Historische Theologie

Karl-Heinz Fix (Hg.): Zustimmung – Anpassung – Widerspruch

Karl-Heinz Fix (Hg.): Zustimmung – Anpassung – Widerspruch. Quellen zur Geschichte des bayerischen Protestantismus in der Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft, 2 Bände, AKIZ A 21, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2021, geb., 1933 S., € 250,–‍, ISBN 978-3-525-56036-5

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Das zweibändige Werk ist doppelter Luxus. Bei einem Preis von 200 (E-Book) bis 250 Euro (Print) werden es sich nur wenige Menschen in das Regal stellen, zumal – wie der emeritierte Professor Ingolf Dalferth kürzlich anlässlich eines Verlagsjubiläums bemerkte – die Zeit zu Ende sei, in der Bücher den kirchlich-theologischen Diskurs prägten. Das Werk ist zudem Luxus, weil es fast 1.000 Quellen bietet, in denen nicht nur bekannte Gestalten des bayerischen Protestantismus zu Wort kommen, sondern auch unbekannt gebliebene Pfarrer sowie einzelne Kirchengemeinden und Dekanatsgremien.

So stellen die Bände eine wertvolle Fundgrube an z. T. verstörenden Texten dar, die man (außerhalb von Archiven) bislang nicht zu lesen vermochte. Quelle 244 beispielsweise dokumentiert eine Nürnberger Osterpredigt aus dem Jahr 1940: Als die Hohenpriester in Mt 28,11ff den Soldaten Geld geben, damit diese behaupten würden, der Leichnam Jesu sei gestohlen worden, meint der antisemitische Pfarrer darin die „echt jüdische Tat“ zu erkennen, sich mit Geld eine Lüge zu kaufen. Die Folge sei, wie man „bis heute“ sähe, dass „die Juden“ unter dem Fluch Gottes stünden. Und schließlich aktualisiert der Pfarrer die Auferstehungsbotschaft für die Gegenwart, indem er Gottes Wirken darin erkennt, dass Hitler den Anschlag im Bürgerbräukeller überlebt hat. So sei Ostern heute in die Wirklichkeit der Jahre 1939 und 1940 hereingebrochen.

Und mit Quelle 256 liegt ein Brief des Direktors des zur Gemeinschaftsbewegung zählenden Diakonissen-Mutterhauses Hensoltshöhe aus Gunzenhausen vor. In diesem erklärt Ende 1934 der Direktor, Pfarrer Ernst Keupp, dass er sich nicht Landesbischof Hans Meiser unterstellen könne, weil letzterer dem deutschchristlichen Reichsbischof Müller die Gefolgschaft verweigere, Keupp sich aber dem Reichsbischof gegenüber loyal weiß. Keupp, der selbst zu den Deutschen Christen gehört, wünscht, dass die bayerische Landeskirche weit mehr auf „Volk und Staat“ im nationalsozialistischen Sinn Rücksicht nehme als es der Landesbischof derzeit tue. So illustriert das genannte Schreiben die mittlerweile bekannte Verstrickung auch neupietistischer Kreise mit dem Führerstaat.

Der Titel „Zustimmung – Anpassung – Widerspruch“ fasst die drei Optionen zusammen, wie bayerische Protestanten auf den Nationalsozialismus reagieren. Zustimmung kommt z. B. in den beiden bereits genannten Quellen zum Ausdruck. Punktuell legt die Landeskirche auch expliziten Widerspruch gegen Entscheidungen des NS-Staats ein. So äußern die Vertreter der mittelfränkischen Dekanatsbezirke Dinkelsbühl, Feuchtwangen, Gunzenhausen, Heidenheim, Wassertrüdingen und Weißenburg im Oktober 1934 öffentlichen Protest gegen die angeordnete Absetzung des Landesbischofs (Quelle 114). Und dieser bemerkt auf die konkrete Anfrage eines Dekans, bei der ruchbar gewordenen „Euthanasie“ von Behinderten in der sächsischen Tötungsanstalt Pirna-Sonnenstein „die Stimme der Kirche“ gegenüber den Verantwortlichen „nachdrücklich zu Gehör“ gebracht zu haben, nur ohne Erfolg (Quelle 424).

Insgesamt kann die Haltung der Kirchenleitung und des Mehrheitsprotestantismus als „Anpassung“ beschrieben werden. Widerspruch übt man nur da, wo sich der NS-Staat in kirchliche Belange einmischt. Widerspruch findet auch bei der deutschchristlichen Verabsolutierung des Rassegedankens statt. Aber auf die Novemberpogrome 1938, als die Nationalsozialisten in vielen evangelisch geprägten Orten die Synagogen zerstören, in den von Juden bewohnten Häusern randalieren und die Juden demütigen, schlagen und ihnen die Abreise anordnen, reagiert die Kirchenleitung mit keinem Wort. Und das, obwohl einzelne Pfarrer und Dekane den Landeskirchenrat über die Vorfälle vor Ort informieren (Quellen 390f).

Aber zu diesem Zeitpunkt ist der bayerische Mehrheitsprotestantismus der NS-Ideologie schon weit entgegengekommen, wie ein Flugblatt Kurt Frörs zeigt, das dieser Ende 1933 in Gemeinden verteilen lässt (Quelle 367): Die Leser erfahren, dass Gott selbst die verschiedenen Rassen geschaffen habe [wo steht das in den Schöpfungsberichten?] und dass wir von Gott den Auftrag bekommen hätten, „unsere Rasseneigenart (…) zu pflegen und zu schützen“. Der evangelische Christ habe sich deshalb „an dem Ringen um die rassische Reinheit seines Volkes“ zu beteiligen. Im Rassenkampf zieht Frör – ähnlich wie Hans Meiser in seinem berühmt-berüchtigten Aufsatz von 1926 – erst dort die Grenze, wo die Angehörigen einer anderen Rasse „als untermenschlich und mehr oder weniger tierähnlich“ betrachtet werden. Freilich wäre von diesem Standpunkt her ein lauter kirchlicher Protest gegen die antisemitischen Ausschreitungen vom 9. und 10. November 1938 folgerichtig gewesen, ist aber unterblieben.

Wie der bayerische Protestantismus das nationalistische Denken in sich aufgenommen hat, belegen auch die dokumentierten Texte um die Erlanger Professoren Paul Althaus und Werner Elert (Quellen 62–75, 150f, 419, 766). In den Stellungnahmen von ihnen und über sie wird deutlich, warum sie zu den einflussreichsten Gegenspielern Karl Barths zählen und wie die Bekennende Kirche durch diese Konfrontation fragmentiert und geschwächt wird.

Der Herausgeber Dr. Karl-Heinz Fix, Wissenschaftlicher Angestellter an der Forschungsstelle für Kirchliche Zeitgeschichte in München, ist bereits vor über 10 Jahren durch akribische Detailarbeit bekannt geworden, indem er u. a. das „Personenlexikon zum deutschen Protestantismus 1919–1949“ sowie mehrere Bände der frühen „Protokolle des Rates der EKD“ veröffentlichte. Fix hat die nun zusammengetragenen Quellen nach 13 Themenbereichen sortiert: von den protestantischen Reaktionen auf die Niederlage des Ersten Weltkriegs 1918 angefangen bis zu den Nachkriegsdeutungen der NS-Zeit vor 1948, über die landeskirchlichen Debatten zur Verfassungs- und Bekenntnisfrage hin zu den Deutschen Christen, über das Themenfeld Antisemitismus bis zur „Euthanasie“ in diakonischen Einrichtungen. Der Einleitung zufolge will Fix durch einen „multiperspektivischen Blick“ die Rezeption des kirchlichen Verhaltens in der NS-Zeit entemotionalisieren und von zwei Engführungen befreien: dass die Verstrickungen der Landeskirche entweder in apologetischer Hinsicht verharmlost werden oder dass man die heute gewünschten moralischen Haltungen anachronistisch von damaligen Akteuren erwartet. Die zweibändige Dokumentation trägt, wenn sie denn gelesen wird, dazu bei, dass wir solche Engführungen vermeiden und erkennen können, welche „Handlungsspielräume und Handlungsoptionen“ (Liesa Weber) Kirchenleitungen, Pfarrer und Gemeindeglieder in der NS-Zeit wirklich hatten.


Dr. Gerhard Gronauer, Pfarrer der bayerischen Landeskirche, war im Rahmen seiner wissenschaftlichen Mitarbeit an der Augustana-Hochschule Neuendettelsau Co-Autor der 2021 abgeschlossenen „Synagogen-Gedenkbände Bayern“.