Walter Klaiber: Die Botschaft des Neuen Testaments
Walter Klaiber: Die Botschaft des Neuen Testaments. Eine kurzgefasste neutestamentliche Theologie, Die Botschaft des Neuen Testaments, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2021, kt., 358 S., € 32,–, ISBN 978-3-7887-3503-6
Walter Klaiber bietet mit diesem Band eine kompakte und zugängliche neutestamentliche Theologie, die zum einen versucht, die einzelnen Schriften des NT mit eigener Stimme sprechen zu lassen und zum anderen danach fragt, inwiefern sie mit einer gemeinsamen Stimme sprechen. Sein Projekt entfaltet sich in vier Schritten. In der Einleitung führt er den Leser an das NT heran. Klaiber beschreibt die Entstehung der neutestamentlichen Schriften und konstatiert vorweg: Alle „wollen eine Botschaft weitergeben. Sie wollen … das Evangelium von Jesus Christus entfalten und seine Konsequenzen für das Leben der Gemeinden und ihrer Glieder aufzeigen“ (21). Er erörtert weiter in aller Kürze den Prozess der Kanonisierung der Schriften.
Im ersten Hauptteil A. Die Grundlage weist Klaiber auf das Alte Testament als bleibendes Fundament für die christliche Verkündigung hin. Aus diesem Boden geht Jesus als „Wurzelstock“ hervor, „aus dem heraus die Botschaft der neutestamentlichen Autoren wächst und sich entfaltet“ (42). Das Leben und Wirken Jesu wird daraufhin in groben Zügen skizziert. Mit ihm bricht die Herrschaft Gottes an, obwohl Jesus den Menschen ein Rätsel bleibt. Er tritt selbstbewusst in Prophetenmanier auf, erzählt pointierte Gleichnisse, heilt und ruft zur Nachfolge auf. Ebenso kündigt er Gericht an für diejenigen, die seinen Ruf missachten. Am Ende stirbt er, nachdem er seinen eigenen Tod selbst herbeiführt und ihn deutet als „Einsatz für andere“ (62).
Im zweiten Hauptteil B.Die Entfaltung werden die Einzelschriften des NT genauer analysiert. Diese werden in folgende Gruppen aufgeteilt: die Erzählung von Jesus von Nazareth (Evangelien und Apostelgeschichte), die Botschaft von Gottes Handeln in Jesus Christus (die Protopaulinen), die Entfaltung und Sicherung des paulinischen Erbes (die Deuteropaulinen und der Hebräerbrief), das apostolische Erbe (die katholischen Briefe) und das prophetische Buch (die Offenbarung).
Im dritten Hauptteil C.Die neutestamentliche Botschaft und ihre Themen hebt Klaiber die seiner Meinung nach einende Botschaft der Schriften des NT hervor und behauptet, diese sei schlicht und einfach: Jesus (249). In seinen Erläuterungen wird klar, dass diese Botschaft durchgehend christologisch zu begreifen ist: Jesus Christus ist der Zeuge des einen Gottes, Sohn Gottes und Geistesträger. Er verkündet Gericht und Heil, er ist Grund und Hirte der Gemeinde, Kraft und Leitbild für neues Leben sowie Quelle und Inhalt der Hoffnung.
Es folgt ein Schlusswort, das das Vorhergehende zusammenfasst und seine Relevanz für „uns heute“ hervorhebt, ein Literatur- und Abkürzungsverzeichnis sowie Stellen- und Begriffsregister.
Klaibers Werk muss man gemäß seiner Intention beurteilen. Sein idealer Leser ist kein Fachkundiger, sondern ein gebildeter und interessierter Laie. Themen werden in der Regel kurz, wenn auch keineswegs oberflächlich behandelt. Auf Fußnoten wird gänzlich und auf den Diskurs mit anderen Theologen fast gänzlich verzichtet. Problematisiert wird nicht das, was neutestamentlichen Wissenschaftlern Probleme bereiten könnte, sondern das, was Christen im Allgemeinen unverständlich erscheint.
Das ist grundsätzlich in Ordnung, auch wenn ich mir als Neutestamentler gewünscht hätte, dass manche Pauschalaussagen etwas ausführlicher begründet worden wären. Das betrifft z. B. Klaibers Auslegung der Gleichnisse Jesu. Er ist der Meinung, dass die Gleichnisse in der Form, wie Jesus sie erzählt hat, noch einfache und leicht verständliche Veranschaulichungen waren. Erst später für die frühe Kirche wurden sie rätselhaft, weshalb sie Jesus Jes 6,9–10 nachträglich in den Mund legte (52). Sein spärliches formkritisches Argument befriedigt angesichts der breiten Gattungsvielfalt befremdlicher Aussagen Jesu – gemessen an der Reaktion seiner Zuhörer – nicht.
Klaibers Ausführungen zu verschiedenen Schriften des NT können nur einzeln beurteilt werden. Seine Auslegung des Matthäusevangeliums ist z. B. gewinnbringend, denn er verweist es nicht (dem Jakobusbrief hinterher) des Spielfelds, nur weil es sich nicht an die lutherischen Rechtfertigungsregeln hält. Klaiber ist überzeugt, dass sich die heutige Kirche u. a. „das unaufgebbare Ineinander von Hören und Tun“, an dem Matthäus festhält, wieder „sagen und schenken lassen sollte“ (92). Die Auslegung des Johannesevangeliums fällt hingegen weniger ertragreich aus.
Störend ist Klaibers Hang, Aussagen der neutestamentlichen Schriften, die nach modernen Maßstäben suspekt erscheinen und sich dem heutigen Leser nicht sofort erschließen, vorschnell abzuwerten. Die Anweisungen des Paulus im 1. Korintherbrief bzgl. des Mannes, der mit seiner Stiefmutter schläft (1Kor 5,1–5), der Kopfbedeckung (1Kor 11,1–16) oder des Schweigegebotes für Frauen (1Kor 14,33–34) sind aus Klaibers Sicht bedauerliche Ausrutscher: „Auch ein Apostel muss sich an seiner eigenen Botschaft messen lassen“ (138). Diese Botschaft ist für Klaiber selbsterklärend mit den ethischen Normen des modernen Westens gleichzusetzen.
Von dieser unausgesprochenen Prämisse bleibt Klaibers Exegese nicht unberührt. Auch sie muss sich anscheinend zeitgeistlichen Strömungen anpassen. In seinem 2011 in der gleichen Reihe (Die Botschaft des Neuen Testaments) erschienenen 1. Korintherkommentar konstatiert Klaiber noch, dass die von der lutherischen Tradition beeinflusste Übersetzung der Begriffe malakoi und arsenokoitoi im Lästerkatalog in 1Kor 1,9–10 mit „Lustknaben“ und „Knabenschänder“ zu hinterfragen sei. Sie suggeriere irrtümlicherweise, dass es Paulus um Päderastie ging. Wahrscheinlicher sei aber, dass Paulus „allgemein von passiver und aktiver (männlicher) Homosexualität [spricht]“ (W. Klaiber, Der erste Korintherbrief, Neukirchen-Vluyn, 2011, 87). Diese Ansicht entsprach bereits damals der Mehrheitsmeinung, wurde seitdem durch viele Untersuchungen bestätigt und ist unter Exegeten beinahe konsensfähig. Trotzdem widerspricht Klaiber im gegenwärtigen Band diametral seiner Meinung von damals: „Es geht also hier [in 1Kor 6,9] nicht um Homosexualität allgemein, sondern um Päderastie…“ (315). Eine Begründung für den radikalen Kurswechsel bleibt Klaiber seinen Lesern schuldig, und man kann sich des Eindruckes nicht erwehren, dass dieser vielmehr von populären Bemühungen um einen homophilen Paulus beeinflusst wird als von weiterführender gründlicher Exegese des Textes. Zum Glück ist diese Tendenz nicht überall zu bemerken. Klaiber beteuert z. B. trotz gegenwärtigen Widerstands aus manchen kirchlichen Kreisen, dass das NT den Tod Jesu sühnetheologisch deutet (263). Für ihn ist es auch nicht abzustreiten, dass Jesus selbst seinen bevorstehenden Tod so auffasste und deswegen herbeiführte. Auch Gerichtsworte will Klaiber nicht abschwächen. Die Rede vom Heil, das „im Zentrum der Botschaft des Neuen Testaments [steht,] … setzt voraus, dass [die Menschen] »verloren« sind und ihr Leben ,heil-los‘ ist“ (272–273). Klaiber will beides – Gericht und Rettung – ernst nehmen und sich der Frage stellen, wie diese für die Kirche und die Gesellschaft von heute wieder geltend gemacht werden können. Am Ende stellt er heraus, dass für ihn nur in Jesus die Hoffnung zu finden ist, die unsere Welt dringend braucht.
Prof. Dr. Joel White, Hochschuldozent für Neues Testament, Freie Theologische Hochschule Gießen