Neues Testament

Michael Schröder: Das Galiläa der Heiden

Michael Schröder: Das Galiläa der Heiden. Untersuchungen zur Galiläakonzeption im Matthäusevangelium, WUNT II/550, Tübingen: Mohr Siebeck, 2021, Br., 557 S., € 109,–, ISBN 978-3-16-159072-6


Die Monografie wurde im Jahr 2018 an der Fakultät für Humanwissenschaften und Theologie der Technischen Universität Dortmund als Dissertation angenommen. Als Promotor betreut wurde die Dissertation durch den emeritierten Neutestamentler Prof. Dr. Rainer Riesner.

Die umfangreiche Monografie (557 Seiten) beschäftigt sich zuerst mit „Galiläa im Alten Testament und in den Schriften des Frühjudentums“ (5–103). Der zweite Hauptpunkt steht unter dem Titel „Galiläa der Heiden – ein heidnisches Galiläa? Ein forschungsgeschichtlicher Überblick“ (105–203). Anschließend geht es um „Einleitungsfragen zum Matthäusevangelium“ (205–231), dann um die „geografischen Angaben bei Matthäus und Markus“ (233–306), sodann um die „Exegese der geografischen Angaben im Matthäusevangelium“ (307–493), und am Schluss folgen „Ertrag und Ausblick“ (495–499). Der Titel der Monografie lehnt sich an Jes 8,23 (גְּלִיל הַגּוֹיִם) und der entsprechenden Bezugnahme in Mt 4,15 (Γαλιλαία τῶν ἐθνῶν) an. Im Folgenden sollen lediglich eine Auswahl von Aspekten in Bezug auf die Stärken und Schwächen der Monografie dargelegt werden.

Zuerst legt Schröder unterschiedliche Ansichten der Forschung über den Begriff „Galiläa“ in seiner Herkunft und Bedeutung dar. Schröder zufolge scheint es angebracht zu sein, „zunächst einmal dieses Wort [גָּלִיל] mit ‚Kreis‘ oder einfach nur ‚Gegend‘ zu übersetzen“ (7). Die Einwohnerzahl von Galiläa zur Zeit des Neuen Testaments wird im Anschluss an die Forschung auf 200 000 geschätzt (10).

In Bezug auf den Gebrauch des Begriffs גָּלִיל im Alten Testament kommt Schröder zum Schluss, dass damit eine Landschaft bezeichnet werde, „deren genaue Lage und Größe wir heute nicht mehr rekonstruieren können. Das Kerngebiet lag nahe des Sees Gennesaret und zugleich westlich des Jordans. Es reichte vermutlich bis knapp über den Ḥule-See im Norden; gen Westen dürfte die Stadt ‚Kabul‘ die Grenze sein“ (27). Da „eindeutig vorausgesetzt werden“ könne, dass der Schreiber von Jes 8,23 „aus der Perspektive westlich des Jordans formuliert“, sei in Bezug auf den Ausdruck עֵבֶר הַיַּרְדֵּן (wörtlich etwa: „Durchquerung des Jordans“) „davon auszugehen, dass in Jes 8,23b das Ostjordanland gemeint sei“ (46).

Dabei sollte allerdings beachtet werden, dass der hebräische Ausdruck im Alten Testament manchmal auch mit „diesseits des Jordan“ übersetzt wird und sich sowohl auf das „Jenseits“ als auch auf das „Diesseits“ des Jordan beziehen kann – was leider in manchen Kommentaren usw. zu wenig berücksichtigt wird. Zudem zitiert Matthäus Jesaja, was nicht so verstanden werden muss, dass Matthäus damit das Ostjordanland bezeichne. Was den Gebrauch des Wortes גָּלִיל im Alten Testament betrifft, so wird er, wenn er undefiniert ist, im Sinn von „(welliges) Gebiet, (wellige) Gegend“ gebraucht, während der Begriff, wenn er definiert ist (was in Jes 8,23 durch das anschließende „der Heiden“ der Fall ist), die Landschaft Galiläa bezeichnet.

Schröder weist zudem darauf hin, dass die LXX den Plural-Ausdruck גְּלִילוֹת פְּלָשֶׁת („die Gegenden der Philister“) in Joel 4,4 mit Γαλειλαία ἀλλοφύλων („Galiläa der Andersstämmigen“; vgl. dazu auch 1Makk 5,15 bzw. S. 70ff) übersetzt, was für ihn bedeutet, dass der Plural גְּלִילוֹת an dieser Stelle als Landschaftsbezeichnung verstanden wird (61; zu Hes 47,8 und Jes 33,9 vgl. 62). Die „immer noch bei einigen Forschern anzutreffende zustimmende Beantwortung“ der Frage, ob Galiläa zur Zeit des Neuen Testaments teilweise heidnisch geprägt gewesen sei, kann nach Schröder „so nicht aufrechterhalten werden“ (102). „Es gibt – bis auf 1Makk 5 – keinen Hinweis auf eine Redewendung, die ein heidnisches Galiläa zum Thema hat“ (102).

Am Schluss seiner Forschungsübersicht zum Thema „Galiläa der Heiden“ (105–203) betont Schröder nochmals, dass sich „mit aller Vorsicht … festhalten“ lasse, „dass Galiläa zur Zeit des Neuen Testaments jüdisch geprägt war“ (202). Daraus zieht Schröder den Schluss, dass der Blick darauf zu lenken sei, „welche Bedeutung den Ortsangaben in den Evangelien zukommt“ (203).

Am Anfang der Ausführungen zu den „Einleitungsfragen zum Matthäusevangelium“ (205–232) betont Schröder, dass der oft postulierte „Konsens“, es habe sich bei den neutestamentlichen Evangelien ursprünglich um anonyme Schriften gehandelt, „in den letzten Jahrzehnten solche Risse erhalten“ habe, „dass man geneigt ist, das häufiger zu hörende Wort von der ‚neuen Unübersichtlichkeit‘ auch an dieser Stelle in Anschlag zu bringen“ (206).

Das MkEv wird von Schröder etwa 66–68 n. Chr. datiert (221), während das Matthäusevangelium vor dem Jahr 100 n. Chr. datiert wird, und zwar, weil es „sehr wahrscheinlich“ sei, „dass das MtEv von dem bzw. den Verfassern der Didache und von Ignatius bekannt und benutzt wurde“ (226). In Bezug auf die Zwei-Quellen-Hypothese folgert Schröder, dass es „trotz aller berechtigten Einwände“ angebracht scheine, „davon auszugehen, dass Markus das älteste der synoptischen Evangelien ist und dass Matthäus und Lukas weitgehend unabhängig voneinander darauf zugreifen konnten“ (231).

Diese Grundannahme prägt naturgemäß die folgenden Ausführungen über die „geografischen Angaben bei Matthäus und Markus“ (233–306). Dabei untersucht Schröder, wo sich bei Mk und Mt allgemeine geografischen Angaben befinden und speziell wo und wie auf Galiläa Bezug genommen wird. Größere Abweichungen zwischen den zwei Evangelien bei den Paralleltexten erkennt Schröder nur „in dem Bericht von der Heilung des Geraseners“ (306) – allerdings ohne Hinweis darauf, dass es diesbezüglich in allen drei Evangelien jeweils drei Textvarianten gibt: Gadarener, Gerasener bzw. Gergasener. Die restlichen „wenigen Abweichungen“ lassen sich Schröder zufolge „in den meisten Fällen als redaktionelle Arbeit erkennen“ (306).

Die Behandlung der „Exegese der geografischen Angaben im Matthäusevangelium“ (307–493) nimmt den größten Umfang der Monografie ein. Dabei geht es um die Ortsangaben in Mt 1–2 (307–378), Mt 3–4 (378–436) und Mt 26–28 (436–493). In Bezug auf das Zitat in Mt 2,6 aus Mi 5,1 stellt Schröder fest, dass Mt mit der Aussage ὅστις ποιμανεῖ τὸν λαόν μου τὸν Ἰσραήλ „einen neuen Gedanken“ biete, „der im Michatext so nicht zu finden ist“ und wahrscheinlich ein „Zitat aus 2Sam 5,2“ darstelle (337). Allerdings sollte dabei beachtet werden, dass der Inhalt sehr wohl in Mi 5,3 erscheint und dass Matthäus die Schriftgelehrten von Jerusalem zitiert, welche die Stelle aus Mi 5,1 gegenüber von Herodes bewusst anzupassen scheinen. Der griechische Ausdruck ἡ περίχωρος τοῦ Ἰορδάνου in Mt 3,5 (vgl. Lk 3,3; vgl. dazu 383f) entspricht dem hebräischen Ausdruck כִּכַּר הַיַּרְדֵּן (vgl. dazu u. a. Gen 13,10), womit die kreisförmige Jericho-Talebene gemeint ist (vgl. z. B. Deut 34,3), und sollte entsprechend mit „Kreis am Jordan“ übersetzt werden (vgl. dazu Jacob Thiessen: Auf Jesu Spuren im Heiligen Land, Ansbach: Logos Editions, 2020).

In dem Abschnitt „Ertrag und Ausblick“ (495–499) betont Schröder richtig, dass man daraus, dass in Mt 4,15 vom „Galiläa der Heiden“ die Rede ist, nicht ableiten sollte – wie das oft getan wurde –, dass Jesus sich „bewusst von solcher Frömmigkeit distanziert“ habe, „wie sie in Judäa und vor allem im Umfeld des Tempels praktiziert wurde“, und dass Jesus sich eher den „Außenseitern zugewandt und … zeitlebens mit Heiden Kontakt“ gehabt habe, „da diese in seinem unmittelbaren Umfeld lebten“ (495). Schröder zufolge scheint Matthäus darum zu ringen, „dass es ein Volk aus Juden und Heiden ist“ (498). Er zieht die Schlussfolgerung: „In diesem Sinne wäre Galiläa der Ort, wo das jüdische Volk das Heilsangebot Gottes im Lehren und Handeln Christi erfahren kann, und es ist zugleich der Ort, der zum Hoffnungszeichen für die Völker wird“ (499).

Die Monografie von Schröder gibt einen relativ breiten Einblick in die Forschung in Bezug auf die behandelte Thematik. Die eigenen Standpunkte bleiben demgegenüber grundsätzlich vorsichtig-abwägend und manchmal sehr zurückhaltend. Das ist an und für sich sicher auch eine gute Tugend. Aus meiner Sicht wäre es jedoch hilfreicher gewesen, wenn Schröder sich in der Thematik mehr eingeschränkt hätte, dafür aber in der eigenen exegetischen Arbeit sorgfältiger und gründlicher wäre. Dann hätte auch die entsprechende Antwort auf die unterschiedlichen Standpunkte der Forschung konkreter ausfallen können. Und die Arbeitsthese, Matthäus habe Markus gekannt, „gebraucht“ und „überarbeitet“ – mit der Schröder durchaus kritisch umgeht, aber er überwindet sie nicht –, sollte endlich aufgegeben werden, weil sie dauernd zu Fehlschlüssen führt. Ebenso sollte in der Exegese der neutestamentlichen Evangelien noch sorgfältiger darauf geachtet werden, wo die Evangelisten nicht „selbst zu Wort kommen“, sondern andere Autoren bzw. Personen zitieren.


Prof. Jacob Thiessen, Neues Testament an der Staatsunabhängigen Theologischen Hochschule Basel, Basel