Altes Testament

Steven L. McKenzie: 1 Könige 16 – 2 Könige 16

Steven L. McKenzie: 1 Könige 16 – 2 Könige 16, International Exegetical Commentary on the Old Testament/Internationaler Exegetischer Kommentar zum Alten Testament (IECOT/IEKAT), Stuttgart: Kohlhammer, 2021, Hardcover, 646 S., € 149,–, ISBN 978-3-17–034044-2


Zur Kommentarreihe

Laut den Verlagsangaben möchte die Reihe „Internationaler Exegetischer Kommentar zum Alten Testament“ (IEKAT) einem breiten Publikum eine multiperspektivische und innovative Interpretation aller alttestamentlichen Bücher bieten, auch derjenigen, die nur auf Griechisch überliefert sind. Angestrebt ist eine Kommentarreihe von internationalem Rang, in ökumenischer Weite und auf der Höhe der Zeit. International und ökumenisch ist IEKAT darin, dass Autoren unterschiedlicher exegetischer und religiöser bzw. konfessioneller Prägung aus Nordamerika, Europa und Israel vertreten sind und alle Bände sowohl auf Englisch als auch auf Deutsch erscheinen. Auf der Höhe der Zeit ist IEKAT, indem zwei oft getrennte Forschungsrichtungen zusammengeführt werden sollen: „synchrone“ und „diachrone“ Exegese; unter „synchron“ wird dabei die Erschließung des Textes auf einzelnen Stufen seiner Entstehung verstanden (insbesondere auf seiner Endstufe), unter „diachron“ die Bemühung um Einsicht in sein Zustandekommen über die Zeiten. Darüber hinaus nimmt IEKAT weitere zeitgemäße Perspektiven auf, namentlich Genderkritik, Sozialgeschichte, Befreiungstheologie, Ökologie und Wirkungsgeschichte.

Die bisher erschienenen Bände sind auf der Website des Kohlhammer-Verlags aufgeführt (https://shop.kohlhammer.de/internationaler-exegetischer-kommentar-zum-alten-testament-iekat-si357.html). Die Reihe wird digital erschlossen bzw. verfügbar für Logos-Kunden; der Preis und der Stand der bereits verfügbaren Bände sind unter https://de.logos.com/product/216992/internationaler-exegetischer-kommentar-zum-alten-testament einsehbar.

Der erste Band zu den Königebüchern ist noch nicht erschienen (Stand April 2022); insofern kann der zur Rezension vorliegende Band von McKenzie noch nicht mit der entsprechenden Parallele verglichen werden. Aus dem gleichen Grund ist es sinnvoll, dass McKenzie (Rhodes College Memphis/Tennessee) im vorliegenden Band eine ausführliche Einleitung zu den Königebüchern gibt.

Vorgehen

Alle Texte werden in der Reihenfolge von Übersetzung – Anmerkungen zu Text und Übersetzung – Synchrone Analyse – Diachrone Analyse – Synthese behandelt. Bei den Übersetzungen dient als „Leithandschrift“ der hebräische Text in Gestalt des Codex Leningradensis.

Einleitungsfragen

McKenzie hofft, mit einem eigenen Modell zur Lösung der verzwickten kompositionellen Probleme von Kön beizutragen. Er unterscheidet vor allem 1. eine primäre, deuteronomistische und 2. eine sekundäre, prophetisch geprägte Schicht. „Beide sind das Werk jeweils unterschiedlicher Verfasser bzw. Redaktoren, die sich unterschiedlicher Quellen bedienten. Beide wurden später durch Glossen und Hinzufügungen erweitert“ (26). Die unterschiedlichen Herkünfte und Bearbeitungen werden in der Übersetzung durch verschiedene Schrifttypen markiert. Ob die Hoffnung, mit diesem Modell einen neuen Konsens zu etablieren, berechtigt ist, darf angesichts McKenzies eigener Mühe, die ihn, wie er sagt, fast bis an den „Wahnsinn“ getrieben hat (ebd.), bezweifelt werden. Als grundlegendes Werk hinter 1Kön 16 bis 2Kön 16 – also des großen Mittelteils der Königebücher, der das Nordreich Israel behandelt – sieht McKenzie das Deuteronomistische Geschichtswerk (DtrH), im Wesentlichen identisch mit dem „Dtr“ Martin Noths. Dieser Verfasser bzw. Redaktor sei auch für die deuteronomistische Grundschicht in anderen vorderen Propheten verantwortlich. Sie sei etwa zur Zeit Josias oder im Exil entstanden. McKenzie vermeidet eine Festlegung ausdrücklich, neigt aber zur späteren Datierung aufgrund der kombinierten Königsliste (29). Die exakte, Verse und Halbverse genau bezeichnende Liste der DtrH zuzurechnenden Texte verrät (30), dass das Zutrauen zur Literarkritik trotz ihrer widersprüchlichen Ergebnisse bzw. trotz des fehlenden Konsenses immer noch groß ist: Mit Dietrich und Campbell und gegen Schmitt erscheint McKenzie der prophetische Erzähler (PE) als eigenständig. Gegen Campbell glaubt er nicht, PE habe dem DtrH vorgelegen; und anders als Dietrich würde er PE nicht als Deuteronomisten bezeichnen (42f). Die Unterscheidung zwischen „vor allem ätiologischen und theologischen“ Interessen seitens DtrH und „theologischen und soziologischen Interessen“ seitens PE (50f) wirkt künstlich.

Der methodische Optimismus gilt auch bekannten quellenkritischen Pentateuchaxiomen, denen die Geschichte des Königsbuches unterstellt wird: Dass die Nordreichheiligtümer eine Sünde darstellten, sei „in DtrH ein offenkundiger [sic!] Anachronismus“, weil das Zentralisationsprinzip erst „unter Joschija ersonnen worden“ sei (31; vgl. hierzu: Matthias Armgardt/Benjamin Kilchör [Hg.]: Paradigm Change in Pentateuchal Research, 2019). Auch die Ablehnung von Bildern im Kult gehe erst auf das 7. Jh. v. Chr. zurück. In Dan und Bethel sei also Jahwe verehrt worden, wie nach McKenzie aus dem Mund Jerobeams (1Kön 12,28) deutlich werde (31, analog 612f bzw. 622f). „Der historische Ahab war ein Anhänger Jhwhs“ (92)! Aus Sicht des Rezensenten wirkt es naiv, grundlegende Wertungen und Datierungen der biblischen Erzähler abzulehnen („ideologischer Charakter“, 83), jedoch die von ihnen verworfenen religiösen Zuordnungen zu akzeptieren. Dass die Verwendung des Jahwenamens auch missbräuchlich erfolgen kann, gerade durch den König (der sich in den Kult nicht einzumischen hätte), wird unterschlagen.

Es sind im Wesentlichen zwei Säulen der Königebücher: Die erhaltende Kraft im Südreich war die Daviddynastieverheißung; der Niedergang im Norden wird ständig mit der Sünde Jerobeams plausibilisiert (zusammenfassend 2Kön 17, was sachlich noch gut in diesen Kommentar gepasst hätte). Fällt eine Säule dahin, wird – zumindest im Denken des biblischen Erzählers – auch der Geschichtsverlauf nicht mehr plausibel.

Trotz des Einbezugs von synthetisch (bzgl. des hebr. Endtextes) arbeitenden Teilen bleibt die exegetische Aufmerksamkeit mengenmäßig mehr der Entstehungsdimension der Texte gewidmet, mit einem Schwerpunkt auf der Textkritik. Rezeptionsfragen bleiben im Vergleich zu etwa Walter Dietrichs Samuel-Kommentierung (siehe die AfeT-Rezension von Christian Hilbrands) unterbelichtet. Das Bibelstellenregister legt eine weitgehende Abwesenheit des Neuen Testaments offen (vgl. z. B. Adam Winn: Mark and the Elijah-Elisha Narrative. Considering the Practice of Greco-Roman Imitation in the Search for Markan Source Material, 2010). Erfreulich sind erzähltechnische Beobachtungen (Zentralstrukturen, Erzähltempo). Die synchronen Analysen bieten oft eine Art Nacherzählung mit einigen Verweisen. Zu 2Kön 16,7 (Ahas’ „ich bin dein Knecht und dein Sohn“) fehlt der Hinweis auf 2Sam 7,14 als Antithese. Welche die weitreichenden Konsequenzen waren, die sich seit Ahas‘ Zeit mit Verstockung und Unglaube einstellten, wird erst in der diachronen Analyse ausgeführt. Historische Fragen werden den literarkritischen Abschnitten zugeordnet: Was historisch unglaubwürdig ist, gilt oft auch literarkritisch als sekundär.

Gesamteindruck

Wer nach einer gründlichen Textdarstellung greifen will, wird von McKenzie belohnt, aber wer rascher zu theologisch greifbaren und besseren Ergebnissen kommen will, wird bei House, deVries, Olley oder Provan schneller und billiger bedient. Diese werden erfreulicherweise im Literaturverzeichnis aufgeführt, nicht hingegen Keil, Schmid, oder Vischer. Literaturangaben in Fußnoten und im Verzeichnis am Schluss ergänzen einander.

Das Nebeneinander von synchroner und diachroner Exegese bleibt unbefriedigend: Es entstehen Doppelungen und Widersprüche; McKenzie sieht das Problem selbst.

Das Grunddilemma bleibt: Wenn der Bibeltext eindeutige Wertungen ausspricht, aber der kritische Exeget im Nichtwissen und Ungefähren bleiben will, woher wächst dem Schriftausleger auf der Kanzel die Vollmacht zu, Wahres und Gewisses zu sagen?


Pfr. Dr. Stefan Felber, Dozent für Altes Testament am Theologischen Seminar St. Chrischona