Konrad Müller: Das Confiteor
Konrad Müller: Das Confiteor. Studien zu seiner Gestalt und Funktion im Gottesdienst sowie im Leben der Kirche, Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt, 2021, Pb., 410 S., € 68,–, ISBN 978-3-374-06676-6
Konrad Müller, Leiter des Gottesdienst-Instituts der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern, legt in seiner Habilitationsschrift eine Studie über das altbekannte, aber – wie er zeigt – sehr wandelbare und inhaltlich nicht klar definierte liturgische Element des Confiteor vor.
Textgrundlage der Arbeit sind die Confiteor-Texte der VELKD-Agende von 1955 und der EKU-Agende von 1959. Die verschiedenen, zuweilen kleinteiligen Schritte der Analyse verfolgen in Summe das Ziel, einen Beitrag zur Fragestellung zu leisten, ob und in welcher Form die liturgische Sequenz eines allgemeinen Sünden- oder Schuldbekenntnisses zu Beginn des Gottesdienstes „unter den veränderten Bedingungen der Gegenwart sinnvoll sein kann“ (41). Um das zu klären, ziehen sich weitere Fragen durch die Arbeit. Ist das Confiteor eher als Rüst- oder Vorbereitungsgebet zu sehen oder als Sündenbekenntnis mit Gnadenzuspruch? Welche sprechakttheoretischen Vorstellungen zum Confiteor werden diskutiert und müssen berücksichtigt werden? Inwieweit hängen Deutung, Entwicklung und Praxis des Confiteor vom jeweiligen historischen Kontext und Verständnis von Gottesdienst ab? Inwieweit bilden Verständnis und Praxis des Confiteor die jeweilige kulturelle und historische Situation ab?
Nach Einführung in den Forschungsgegenstand sowie Erläuterung von Methodik, Darstellungsweg und Ziel (Kapitel 1), folgt eine Darstellung und Analyse der genannten Confiteorvarianten. Müller analysiert Aspekte des Confiteor wie Intertextualität, explizite und literale Narrativität u. a., um darauf aufbauend die Mehrdeutigkeit und die verschiedenen Verstehensebenen aufzuzeigen. Diese exemplifiziert und problematisiert er sodann anhand zweier Confiteor-Interpretationen (Kapitel 2). Nach einem Forschungsüberblick (Kapitel 3) folgt eine umfassende Darstellung der Geschichte des Confiteor, angefangen bei Bezügen zu Sünde, Buße und Versöhnung im Neuen Testament als Vorgeschichte über die Entstehung des Confiteor im Mittelalter, bis hin zur Stellung zu und Auseinandersetzung mit ihm in der Reformationszeit und schließlich seiner Entwicklung bis in die Zeit nach 1945 (Kapitel 4). In einem weiteren Kapitel werden die bereits erzielten Ergebnisse anhand verschiedener Autoren vertiefend diskutiert. Leitend ist die Frage, wie das Verhältnis von Liturgie, Sprache und Lebensform zu denken ist. Dabei erweist es sich als schwierig, dass der durchaus komplexe und unterschiedlich verwendbare Begriff der Lebensform hier wie auch schon an vorangehenden Stellen ohne nähere Klärung vorausgesetzt wird. Eine Klärung erfolgt erst im vorletzten Kapitel, das alle Ergebnisse bündelt und in einen weiterführenden Ausblick mündet (Kapitel 5 und 6).
Müller legt eine umfassende, kenntnisreiche und lesenswerte Studie vor, die anhand eines konkreten und wichtigen liturgischen Elementes aufzeigt, wie Liturgie an sich und damit verbunden auch die Theologie des Gottesdienstes einem stetigen Wandel unterliegen. Besonders gelungen wirken die Analyse des Confiteortextes und der historische Abriss. Es wird nachvollziehbar aufgezeigt, dass ein oberflächlich betrachtet völlig klar verständliches liturgisches Element viel mehr Interpretationsspielraum offenlässt als erwartet. Diese Offenheit besteht bereits in der sprachlichen Anlage des Confiteor und seiner Interpretation, dann aber auch auf Seiten des Liturgen und der Rezipienten. Ein Verdienst der Arbeit liegt darin, sowohl das aus dieser Offenheit erwachsende Potenzial, aber auch die daraus abzuleitende Problematik aufzuzeigen. Diese liege darin, dass ein ungeklärtes Confiteor-Verständnis auf ein ungeklärtes Verständnis von Sünde, Schuld und Vergebung und hinweise. Dies könne im schlechtesten Fall zu einem Verzicht auf eine liturgisch geregelte Artikulation von Schuld führen. Damit jedoch verlöre die Kirche jegliche Relevanz nach außen, denn theologische Geltung beanspruchen könne eine Kirche nur dort, wo sie auch eine geklärte Gestalt besitze (395).
Henrik Homrighausen, M.A. ev. Theol., Dean of Students an der FTH Gießen und Doktorand im Fachbereich Praktische Theologie an der STH Basel