Takamitsu Muraoka: Why Read the Bible in the Original Languages?
Takamitsu Muraoka: Why Read the Bible in the Original Languages?, Leuven: Peeters, 2020, Pb., 111 S., € 19,–, ISBN 978-90-429-4200-4
Der 1938 in Japan geborene und bis 2003 in Leiden lehrende Hebraist Takamitsu Muraoka ist den meisten Alttestamentlern wohl vor allem durch seine Überarbeitung der Hebräisch-Grammatik von Paul Joüon (A Grammar of Biblical Hebrew, Rom 1991/2006) bekannt. Aber auch weitere Lehrbücher und Nachschlagewerke wie etwa zum Bibel-Aramäischen (A Biblical Aramaic Reader with an Outline Grammar, Leuven 2015) und zur Septuaginta (A Greek-English Lexicon of the Septuagint, Leuven 2009) sind Teil seines vielfältigen Œuvres – neben Büchern zum ägyptischen Aramäisch, zum Qumran-Aramäisch und -Hebräisch sowie zum Syrischen.
Mit dem hier zu besprechenden Band hat Muraoka sozusagen sein Vermächtnis vorgelegt, in dem man auch Persönliches über den Autor erfährt. In einem kurzen „Curriculum vitae“ (9–14) beschreibt er zunächst, wie er als Jugendlicher durch die Sonntagsschulstunden eines amerikanischen Baptisten-Missionars Christ wurde. Später ging er nach Tokyo und studierte Englisch mit dem Ziel, Englischlehrer zu werden. Doch an der Universität traf er den Alttestamentler Masao Sekine, durch den er in Kontakt mit den alten Sprachen kam und sich ins Studium des Griechischen und Hebräischen stürzte. Nach der Promotion in Jerusalem folgten Professuren in Manchester, Melbourne und Leiden. Nach seiner Emeritierung engagierte er sich in verschiedenen asiatischen Ländern, die in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts unter dem japanischen Imperialismus gelitten hatten, durch Sprachkurse an theologischen Seminaren. Der kurze Lebenslauf macht zeugnishaft deutlich, dass Muraoka seine lebenslange philologische Arbeit wie auch seine Friedensarbeit in Asien als einen Dienst für Gott sieht, der ihn dazu berufen hat.
In der auf den persönlichen Teil folgenden „Introduction“ (15–21) erklärt der Autor einige Hintergründe der Schreibkunst in der Antike sowie das Problem des Übersetzens biblischer Texte. Letzteres geschieht beispielhaft anhand von Jes 7,14 („young woman“ vs. „virgin“). Spätestens hier stellt man fest, dass man es mit einem populärwissenschaftlichen Buch zu tun hat, das vor allem zum Lernen der alten Sprachen motivieren soll. Ihre Kenntnis wird noch nicht vorausgesetzt, deshalb erscheinen hebräische, aramäische und griechische Wörter und Textauszüge in Umschrift.
Die folgenden Kapitel des Buches konzentrieren sich auf Hebräisch (23–68), Griechisch (69–77), Aramäisch (79–86) und die Septuaginta (87–105). Diese Kapitel sind zum Teil nach einzelnen Bibeltexten untergliedert, zum Teil aber auch nach grammatischen Phänomenen in den betreffenden Sprachen. Dabei sind nicht alle präsentierten Beispiele für Fachleute gleichermaßen erhellend, was teilweise durch die populärwissenschaftliche Gattung und die dadurch gebotene Kürze bedingt ist. Einiges müsste genauer diskutiert und um präzise Schlussfolgerungen ergänzt werden, damit es für die fachliche Diskussion fruchtbar wird. Aber das ist offensichtlich gar nicht die Intention des Autors; stattdessen geht es darum, Leser und Leserinnen einer englischen Bibelübersetzung dafür zu sensibilisieren, dass in vielen Übersetzungen nicht alle Details der biblischen Texte angemessen zur Geltung kommen.
Einige Beispiele: In hebräischen Narrativtexten ist die Stellung der syntaktischen Elemente innerhalb des Satzes normalerweise Prädikat – Subjekt – Objekt, daher weist eine davon abweichende Stellung auf eine inhaltliche Betonung des vorne stehenden Elements hin. Damit lassen sich einige Pointierungen im Text über die Aqedah (Gen 22,1–19) feststellen (25–31). – Das Hebräische unterscheidet bei der 2. Person zwischen maskulinem und femininem Subjekt und Objekt. Dadurch lässt sich im Hohelied der Sprecherwechsel auch sprachlich markieren, was in vielen Übersetzungen verlorengeht (35–36). – Im Griechischen wird das Subjekt des Satzes bereits durch die finite Verbform ausgedrückt, das Vorkommen eines Personalpronomens bedeutet also eine Betonung (69). – Der griechische Präsensstamm drückt den durativen Aspekt aus. Da es sich bei der Form μετανοεῖτε in Mt 4,17 um einen Imperativ im Präsens handelt, konnte Luther bei der ersten seiner 95 Thesen, in der er Mt 4,17 zitiert, schlussfolgern, dass „das ganze Leben der Gläubigen Buße sein“ sollte (76). Diese Verbindung ist originell, allerdings wurden Luthers Thesen in lateinischer Sprache veröffentlicht, und inwieweit er bei seinem Matthäus-Zitat den griechischen Text philologisch berücksichtigte, ist nicht klar. – Während sich im Hebräischen die Pluralform אֱלֹהִים auf mehrere Gottheiten oder auf den (einzigen) Gott Israels beziehen kann, wird in den aramäischen Daniel-Texten streng zwischen Singular und Plural unterschieden, so dass der Bezug auf einen Gott oder mehrere Gottheiten hier eindeutig ist (82–83).
Diese Beispiele bieten für Kenner der biblischen Sprachen nichts grundlegend Neues. Einige davon können sicher im akademischen Sprachunterricht verwendet werden, um das Erlernen der biblischen Sprachen zu motivieren. Allerdings ist der Text des Buches meist anekdotisch und streckenweise etwas ausufernd (vor allem der lange Abschnitt zu 2Sam 11–13 [36–68]), so dass sich die Beispiele nach der ersten Lektüre nicht leicht wiederfinden lassen. Hinzu kommt, dass mir auch nicht alle angeführten Beispiele hilfreich oder geeignet erscheinen, und dass sich einiges wiederholt. Andererseits handelt es sich bei der Zielgruppe nicht um Studenten oder Dozenten, sondern um Leser der englischen Bibel. Für eine Zielgruppe ohne Vorkenntnisse erscheint mir allerdings einiges zu komprimiert und daher schwer nachvollziehbar. Das gilt etwa für die knappen Ausführungen zur Textkritik und zu den Qumran-Schriften (67–68), aber auch für manche linguistischen Erklärungen und Folgerungen. Das Buch lässt den Rezensenten also mit einem ambivalenten Eindruck zurück: Für die Zielgruppe zu schwer, für ein Fachpublikum zu leicht, als Beispielsammlung für den Sprachunterricht teilweise brauchbar. Wertvoll und motivierend ist auf jeden Fall der Eindruck, den man von Takamitsu Muraoka als Mensch und als Christ bekommt und der sich nicht auf den biographischen Teil beschränkt, sondern auch bei der Erklärung der Bibeltexte immer wieder zutage tritt.
Prof. Dr. Carsten Ziegert, Professor für Altes Testament an der Freien Theologischen Hochschule in Gießen