Christoph Krummacher: Kirchenmusik
Christoph Krummacher: Kirchenmusik, Neue Theologische Grundrisse, Tübingen: Mohr Siebeck, 2020, XV+511 S., Leinen € 79,–, Br. € 39,–, ISBN 978-3-16-159518-9
Christoph Krummacher vereint in seiner Person die reflexive und praktische Seite der Kirchenmusik. Als ausgebildeter Theologe und Kirchenmusiker wirkte er als Organist und war 1992–2015 Professor für Kirchenmusik und Direktor des Kirchenmusikalischen Instituts der Leipziger Hochschule für Musik und Theater. Nachdem er 2011–2014 eine vierbändige Geschichte der Kirchenmusik mit herausgegeben hat, liegt nun in der Lehrbuchreihe, die u. a. Michael Meyer-Blancks Gottesdienstlehre (2011) und Bernd Schröders Religionspädagogik (2012) enthält, seine Gesamtkonzeption zur Kirchenmusik als Lehrbuch vor. Es handelt sich dabei nicht primär um ein Studien- oder Praxisbuch für Kirchenmusiker. Vielmehr sollen „Theologinnen und Theologen“ (V) Grundwissen über Kirchenmusik erhalten und dieses in einem phänomenologisch-ästhetischen Gesamtkontext verorten.
Die Gliederung mit insgesamt 42 überschaubaren Paragrafen, die immer mit einer Zusammenfassung enden, machen das Buch zu einem didaktisch gut aufbereiteten und nützlichen Nachschlagewerk, was eine selektive und zielgerichtete Lektüre ermöglicht. Dazu dienen auch das Personen- (501–508) und Sachregister (509–511).
Die Paragrafen sind vier großen Teilen zugeordnet. Im ersten Teil erfolgt eine Darstellung und Reflexion über Kirchenmusik als einer praktisch-theologischen Disziplin (§§2–4), auch mit einem ausführlichen und übersichtlichen Literaturbericht zu entsprechenden Lehr- und Handbüchern (§§5–7).
Der zweite Teil führt in drei Kreisen in die Geschichte der Kirchenmusik ein, zunächst anhand des Kirchenlieds (§§8–14), dann der vokalen (§§15–20) und schließlich der instrumentalen Kirchenmusik (§§21–24). Die Eingrenzung auf den deutschsprachigen evangelisch-landeskirchlichen Raum und besonders auf das Evangelische Gesangbuch ist aus dem Kontext des Autors nachvollziehbar, vermag aber die Breite der gegenwärtigen gottesdienstlichen Sing- und Musikpraxis nur ungenügend abzubilden. So werden etwa das nationale und internationale Praise & Worship-Liedgut sowie Gospel oder Taizé-Lieder nur am Rande thematisiert.
Kernstück des Lehrbuchs bildet der dritte Teil, welche dem Selbstverständnis der Kirchenmusik gewidmet ist. In Auseinandersetzung mit kirchengeschichtlichen Perspektiven von der Bibel bis zum Mittelalter und mit ästhetischen Ansätzen von Luther über Kant, Schleiermacher, Tillich und Adorno bis zu gegenwärtigen kultursoziologischen und religionsästhetischen Perspektiven (§§25–32) entfaltet Krummacher sein eigenes Verständnis von Kirchenmusik (§§33–34) und gelangt zu folgender Bestimmung: „Kirchenmusik ist […] Ausdruck und Praxis des christlichen Glaubens in seiner Erfahrungsoffenheit für die Welt, sie ist ästhetische Reflexion des Glaubens im Schnittpunkt von biblischer Verheißung und meiner Gegenwart und insofern Kommunikation und Verkündigung des Evangeliums“ (418–419). Der inhaltliche Bezug auf den christlichen Glauben und die Partizipation an musikalischer Ästhetik führen im Idealfall zu einer Korrelation von „Autonomie“ (als ästhetische Freiheit) und „Funktionalität“ (als inhaltliche Bindung) (420–424).
Im Vergleich mit den gut 230 Seiten über historische Aspekte und den gut 130 Seiten über das Selbstverständnis der Kirchenmusik fällt der vierte Teil über die Praxis der Kirchenmusik mit nicht einmal 70 Seiten doch eher dünn aus. Die wichtigsten Fragen zum Beruf des Kirchenmusikers (§35–37), zu Gottesdienst (§38–39) und zu Gemeindeaufbau (§40–41) werden knapp erläutert. Dass Kirchenmusik zu Gemeindeaufbau in Beziehung gesetzt wird und dass dabei auch gemeindepädagogische und öffentlichkeitsrelevante Aspekte benannt werden, ist nicht selbstverständlich und ist daher zu würdigen – auch wenn man sich angesichts gegenwärtiger gesellschaftlicher Tendenzen, die weder einen Zug zur Kirche noch einen Zug zum Singen erkennen lassen, gerade hier noch etwas präzisere und zukunftsweisende Perspektiven gewünscht hätte. Wer sich gerne über geschichtliche Aspekte der Kirchenmusik orientieren will oder wer nach einer Einbettung der Kirchenmusik in ein ästhetisch-theologisches Framework sucht, wird mit Gewinn das Lehrbuch zur Hand nehmen. Wer dagegen an praktischen Fragen der Kirchenmusik interessiert ist und dabei auch musikalische Traditionen, die über das Evangelische Gesangbuch hinausgehen, integrieren und pflegen möchte, bleibt auf ergänzende Literatur angewiesen.
Professor Dr. Stefan Schweyer, Professor für Praktische Theologie an der STH Basel