruiert werden. Unter dem Eindruck der anrückenden Babylonier wird darin mit der Hinzufügung von Hab 1,5–11.12b JHWHs Antwort gesehen. Als sich mit den Erfahrungen des Exils die Grausamkeit Babylons zeigt, werden die sozialkritischen Wehe-Worte in 2,5–17 so ergänzt, dass sie nun als Worte der Völker über Babel zu verstehen sind. Ist daneben und unabhängig davon der ursprüngliche Kern des Habakukliedes im Umfang von Hab 3,*3–12 entstanden, und später um Vv.4b.6c.11a* ergänzt, wird dieses schließlich sowohl unter Ergänzungen in Hab 3 (Vv.2.7a.16a.b.18–19b) als auch in Hab 1–2 (1,11b; 2,14.20) mit dem anwachsenden Habakukbuch verknüpft. Filitz nimmt dann eine punktuelle Ergänzung im Habakuklied (Hab 3,*13–15) sowie eine Erweiterung durch Hab 1,1*.6b; 2,3; 3,16c–17 an, die im Zusammenhang mit der Entstehung des Zwölfprophetenbuches insbesondere der engen Relation zu Joel sowie Nahum und Zefanja steht. Liturgisch relevante Ergänzungen in Hab 3 (Charakterisierung als „Bittgebet“ in Hab 3, der Schlussvers und die Ergänzungen des Selah) führen zur jetzt vorliegenden Gestalt des Habakukbuches. 

Das so ermittelte älteste Habakuklied wird in Kapitel 4 auf die darin enthaltenen Traditionen und Motive und ihre alttestamentlichen und religionsgeschichtlichen Hintergründe untersucht. In diesem Zuge zeigt sich, dass mehrere Motive aus dem alttestamentlichen Hintergrund heraus kaum erklärbar sind. Dazu zählt Filitz insbesondere die Götter Rešef und Deber als Begleitpersonal JHWHs (Hab 3,5), JHWHs Fahrt auf den Pferdewagen (Hab 3,8) und der Verweis auf die miṭṭu-Waffen (Hab 3,9).

Im weiteren Verlauf geht Filitz der Frage nach, wie die Traditionen und Motive im ältesten Habakuklied zu alttestamentlichen Theophanietexten (Kap. 5) und zu Prozessionen im Alten Testament und insbesondere im akītu–Fest in der mesopotamischen Umwelt (Kap. 6) in Beziehung stehen, wobei die Ausführungen zur akītu–Prozession regelrecht eine Monographie innerhalb der Monographie darstellen (132 S.!). Kapitel 6 mündet mit einer Zusammenstellung sowohl der Motive von Hab 3, die sich nach Filitz am ehesten aus Anlehnungen an die akītu–Prozession verstehen lassen, als auch der Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen Prozessions- und Theophaniemotiven in die These, im Umfang des ältesten Habakuliedes (Hab 3,*3–12) seien Motive aus der babylonischen akītu–Prozession mit Theophaniemotiven verbunden worden.

Kapitel 7 fasst die Ergebnisse der Arbeit zusammen in Bezug auf die zeitlichen (entweder unter Nabonid oder Darius I.) und räumlichen (in der Nähe zur Stadt Babylon) Umstände der Entstehung des Habakukliedes (7.1) sowie in einer substantiellen theologischen Erschließung des Liedes in Bezug auf acht Facetten der Gegenwart Gottes (Königtum, Mobilität, Gewalt, Heil, Tempeltheologie, Universalismus, Gegenüber, Ereignis; 7.2) und überprüft die Annahme der in 4 Stufen erfolgten redaktionellen Ergänzungen zum ursprünglichen Habakuklied auf ihre Stellung zum Thema der Gegenwart Gottes hin.

Abgeschlossen wird das Buch durch Literaturverzeichnis und fünf Register (Wort‑, Stellen-, Personen- und Figuren-, Orts-, Sachregister).

Zunächst ist das Buch von J. Filitz ein wichtiger Beitrag für die Habakukforschung. Hier sollte und wird es vor allem für die Interpretation von Hab 3 die Referenz darstellen, mit der ausführlichen Diskussion der Übersetzung und der Textkritik (Kap. 2) ebenso wie mit der hervorragenden, detaillierten Klärung der verarbeiteten Motive und Traditionen, die Filitz aus der intensiven Prüfung möglicher Bezüge zur Umwelt (Syrien, Mesopotamien, Ägypten) und anderen atl. Texten gewinnt (Kap. 4). Für redaktionsgeschichtliche Fragestellungen werden sowohl der Vorschlag zum Textwachstum innerhalb von Hab 3 als auch die Berührungen zwischen Hab 1–2 und Hab 3 (zu einer anderen Deutung siehe aber unten) Berücksichtigung finden, während die Überlegungen zur Entstehung von Hab 1–2 bereits vorliegenden Studien nahestehen.

Sodann berührt die Studie einige Fragen zur Entstehung des Zwölfprophetenbuches, wobei die vorsichtigen Abwägungen zu den Beziehungen zwischen Nah 1,2–8 und Hab 3 (Abschnitt 3.3.7, 75–77) besondere Beachtung verdienen (Trotz der Ähnlichkeiten sind die Unterschiede im Detail doch so deutlich, dass Nah 1,2–8 nicht gezielt mit Blick auf Hab 3 verfasst wurde, 76).

Vor allem aber stellt die Arbeit eine wichtige Orientierung für die Bestimmung und Charakterisierung von „Theophanietexten“ im Alten Testament – und somit auch für damit in Verbindung stehende Themen der Theologie des Alten Testaments – dar. Filitz bietet dazu nicht nur wichtige Kritikpunkte gegen frühere Darstellungen, die Theophanie im Rahmen einer Kulterfahrung, als Gattung oder mit problematischer Konzentration auf ein inhaltliches Element deuteten, sondern unterscheidet zwischen narrativen und poetischen Theophanietexten und bestimmt letztere als Motivkomplex, in dem JHWHs Herrschaft und Macht sich in dessen Ortsveränderung ausdrücken und zu dem die Motive Bewegung, Lichteffekte, Wetterphänomene, (Chaos-)Kampf und Kosmosreaktionen in unterschiedlichen Kombinationen je nach Funktion als konstituierende Elemente gehören (Kap. 5).

Damit erhellt die vorliegende Studie schließlich von der Interpretation von Hab 3 und seiner traditions- und religionsgeschichtlichen Hintergründe her mit der Königsherrschaft JHWHs, Aspekten der Gegenwart JHWHs, Heil, Tempeltheologie, Gewalt bzw. Chaos-Kampf JHWHs etc. wichtige Themen alttestamentlicher Theologie.

Gerade weil die Studie so gründlich erarbeitet ist sowie viele Methoden, Texte und Kontexte berücksichtigt, regt sie auch zu Nachfragen an. Sicher weiterer Reflexion bedarf die Frage, wie angemessen die Unterscheidung zwischen narrativen und poetischen Theophanietexten ist, wenn in beiden vorkommende Motivkomplexe wohl das Entscheidende für ihre Identifikation sind.

Bedenkt man die zeitlich und räumlich weite Verbreitung sowohl des akītu-Festes als auch des Enuma Eliš in Mesopotamien, dass Filitz für einige Züge der Parallelen zwischen Hab 3 und akītu-Prozession eher auf die neuassyrischen Varianten zurückgreift (z. B. K 1356) als auf neubabylonische und die Rešef-Gottheit (Hab 3,5) eher im syrisch-phönizischen Raum von Bedeutung ist, ließe sich für das angenommene unabhängige Habakuklied auch an andere Entstehungsszenarien als im babylonischen Exil denken (Nordreich in neuassyrischer Zeit?).

Inwiefern überhaupt die Rekonstruktion eines ursprünglich unabhängigen Habakuk­liedes gelingen kann, mag angesichts weiterer wahrzunehmender terminologischer Verbindungen zwischen Hab 1–2 und Hab 3 sowie bei anderer methodischer Gewichtung (umfangreichere poetologische Analyse, differenzierte pragmatische bzw. sprechakt-theoretische Analyse) neu zu bewerten sein. Auf diesem Wege ließe sich schließlich sowohl umfangreicher als auch differenzierter die Funktion von Hab 3 im Zusammenhang der gesamten Habakukschrift bestimmen. Doch dahin wird man nicht an der vorliegenden Studie vorbei, sondern nur durch sie hindurch gelangen, deren Lektüre unbedingt zu empfehlen ist.


Prof. Dr. Torsten Uhlig, Professor für Altes Testament an der Evangelischen Hochschule Tabor, Marburg