Eckhard J. Schnabel: Jesus in Jerusalem
Eckhard J. Schnabel: Jesus in Jerusalem. The Last Days, Grand Rapids, Michigan: Eerdmans, 2018, geb., 680 S., $ 60,–, ISBN 978-0-8028-7580-8
Eckhard J. Schnabel ist „Mary French Rockefeller Distinguished Professor of New Testament“ am Gordon-Conwell Theological Seminary, South Hamilton, Massachusetts. Die vorliegende Monografie bezieht sich in fünf Themenbereichen (mit 21 Tabellen, 11 Abbildungen und 13 Exkursen) auf Personen (11–101), Orte (102–138), Zeiten (139–151), Ereignisse (152–375) und Bedeutung (376–398) rund um die letzten irdischen Tage Jesu in und um Jerusalem. Es folgt ein ausführliches Verzeichnis von Endnoten (399–578) und eine Bibliografie (579–628) sowie Autoren-, Sach- und Primärquellenverzeichnis (579–680). Im Folgenden kann nur jeweils eine engere Auswahl beispielhaft besprochen werden.
Der erste Hauptabschnitt (11–101) geht auf insgesamt 72 Personen und Personenkreise aus dem Umfeld Jesu in seinen letzten irdischen Tagen, die nicht alle namentlich bekannt sind (z. B. die zwei Verbrecher am Kreuz), ein. Zum Beispiel erwähnt Schnabel, dass der Name „Jesus“ bei Josephus (Flavius) bei 19 Personen mit diesem Namen erscheint (14).
In Bezug auf die aramäische Schreibweise des Zusatznamens von Petrus (19) hat sich offensichtlich ein Fehler eingeschlichen: כֵּיפָא und nicht כֵּיפָע sollte es heißen. Zu erwähnen wäre dabei noch, dass die hebräische Entsprechung כֵּף heißt (vgl. Jer 4,29; Hi 30,6). Der Name „Iskarioth“ ist nach Schnabel am besten vom hebräischen Ausdruck אִישׁ קָרִיּוֹת her zu erklären, was „Mann von Karioth/Kerioth“ bedeutet (26). Andere leiten den Namen vom aramäischen Wort אִישְׁקַרְיָא ab, was so viel wie „Lügner“ oder „falscher Mensch“ heißt (27). In der modernen hebräischen Übersetzung wird der Name – wohl richtigerweise – mit אִישׁ קְרִיּוֹת = „Mann von Kerioth“ wiedergegeben, wobei קְרִיּוֹת die Pluralform von קִרְיָה = „kleine Stadt, Vorort; Campus“ ist. Karioth bzw. Kerioth – heute Krajot, arabisch Qaryut – ist ein Dorf auf dem Berg (Hügel) auf der Nordseite von Schilo (Silo). Wenn Judas von dort kam, würde das wohl bedeuten, dass einer der Apostel Jesu ein Samariter war.
Auf Nikodemos (Νικόδημος) geht Schnabel etwas ausführlicher ein (35–40). Der griechische Name wird im Hebräischen mit נקדימון (נַקְדִּימוֹן) wiedergegeben. Es spricht einiges dafür, dass „Nikodemus, Sohn des Gurion“ (נקדימון בן גוריון), der im Talmud wiederholt erwähnt wird und im Jüdischen Krieg (ab 66 n. Chr.) eine führende Rolle spielte, ein Neffe von dem Nikodemus aus Joh 3 war, dass also Gurion ein Bruder von diesem Nikodemos war. In Bezug auf Joseph von Arimathäa erwähnt Schnabel, dass Arimathäa gewöhnlich mit Ramathajim („vom Gebirge Ephraim“) aus 1Sam 1,1 (36 km nordwestlich von Jerusalem), der Heimat von Elkana und seiner Familie, identifiziert wird (40). 1Makk 11,33f zufolge wurde im 2. Jh. v. Chr. bestimmt, dass die drei Städte Ephraim (Ofra [heute Taybe] nördlich von Jerusalem und in der Nähe von Bethel), Lydda (15 km südwestlich von Ramathaim) und Ramathaim von Samaria an Judäa übergehen sollten. Damit ist auch geklärt, warum Arimathäa in Lk 23,51 als „Stadt in Juda/Judäa“ beschrieben wird.
Schnabel identifiziert „Maria, die [Frau] des Klopas“, in Joh 19,25 mit der „Schwester seiner [Jesu] Mutter“, die im gleichen Vers erwähnt wird (51). Wenn der genannte Klopas mit dem Kleopas von Emmaus (vgl. Lk 24,18) gleichzusetzen ist, was anzunehmen ist, und wenn dieser Kleopas ein Bruder von Joseph, dem (rechtlichen) Vater Jesu, war, wie in der Alten Kirche bezeugt wurde, so würde das bedeuten, dass die Mutter Jesu und auch ihre Schwägerin beide Maria (bzw. Mirjam) hießen. Entsprechend ist es für Schnabel unwahrscheinlich, dass es sich bei der Schwester der Mutter Jesu von Joh 19,25 um die Mutter der Zebedäus-Söhne handelt, und auch die Identifikation der Mutter der Zebedäus-Söhne mit Salome von Mk 15,40 wird von Schnabel nicht gesehen (55). Es spricht aber altkirchlich viel dafür, dass die Mutter der Zebedäus-Söhne eine Schwester Marias, der Mutter Jesu, war und dass beide auch priesterliche Adern hatten (Elisabeth, die Frau vom Priester Zacharias, war wohl eine Tante von Maria; vgl. Lk 1,36). Dadurch wird erklärt, warum die Zebedäus-Söhne nach dem Wunsch ihrer Mutter „Minister“ zur Rechten und zur Linken Jesu bei seiner Königsherrschaft sein sollten (vgl. Mt 20,21–23), warum Jesus seine Mutter dem Zebedaiten Johannes anbefiehlt (vgl. Joh 19,26f) und warum dieser Johannes dem Hohepriester bekannt war (vgl. Joh 18,15f) und sich im Umkreis des Hohepriesters so gut auskannte (vgl. z. B. Joh 18,10.26).
Was Pontius Pilatus betrifft, so geht Schnabel davon aus, dass dieser wohl nicht ab 26 n. Chr., sondern bereits ab 19 n. Chr. (bis 37 n. Chr.) Präfekt von Judäa war (92). Die Begründung dafür findet man bei Schnabel jedoch erst auf S. 450 in der entsprechenden Endnote (574). Die „traditionelle Datierung“ geht nämlich von Eusebius (Hist Eccl 1,9) aus, während die Datierung von Schnabel (im Einklang mit Daniel R. Schwartz, Jerusalem) von Josephus (Ant 18,35.89) ausgeht.
Im zweiten Themenbereich unter der Überschrift „Places“ (102–138) werden 17 Orte beschrieben. Die Karte von „Jerusalem im Jahr 30 n. Chr.“ auf S. 106 (siehe auch 235) lokalisiert den Hasmonäerpalast in die Nähe des Gennath-Tores („Gartentor“) östlich vom Jaffator, und zwar direkt auf der Südostseite davon. Damit wäre das heutige Wohl-Museum, das sich wahrscheinlich an dem Ort der Villa der hohepriesterlichen Hannas-Familie befindet (vgl. auch 122–124), weiter östlich vom Hasmonäerpalast gewesen. Der eventuelle Wohnort des Hohepriesters Kaiphas wird von Schnabel vom Hasmonäerpalast etwas weiter zum Süden/Südosten lokalisiert, wobei die Möglichkeit, dass Kaiphas in derselben Villa wie sein Schwiegervater Hannas residierte, auch zur Sprache kommt (124f).
Beachten sollte man dabei u. a., dass Joh 18,13ff offensichtlich voraussetzt, dass Petrus am gleichen Ort bzw. im gleichen Hof blieb, als Jesus von Hannas zu Kaiphas gebracht wurde, und trotzdem immer noch in der Nähe von Jesus war. Das spricht stark zugunsten der Vermutung, dass Hannas und Kaiphas damals im selben Gebäude residierten. Und der Hasmonäerpalast muss nach der Beschreibung des Josephus (vgl. z. B. Josephus, Ant 2,344; 20,189f) nordöstlich vom Wohl-Museum gelegen haben (wohl bei den Überresten der antiken Kirche, die man auf der linken Seite sieht, wenn man auf der südwestlichen Seite vom Tempelberg die Treppe u. a. in Richtung „verbranntes Haus“ und Wohl-Museum hochsteigt).
Der Oberste Gerichtshof befand sich nach der Mischna in einer Quaderhalle (לִשְׁכַת הַגָּזִית; vgl. z. B. mSanh 11,2). Schnabel weist nun darauf hin, dass das hebräische Wort גָּזִית („Quader“) in der LXX auch mit ξυστός wiedergegeben wird (allerdings nur in 1Chron 22,2; in Am 5,11: ξεστός). Josephus zufolge ließ Agrippa II. „die Menge in den Xystus zusammenrufen und stellte sich an einer von überall her sichtbaren Stelle des Hasmonäerpalastes zusammen mit seiner Schwester Berenike auf. Der Palast stand oberhalb des Xystus [eine überdachte Sporthalle; vgl. 1Makk 1,14f; 2Makk 4,11–15] an der Grenze der Oberstadt, auch war eine Brücke vorhanden, die den Tempelbezirk (das Heiligtum) mit dem Xystus verband. Dort hielt Agrippa folgende Rede …“ (Josephus, Ant 2,344; vgl. auch u. a. ders., Bell 6,324f.377).
Die Sitzungen des (gesamten) Hohen Rats fanden Josephus zufolge in der Säulenhalle am Xystus statt (Bell 5,144) – in Bell 6,354 wird das „Rathaus“ (βουλευτήριον) allerdings im Zusammenhang mit dem „Ophel“ (Südseite vom Tempelberg) erwähnt. Die Mischna (mMid 5,4) betont ihrerseits, dass „das große Synhedrium Israels“ seinen Sitz in der Quaderhalle auf der Südseite des Tempelhofes (הָעֲזָרָה == „Vorhof der Israeliten“) hatte (die Mischna kennt drei Gerichtshöfe in Jerusalem). Der Xystus wird auf jeden Fall von dem „Rathaus“ unterschieden. Schnabel weist darauf hin, dass unmittelbar auf der Südseite des Wilson-Bogens (neben der „Klagemauer“) am Tempelberg eine prächtige Halle aus der Zeit des Zweiten Tempels entdeckt worden ist. „This is the most likely site of the Sanhedrin building in which the verdict in Jesus’ Jewish trial was pronounced“ (127).
Das Prätorium, in dem Jesus vor Pilatus stand (vgl. Mt 27,27; Mk 15,16; Joh 18,28.33; 19,9), wird von Schnabel mit dem Herodespalast (südwärts vom Jaffator) identifiziert (127–129), was historisch zumindest für andere römische Stadthalter von Judäa bestätigt wird. Die Ansicht von Shimon Gibson zu dem „Pflasterstein“ (Λιθόστρωτος; גַּבְּתָא), wo nach Joh 19,13 die Rednertribüne bzw. der „Richterstuhl“ des Palastes war (siehe dazu 131), ist mir durch eine persönliche Führung von Gibson bekannt. Demnach wurde Jesus über die Treppe, die man heute noch ca. 150 m südwärts vom Jaffator sieht und wo es wahrscheinlich einen „geheimen“ Eingang (nach Gibson einen „Privateingang“) zum Palast gab, zu Pilatus geführt (ein kleines Schild macht heute darauf aufmerksam). Wie Joh 19,13 zum Ausdruck bringt, war der Ort auf jeden Fall außerhalb des Palastes, da Jesus von Pilatus dorthin hinausgeführt wurde.
Unter der Überschrift „Timelines“ (139–151) begründet Schnabel zuerst, warum davon auszugehen ist, dass Jesus im Jahr 30 n. Chr. gestorben ist (am 7. April). Dann geht er auf die einzelnen Tage der letzten Woche Jesu ein, bevor er u. a. auf die verschiedenen Lösungsvorschläge in Bezug auf den scheinbaren Widerspruch zwischen den synoptischen Evangelien und dem Johannesevangelium bei der Datierung des Letzten Mahles Jesu zu sprechen kommt (144–147). Beachtet werden sollte dabei auch, dass jemand, der einen Mitjuden vor einem Nichtjuden anklagt, in der pharisäischen Tradition als verpönt galt. Nach Mt 27,12 wird Jesus von den „Hohepriestern und Ältesten“ vor Pilatus angeklagt (vgl. auch Mt 27,20; sonst werden allgemein in dem Zusammenhang nur die „Hohepriester“ genannt [vgl. Mk 15,3; Joh 19,6.15], in Lk 23,10 daneben auch die „Schriftgelehrten“), wobei nicht gesagt wird, ob ein Teil davon Pharisäer war (erst in Mt 27,62 werden die Pharisäer – neben den „Hohepriestern“ – wieder ausdrücklich erwähnt). Wahrscheinlich ist, dass diejenigen, die Jesus anklagten und sich dabei nicht „verunreinigen“ wollten, weil sie am Abend das Passa essen wollten (vgl. Joh 18,28), Sadduzäer waren. Zudem zeigt mChag 2,4, dass es zwischen der Schule Schammais und der Schule Hillens unterschiedliche Ansichten darüber gab, wann der „Tag des Schlachtens“ sein soll, wenn ein Fest auf den Rüsttag (Freitag) fällt.
Im Abschnitt über „Ereignisse“ (152–375) geht Schnabel z. B. auf die Salbung in Bethanien, die Tempelreinigung, die Verfluchung des Feigenbaums, die Diskussionen Jesu mit den Pharisäern und Sadduzäern und die Endzeitrede Jesu ein. Das Letzte Mahl Jesu mit seinen Jüngern wird im Kontext des jüdischen Passafestes erläutert (202–214). Anschließend werden die Anschuldigungen, die vom Hohen Rat der Juden gegen Jesus vorgetragen wurden, im Kontext der antiken jüdischen Gerichtsverhandlungen – wie sie z. B. im Mischnatraktat Sanhedrin dargelegt werden – besprochen (242–266). Dann wird – wiederum recht ausführlich – der Prozess Jesu vor Pilatus und Herodes Antipas erläutert (266–307), bevor die Ereignisse um die Kreuzigung und die Auferstehung Jesu thematisiert werden (307–375).
Im letzten Hauptabschnitt unter der Überschrift „Significance“ (376–398) geht es u. a. um die Messianität Jesu, Jesu Haltung zum Tempel, Jesu Tod und Auferstehung sowie um die Mission derer, die Jesus nachfolgen („bis an das Ende der Erde“).
Das Buch von Eckhard Schnabel geht auf insgesamt sehr sorgfältige Recherchen zurück, und wer auch immer die umfangreiche Monografie durcharbeitet, wird das mit viel Gewinn tun. Primärquellen aus der Antike scheint der Autor aber weniger selbstständig untersucht zu haben, was natürlich zusätzlich mit viel Zeit verbunden ist. Störend ist aus meiner Sicht, dass die vielen Endnoten (399–578!) nicht als Fußnoten erscheinen. So wird sich wohl kaum jemand die Mühe machen, auch nur einige der vielen Ausführungen in den Endnoten zu lesen.
Jacob Thiessen, Prof. für Neues Testament an der Staatsunabhängigen Theologischen Hochschule Basel