Altes Testament

Joachim J. Krause / Wolfgang Oswald / Kristin Weingart (Hg.): Eigensinn und Entstehung der Hebräischen Bibel

Joachim J. Krause / Wolfgang Oswald / Kristin Weingart (Hg.): Eigensinn und Entstehung der Hebräischen Bibel. Erhard Blum zum siebzigsten Geburtstag, FAT 136, Tübingen: Mohr Siebeck, 2020, Ln., 628 S., € 199,–, ISBN 978-3-16-156384-3


Die vorliegende Aufsatzsammlung ehrt als Festschrift den Tübinger Alttestamentler Erhard Blum zum 70. Geburtstag. Die enthaltenen Aufsätze sind sieben Bereichen zugeordnet, die in etwa den Forschungsinteressen des Jubilars entsprechen (Pentateuch, Vordere Propheten, Hintere Propheten, Schriften, Historische Fragen, Linguistische Fragen, Hermeneutische Fragen; die Titel der Aufsätze sind zugänglich auf der Internetseite des Verlags: https://www.mohrsiebeck.com/uploads/tx_sgpublisher/produkte/leseproben/9783161563843.pdf).

Grundsätzlich stellen die meisten Aufsätze hochspezialisierte Abhandlungen zu Teilaspekten der Forschungsschwerpunkte dar, zu deren führenden Vertretern viele der Autorinnen und Autoren gehören. Ohne umfangreiches Vorwissen wird man hier häufig die Tragweite der Thesen und ihren jeweiligen Beitrag nur schwer ermessen. Wer sich jedoch in die jeweiligen Fragen einarbeitet, wird hier viele anregende Beobachtungen und v. a. gründliche Darstellungen finden, von denen nur wenige enttäuschen. Aufgrund des begrenzten Raumes einer Rezension können hier nur einige Einordnungen gegeben und nur wenige Aufsätze etwas ausführlicher beschrieben werden.

Angesichts der Bedeutung von Erhard Blum für die jüngere Pentateuchforschung mit seinen gewichtigen Anfragen an vermeintliche Selbstverständlichkeiten, dem Aufweis übergreifender Kompositionsbögen, seinen methodenkritischen Reflexionen und dem Entwurf eines eigenen Pentateuchmodells ist man auf Aufsätze zum Pentateuch in einer Festschrift für ihn gespannt und muss etwas enttäuscht bemerken, dass kaum Proponenten anderer Pentateuchentstehungsmodelle in der Festschrift zu Wort kommen bzw. das Wort ergreifen. Die meisten knüpfen auf die eine oder andere Weise positiv/zustimmend an die Thesen von Blum an.

Immerhin setzt sich K. Schmid („Die Datierung der Josephsgeschichte. Ein Gespräch mit Erhard Blum und Kristin Weingart“) als Vertreter einer späten Verknüpfung von Erzeltern- und Exodusüberlieferung mit der dafür zentralen Josephsgeschichte sowie der These von Blum und Kristin Weingart zur Entstehung der Josephsgeschichte im Nordreich in der Zeit Jerobeams II. auseinander, bringt Gegenargumente für die späte Entstehung als Diasporanovelle an und versucht Möglichkeiten einer Synthese zu erschließen. Deutlich wird an diesem Beitrag, wie stark Generalthese und Beobachtungen zu Einzelheiten im Wechselverhältnis stehen (vgl. 109!). Auch in dem Aufsatz von R. G. Kratz („Schittim. Eine narrative Verbindung zwischen Numeri und Josua“) tritt ein Vertreter eines konkurrierenden Pentateuchmodells angesichts einer weiteren zentralen Nahtstelle im Pentateuch bzw. Hexateuch mit E. Blum in einen Dialog. Hier geht es um literarkritische Gewichtungen in Jos 1–3 und eine Bewertung, auf welcher Entstehungsstufe der Erzählzusammenhang zwischen dem Ankommen des Volkes Israel bei Schittim (Num 25,1) sowie dessen Aufbrechen von dort (Jos 2,1; 3,1) anzusiedeln ist. Kratz argumentiert erneut gegen Blum (und J. J. Krause, Exodus und Eisodus, 2014) für einen ursprünglichen Erzählzusammenhang von Exodus, Wüstenwanderung und Landnahme als Teil der Grundschicht eines „Hexateuch“. 

Eine instruktive Einschätzung der Pentateucharbeiten von E. Blum innerhalb der jüngsten Pentateuchforschung bietet Rainer Albertz („Die erstmalige Konstituierung des Pentateuch durch die spät-deuteronomistische Redaktionsschicht [KD bzw. D]“): In seinen Ausführungen über „die spärliche Rezeption der KD-Hypothese“ (134) in Blums Entstehungshypothese zum Pentateuch werden eine Reihe Gegensätze und Übereinstimmungen zwischen verschiedenen Pentateuchmodellen gut erkennbar. Albertz selbst votiert dafür, dass an einer durchgehenden deuteronomistisch geprägten Komposition von Gen–Dtn (KD) festzuhalten ist, mit der das Deuteronomium in den entstehenden Pentateuch integriert und von den nachfolgenden Büchern stärker abgegrenzt wurde, differenziert aber deren Entstehungsverhältnisse weiter aus.

Während derlei Aufsätze in der Gefahr stehen, eher Binnendialoge innerhalb der Pentateuchforschung zu perpetuieren, verdienen doch eine Reihe weiterer Aufsätze Beachtung, weil diese sowohl gewichtige inhaltliche Klärungen bieten als auch zu methodischen bzw. methodenkritischen Reflexionen einladen und somit über den spezifischen Diskurs innerhalb einzelner Teilfragen hinausweisen.

Christoph Hardmeier („Die Noah-Flut-Erzählung [Gen 6,8–8,20] als Klimax der vorpriesterlichen Urgeschichte und ihre priesterliche Bearbeitung“) gehörte zu den führenden Verfechtern der Integration literaturwissenschaftlicher Ansätze in die alttestamentliche Exegetik. In seinem Aufsatz zur Sintfluterzählung unterscheidet er v. a. auf der Basis sprachphänomenologischer Beobachtungen zwischen einer vorpriesterlichen Noah-Flut-Erzählung und deren späterer priesterlicher Bearbeitung. Er zeigt überzeugend, welch theologischer Gewinn darin liegt, zwei verschiedene „Stimmen“ in der Fluterzählung wahrzunehmen. Problematisch bleibt es jedoch, wenn die Text-Rekonstruktion nur durch Texteingriffe plausibilisiert werden kann (so lässt sich Gen 6,13 nur einer vorpriesterlichen Erzählung zuweisen, wenn man das Vorkommen von „Elohim“ als priesterliche Veränderung des ursprünglichen Gottesnamens JHWH annimmt; 12–14). Auch die Metapher der „Symphonie“ scheint mir nicht so recht den Phänomenen in der Fluterzählung gerecht zu werden. Nicht so leicht umgehen sollte man aber die auf literaturwissenschaftlicher Basis erhobene Differenzierung, egal ob man sie „Stimmen“, „Aspekte“ oder „Perspektiven“ nennt.

Matthias Köckert („Die Traumerzählung Genesis 28 im Licht altorientalischer Tempeltheologie und Tempelbaunachrichten“) knüpft in Bezug auf Gen 28 an Arbeiten von E. Blum an und ist v. a. zu beachten, weil er auf Basis altvorderorientalischer Parallelen wichtige inhaltliche Züge der „Traumerzählung“ sowie deren Bezug zu Heiligtumsgründungen und ihrer kosmologischen Bedeutung erhellt. Wie schwierig freilich Datierungen auf Basis solcher Parallelen sind, legt Köckert vorbildlich auseinander. Unbedingt lesen!

Thomas B. Dozeman („Inner-biblical Interpretation of Gilead in the Wars against Sihon and Og and in the Tribal Territory East of the Jordan River”) geht minutiös den verschiedenen Größen nach, die mit Gilead in Num 20–21; 32; Dtn 2–3 und Jos 12–13 bezeichnet sind. Bedeutsam ist darin u. a. der Hinweis darauf, dass in den jeweiligen Texten verschiedene Raumkonzepte vorliegen: Num 32 ist auf Städte orientiert, während Dtn auf das Territorium blickt. Josua verknüpft dann beide miteinander. Der Beitrag ruft nicht nur die komplexen Probleme in Erinnerung, vor die Num 20–21 + Num 32 sowie deren Verhältnis zu Dtn 2–3 stellen (und diese Texte zu Zentraltexten für jegliches Modell der Pentateuchentstehung machen), er kann v. a. als hilfreicher Ausgangspunkt dafür genommen werden, dass die Landnahme der ostjordanischen Gebiete auf unterschiedliche Aspekte hin erzählt wird und worin diese bestehen.

Wer für einen Erweis der Einheitlichkeit alttestamentlicher Bücher auf „neuere Ansätze“ verweist, sollte an dem Beitrag von Jean Louis Ska („Does David Think or Remember? Some Basic Features of David’s Character in 1–2 Samuel“) nicht vorbeisehen. Der ausgewiesene Spezialist narratologischer Exegese im Alten Testament votiert auf der Basis narratologischer Beobachtungen zur Figur des David für einen anthologischen Charakter der Samuelbücher. Damit ist m. E. keineswegs das letzte Wort über den literarischen Charakter alttestamentlicher Historiographie gesprochen. Den damit verbundenen Herausforderungen aber sollte man mit diesem Aufsatz nicht aus dem Wege gehen.

Unbedingt empfehlenswert ist des Weiteren der Beitrag von Hermann-Josef Stipp („Apologetik, Propaganda, Rivalitäten. Zu den Triebkräften der Entstehung des Jeremiabuchs“), der dezidiert an dem Anliegen von Erhard Blum zu einer reflektierten Exegetik anknüpft und mit seinem Überblick zur Entstehung von Jer 25–52 einen ganz wichtigen methodenkritischen Beitrag leistet. Anlass für seine Ausführungen ist die v. a. im deutschen Sprachraum inzwischen dominante „Generalthese“, wonach die vielen intertextuellen Bezüge in den Prophetenbüchern Erweis dafür sind, dass es sich bei der Literaturproduktion und -rezeption um ein elitäres und auf einen kleinen Kreis begrenztes Unternehmen von „Schriftgelehrten für Schriftgelehrte“ (K. Schmid, Literaturgeschichte des Alten Testaments, 2008, 49) handele. Dem stellt Stipp anhand der von ihm rekonstruierten Entstehungsstufen und unterschiedlichen literarischen Vorstufen innerhalb von Jer 25–52 ihre verschiedenen Funktionen in der Öffentlichkeit (!) entgegen. Stipp kommt zu dem Schluss: „Die hier erörterten Zeugnisse dienten überwiegend nicht der internen Verständigung und Bestärkung von Überzeugungsgemeinschaften, sondern sie fungierten als Instrumente politischer Theologie, mit denen die Verfasser auf öffentlicher Bühne für konkrete Ziele kämpften, indem sie andere davon zu überzeugen suchten.“ (407). Es ist eine gewichtige Erinnerung an den engen Zusammenhang zwischen Textfunktion, soziologischem Setting sowie Auswahl und Gewichtung exegetischer Methoden.

Schließlich verdient der Aufsatz von Helmut Utzschneider („Lässt sich der ,Endtext‘ sachgemäß auslegen – und wenn ja, welcher? Ein Gespräch mit Erhard Blum samt einer Auslegung von Exodus 19,20–25“) eine aufmerksame Lektüre, um sich zu einem reflektierteren Gebrauch der Schlagworte „synchrone Auslegung“ und „Endtext“ bzw. „Endgestalt“ nötigen zu lassen.  Er versucht im Gespräch mit E. Blum und dessen pointierten Äußerungen zum Charakter alttestamentlicher Literatur, zur „synchronen Analyse“ und zum „Endtext“ auszuloten, welcher Text auszulegen ist, wie alttestamentliche Literatur zu charakterisieren ist und wie sie schließlich auszulegen ist. Es ist zu hoffen, dass diesbezüglich sein Votum gegen alle Verächter synchroner Auslegung ernst genommen wird, wonach „eine literarisch-ästhetische Lesart eigentlich kein Interesse daran haben kann, den Text zu harmonisieren, wie dies der synchronen Auslegung des Jetzttextes immer wieder vorgehalten wird.“ (599). Die sich so ergebende dreifache Aufgabe der Auslegung als synchrone, historisch-diachrone und literarisch-ästhetische führt Utzschneider schließlich an Ex 19,20–25 mit wertvollen Beobachtungen und Wertungen vor.

Seine Schlussworte schließen zugleich die Festschrift ab und könnten passender nicht sein: „Eine wissenschaftliche Exegese indessen, die die Bande zur ‚religiösen Applikation‘ lösen und sich auf den innerakademischen Diskurs beschränken wollte, würde sich m. E. selbst den Boden entziehen.“ (608).


Prof. Dr. Torsten Uhlig, Professor für Altes Testament an der Evangelischen Hochschule Tabor, Marburg