Notger Slenczka: Theologie der reformatorischen Bekenntnisschriften
Notger Slenczka: Theologie der reformatorischen Bekenntnisschriften. Einheit und Anspruch, Leipzig: EVA, 2020, Hb., 736 S., € 68,–, ISBN 978-3-374-06531-8
Der Berliner Systematiker legt hier den ersten Band eines auf zwei Bände angelegten Gesamtentwurfs vor, den er der „Leitfrage“ unterstellt, „wie der normative Anspruch von Texten, die überwiegend aus dem 16. Jahrhundert stammen, sich in der Gegenwart darstellt“ (32). Das ist bei der Beurteilung dieses Bandes zu berücksichtigen, denn an vielen Stellen, wird (noch) nicht klar, worauf die Überlegungen des Verfassers hinauswollen. So deklariert er selbst die vorliegende Publikation als „Zwischenstand“ und benennt die Frage nach dem „Verhältnis von Lehre und Evangelium“ als eine von vielen Fragen, die (vorerst) „ungelöst bleiben“ (35 mit Anm. 11). Die großen Lücken bei der Rezeption einschlägiger Sekundärliteratur begründet Slenczka mit einem „Bekenntnis zur Endlichkeit“ (35). So fehlt ein Hinweis auf den lesenswerten und in mancherlei Hinsicht auch für die von Slenczka angerissenen Fragestellungen aufschlussreichen TRE-Artikel von Johannes Wirsching (einst immerhin ebenfalls Systematiker in Berlin) über die „Bekenntnisschriften“ ebenso wie die Wahrnehmung der gründlichen Durchklärung des doctrina-Begriffs der lutherischen Bekenntnisschriften in der Dissertation von Gottfried Martens: Die Rechtfertigung des Sünders – Rettungshandeln Gottes oder historisches Interpretament?, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1992. Gleichwohl benennt er gleich zu Beginn als entscheidendes Kriterium für den Umgang mit dem autoritativen Anspruch der Bekenntnisse als Reformation und Moderne verbindendes Moment die „Plausibilitätsanforderung“, näherhin die Frage, ob und inwiefern die Texte so einleuchten, dass sie „Selbstverständnis vermitteln“ (32). Allerdings soll der erste Band „die Gegenwartsfähigkeit der Bekenntnisse“ noch nicht selbst ausweisen, sondern diesen für den Folgeband angekündigten Schritt einstweilen nur vorbereiten (32; vgl. 92f).
In Aufnahme des Untertitels „Einheit und Anspruch“ geht es mithin im vorliegenden Band primär um die Darlegung der Einheit der reformatorischen Bekenntnisschriften. Gemeint ist die Einheit der lutherischen und reformierten Bekenntnisschriften, die bis dato in einschlägigen Werken jeweils für sich untersucht worden sind (für die lutherischen Bekenntnisschriften sind zu nennen: Fagerberg, Brunstäd, Schlink, Mildenberger, G. Wenz, für die reformierten: K. Barth, Jacobs, Rohls). Diese Einheit sucht Slenczka einerseits durch die Erschließung der historischen Entstehung und andererseits durch die Betonung der Gemeinsamkeiten zwischen den lutherischen und reformierten Bekenntnissen zu plausibilisieren. In der „Situation der Anfechtung“ als zentralem Kriterium, unter dem die Verfasser der Bekenntnisschriften ihre Entscheidungen fällen, sieht er den Einheitspunkt, der die Dokumente beider Lehrgestalten mit dem Plausibilitätskriterium der Moderne verbindet.
Zur historischen Einsicht gehört dabei die erfreuliche Wahrnehmung, dass in der Frühen Neuzeit auch nachreformatorisch die Balance von „fides qua“ (Glaube als existentielles Vertrauensverhältnis) und von „fides quae“ (Glaube als inhaltlich durch die Christusverkündigung geprägte Überzeugung) in der Regel gehalten wurde, wenn es heißt: „Diese wechselseitige Beziehung zwischen gegenständlichen Aussagen und der Existenz … haben praktisch alle Theologen der altprotestantischen Orthodoxie berücksichtigt, wenn sie am Ende ihrer Ausführungen zu Inhalten des christlichen Glaubens immer nach dem usus practicus, dem Sinn des Lehrstücks für den Lebensvollzug des Christen fragten“ (53). Allerdings verschiebt Slenczka selbst nun diese Balance zugunsten der „fides qua“, wenn er noch in seiner Einleitung formuliert, die Mitte der Bekenntnisschriften sei nicht in einer sachlichen Information zu suchen, sondern in einem bestimmten Selbstverständnis, „das sich in diesen Texten ausspricht“ (60). Diese Schwerpunktverschiebung sieht er im Höllenfahrtsartikel der Konkordienformel (FC 11) innerhalb des Corpus‘ der Bekenntnisschriften erstmals, einzigartig und vorbildlich umgesetzt (60; 92; 260; 707f). Daraus folgert der Berliner Systematiker, nicht die Rechtfertigung sei der Artikel, mit dem die Kirche steht und fällt, sondern die Höllenfahrt im Sinne einer nicht-gegenständlichen Existenzbestimmung.
Vor diesem Hintergrund lassen sich alle von den historischen Verfassern auf beiden Seiten zu ihrer Zeit noch wahrgenommenen inhaltlichen Gegensätze in zentralen Lehrfragen, wenn schon nicht relativieren, so doch neu einordnen. Sie verlieren ihren kirchentrennenden Charakter und werden zu divergenten Ausdrucksmöglichkeiten ein und desselben Existenzverständnisses. Slenczka legt mit seinem Werk mithin nicht weniger vor als die erste konsequent unionistische Theologie der Bekenntnisschriften. So heißt es in wünschenswerter Klarheit: „Diese ‚Theologie der reformatorischen Bekenntnisschriften‘ verfolgt über das Ziel, mit den Lehrdifferenzen den [sic!] beiden großen protestantischen Konfessionen vertraut zu machen, hinaus die Absicht, die in der Gegenwart mit der Leuenberger Konkordie erklärte Kirchengemeinschaft auch im Medium der bindenden kirchlichen Lehre darzustellen.“ (62f) Die Differenzen spielen sich gleichsam „nur“ auf der Ebene „propositionaler Sätze“ ab, während das darin sich jeweils ausdrückende existentielle Selbstverständnis als „gemeinsame Grundlage“ einer somit legitimierten „Theologie der reformatorischen Bekenntnisschriften“ dienen kann (63).
So kann zunächst im Konjunktiv formuliert werden, was im weiteren Verlauf dieses Bandes bei den theologischen Detailfragen immer wieder deklarativ beteuert wird: „Damit hätten wir es im Protestantismus mit dem Nebeneinander von Positionen zu tun, die differieren, einander aber wechselseitig zum jeweiligen Gewinn ergänzen und nötigenfalls korrigieren. Das würde aber näher bedeuten: dieser Dialog einander widersprechender Positionen ist kein Schaden des Protestantismus, sondern die Art und Weise, wie es ihn als wahrheitsfähige Position gibt. Das Luthertum stellt eine Weise des Verständnisses des Christentums dar, das angewiesen ist nicht auf eine unmittelbare Einigkeit mit ihrer reformierten Gegenperspektive, sondern genau auf diese Gegenperspektive“ (63f).
Die Einheit der Bekenntnisschriften aber ist somit nicht vorauszusetzen, sondern kann nur durch Erhebung der performativen Intention ihrer Texte bestimmt werden. „Es wird sich so ein Bild einer Einheit ergeben, die nicht auf der Ebene der Texte und ihrer Aussagen, sondern auf der Ebene der durch sie in ihrem Selbstverständnis gebildeten – in-formierten – Existenz liegt.“ (70) Historisch steht diesem Ansatz, der – wie Slenczka wiederholt explizit anmerkt – an Schleiermacher anknüpft und in der „Leuenberger Konkordie“ seinen zeitgemäßen Ausdruck findet, nur der lutherische „Konfessionalismus“ entgegen (71, mit Anm. 50). Die Übertragbarkeit auf das Verhältnis zu Rom und die dortige Bekenntnistradition aber werde durch die Differenz im Kirchenbegriff verhindert. Der mit Leuenberg erreichte Sachstand ist nach Slenczka auch in diesem Horizont Voraussetzung für das von den evangelischen Kirchen zu führende ökumenische Gespräch.
Ausgangspunkt der Untersuchung ist die CA, deren Absicht als „die Wahrung der glaubens- und damit kirchenkonstitutiven Medien des göttlichen Handelns“ (91) bestimmt wird. Von hier ausgehend hätte sich die Auseinandersetzung mit der profunden Arbeit von Gerhard Scheidhauer gelohnt, der aufzeigt, dass zumindest die lutherischen Bekenntnisschriften keineswegs nur lehrmäßige, sondern auch liturgisch-kirchenrechtliche Positionierungen markieren, die weit über einen form- bzw. institutionslosen Existentialismus (und damit auch über mancherlei Scheinalternativen) hinausführen (Das Recht der Liturgie. Zum Liturgie- und Rechtsbegriff des evangelischen ius liturgicum, [THEOS 49], Hamburg 2001). Gleichwohl liest man die nun folgende historische Kontextualisierung der Bekenntnisse des 16. Jahrhunderts mit Gewinn, in der Slenczka einen weiten, bereits im 14. Jahrhundert einsetzenden Bogen schlägt. Auch hier blitzen helle Lichter auf, wenn als Ergebnis des historischen Überblicks bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts auf die martyrologische (hier unter ausdrücklichem Hinweis auf Mt 10,32f, 136), der Sache nach katholische, politische und kirchenrechtliche Dimensionen der Bekenntnisse verwiesen wird (136f). Bei den Erwägungen zur Konkordienformel (FC) hingegen zeigt Slenczka ein wiederholtes Unbehagen gegenüber der „Massivität“ (142, 143), mit der schon Luther und erst recht die, die ihn in der FC rezipierten, an bestimmten Theologumena festhielten. Die gegenwärtige kirchenpolitische Selbstverortung findet hier ihr historiographisches Pendant, wenn der Verfasser – ohne Scheu vor Anachronismen – die Frage stellt, „ob die zunehmende Massivität, mit der Luther das extra nos des Heils gegen Zwingli betonte, angesichts des Zerbrechens der Einheit der reformatorischen Kirche [sic!] wirklich unentrinnbar ist“ (143).
So aber ergibt sich „[d]ie Einheit der reformatorischen Theologie als Prozess“ (148) schon deshalb, weil bei Luther selbst „kein eindeutiges Selbstverständnis“ (150) zu finden sei. Alles Institutionelle wird hier von Slenczka ausgeblendet und auf die – niemals wirklich verwunderliche – Vielfalt und Komplexität der Theologien der Reformatoren abgehoben (die ja doch aber in den Bekenntnissen gerade zu einem gemeinsamen Konsens gefunden hatten). So wird nun auch historisch quasi „erwiesen“, was dogmatisch vorausgesetzt ist, nämlich dass „der innerreformatorische Gegensatz“ „zum Wesen der reformatorischen Identität“ gehöre (151). Damit löst der postmoderne Identitätsbegriff das Konzept der Katholizität gleichsam ab. Das Ringen um Wahrheit und Irrtum wird dialektisch aufgehoben und verwandelt in ein „Konzert der Interpretationen eines Impulses, der erst im Verlauf dieser Interpretationen er selbst wird und sich dann kritisch seiner eigenen Vergangenheit bemächtigt“ (152). In diesem Prozess aber stellen die Bekenntnisse „Knotenpunkte“ dar und als solche vor die „Aufgabe der Fortführung des Prozesses der Selbstverständigung, dem diese Texte entstammen.“ (152)
Im weiteren Verlauf wendet sich der Verfasser den einzelnen Bekenntnisschriften mit ihren historischen und textgeschichtlichen Hintergründen je eigens zu. Als Ausgangspunkt und Grundlage der Entwicklung dient die CA. Bei den Erwägungen zu deren Aufbau bleibt der bahnbrechende Aufsatz von Albrecht Peters unerwähnt. Slenczka selbst sieht das inhaltliche Zentrum im Kirchenartikel (CA 7), der eine „Kirche ohne konstitutives Amt“ (213) definiere. Hierin liege der Grunddissens zu den Päpstlichen. Slenczka erwähnt, soweit ich sehen kann, nicht explizit, dass damit der in der „Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigung“ und deren Nachfolgedokumenten behauptete ökumenische Sachstand quasi in die Zeit des 16. Jahrhunderts zurückprojiziert werden kann, wenn schon damals der Grunddissens eben nicht (wie von den Reformatoren angenommen) in der Rechtfertigungsfrage, sondern in der Kirchenfrage bestanden hat. Dass man sich damals – jedenfalls auf lutherischer Seite – amtstheologisch (nicht aber rechtfertigungstheologisch) mit Rom in vielerlei (nicht in jeder!) Hinsicht noch eins wusste, wird hier völlig ausgeblendet. Auch hier hätte ein Blick in Scheidhauers Arbeit zum „ius liturgicum“ in den Bekenntnisschriften andere Horizonte eröffnen können. Umso leichter fällt so aber das Postulat einer grundlegenden Einigkeit mit der reformierten Tradition bei der Frage des kirchlichen Amtes.
Im Anschluss an seine Ausführungen zur Confessio Augustana thematisiert Slenczka eigens das Verhältnis von „Bekenntnis und Schrift“. Hier unternimmt er einen Antwortversuch hinsichtlich der Frage, die er zu Beginn seines Buches als noch ungeklärt in den Raum gestellt hatte, wie sich nämlich das Evangelium und die Lehre der Kirche zueinander verhalten. Ein Teil der Antwort lautet: „Das Evangelium sind weder die Sätze der Schrift noch die Sätze des Bekenntnisses, sondern das, was sich durch die Schrift am Leser vollzieht: dass er sich als beschenkt erfährt und in den Lebensmodus des dankbaren Empfangens versetzt wird“ (239). Auch hier ist der Einfluss Schleiermachers unübersehbar. Und man möchte fragen: Ist die Erfahrung des eigenen Beschenktseins mit der Christusgnade nicht das, was die Bekenntnistradition beider historischen Kirchwerdungen des 16. Jahrhunderts den Glauben nennt, den Glauben, der um seiner Gewissheit willen auf vorgegebene Glaubensinhalte (klassisch: das verbum externum) angewiesen ist, die ihm von außen zugesprochen werden und die im schriftbeschlossenen Evangelium von Christus ihren – um der Gewissheit willen bleibend externen – Grund haben? In welchem Sinn braucht es noch die von Luther gegen Erasmus vertretene Klarheit der Schrift als Voraussetzung jeglicher Glaubens- und Heilsgewissheit? Kommen Luther und Schleiermacher wirklich überein? – So aber tritt an die Stelle der Schrift als Appellinstanz die wie auch immer zu bestimmende „Mitte der Schrift“ (240) und bietet das Bekenntnis „keine Glaubensnorm“, sondern zielt auf den „Dienst am Bewusstsein der schlechthinnigen Abhängigkeit“ (257f, vgl. später immer wieder, z. B. 348). Dem gegenüber heißt es auch bei Slenczka später bei der Besprechung von CA 3 und 4, der Text stelle heraus, dass der Glaube nicht einfach eine Haltung sei, sondern auf einen Gegenstand bezogen und als solcher Glauben an Jesus (313), so dass der Glaube gerade nicht von sich selbst rede, sondern von Christus (319). Die Ausführungen zur Korrelation von Christus und Glauben im Kontext der lutherischen Bekenntnisschriften gehören zu den glänzenden Passagen in Slenczkas Werk. Indessen steht der Leser ratlos vor der Frage, was denn nun gelte hinsichtlich des Verhältnisses von Glauben und Glaubensinhalten – und wo hier Christus zu stehen komme.
Die skizzierten dominierenden Grundlinien jedenfalls setzen sich bei weiteren Detailfragen fort. Gemeinsam wenden sich lutherische und reformierte Bekenntnisse gegen die Ausgestaltung des päpstlichen Bußsakramentes. Dass diese Gemeinsamkeit indessen einen sachgerechten Ausdruck finde in der Äußerung der Confessio Helvetica Posterior, wonach es nicht nötig sei, dass jeder dem Priester in die Ohren säuselnd seine Sünde bekenne, ist vor dem Hintergrund des lutherischen und Lutherschen Absolutions- und Amtsverständnisses völlig undenkbar (274). Als gemeinsamer Nenner erscheint so freilich die Losung von der Entinstitutionalisierung der Gnadenmittel. Und immer wieder erfolgt dort, wo man beispielsweise in der Rede von der iustificatio als generatio den Hinweis auf die Taufe erwarten würde, schlicht die redundante Wiederholung, die Anerkennung der Alleinwirksamkeit Gottes äußere sich im Bewusstsein schlechthinniger Abhängigkeit (348). Zum Abendmahl wiederum ist nach Slenczka der in den reformierten Bekenntnissen zum Tragen kommende augustinische Zeichenbegriff eine stärkere Position, als von den Lutheranern insinuiert, gehe es doch beim durch Brot und Wein als Zeichen „angeregten Denken an Christus“ nicht um einen autonomen Denkakt, sondern um bewegtes Denken. Nicht das Wort (Christi), sondern der Glaube überbrückt demnach die Differenz von Zeichen und Bezeichnetem (448f). Später heißt es zum „reformierten Anliegen“ in der Abendmahlsfrage: „Das ist darum hochinteressant, weil damit in der Tat ein Verständnis der Wirklichkeit Christi etabliert ist, die [das?] den Glauben als Grund der Wirklichkeit versteht: indem der Mensch sich entsprechend der Zusage bzw. des Zeichens versteht als derjenige, der eins ist mit Christus, ist er der Ort der Realpräsenz Christi.“ (509).
Zu den großen Themenkreisen Sünde, Glaube und Rechtfertigung sowie Abendmahl und Christologie bespricht Slenczka nacheinander die jeweiligen Ausführungen der lutherischen und der reformierten Bekenntnisse und stellt die Differenzen implizit oder explizit als unterschiedliche „Anliegen“ in den Raum. Als gemeinsames Anliegen in der Abendmahlsfrage und in der Christologie benennt er für die Konkordienformel wie für den Heidelberger Katechismus den Umgang mit der Situation des angefochtenen Glaubens, in der er wiederum eine Analogie zur existentialen Bestimmung des Glaubens in der Moderne erkennt. In der Abendmahlsfrage könne den Lutheranern nicht vorgeworfen werden, sie verträten einen Kapernaitismus, während die Reformierten frei seien vom Vorwurf des Synergismus, da auch sie im Abendmahl das Zeichen und das Wort als Medium forderten, durch das Christus im Geist gegenwärtig sei. Zwar könne man divergente Gewichtungen nicht übersehen, die aber keineswegs einander ausschließende Positionen repräsentierten (Vgl. mit Nachdruck 479: „Dass diese Positionen einander ausschließen müssen, kann ich nicht sehen.“ [auch 714]).
Eigene – je für sich lesenswerte – Abschnitte widmet der Verfasser den Katechismen Luthers und dem Heidelberger Katechismus, zu dem sich gerade in der Sakramentenlehre interessante kritische Anmerkungen finden. Schließlich nimmt Slenczka mit der Gnadenwahl bzw. der Prädestination wieder einen thematischen Schwerpunkt in den Blick. Hier werden zunächst die unterschiedlichen Verortungen der Lehraussagen in beiden Konfessionen bestimmt, bevor die Prädestinationslehre in den Dordrechter Canones und die Erwählungslehre in FC XI eingehend untersucht werden. Auch hier sei trotz mancher Engführungen festzustellen, dass keine Lesart mit der anderen inkompatibel sei. Das gelte zumal, wenn beachtet werde, dass es auch in diesem Lehrstück nicht um gegenständliche Informationen gehe, sondern um „Ausdrucksphänomen[e]“ der Heilsgewissheit (597).
Es folgt eine Würdigung des Artikels von der „Höllenfahrt Christi als articulus stantis et cadentis ecclesiae“ (601), auf die Slenczka vorweg immer wieder als erkenntnisleitende Prämisse verwiesen hatte. Nicht reflektiert wird hier indessen, dass es für die Bekenner von damals jedenfalls auf lutherischer Seite zwar bei der Höllenfahrt (wie auch bei der Himmelfahrt Christi) um räumlich nicht in dieser Zeit und Welt lokalisierbare Vorgänge bzw. Übergänge in die Ewigkeit geht, die aber nichtsdestoweniger realiter geschehen sind und an der objektiven Wirklichkeit dessen, was zuvor war und galt hinsichtlich des Heils der Menschen eine spürbare und prädizierbare Veränderung zur Folge haben. Weil Himmelfahrt und Höllenfahrt Christus betreffen – unabhängig von menschlichen Bewusstseinsständen – wirken sie sich im Glauben heilsam auf die Menschen und deren Sein vor Gott aus, denen diese Taten Christi verkündet werden.
Slenczka lässt seine Arbeit einmünden in eine kurze Behandlung der Barmer Theologischen Erklärung und in eine ausführliche Würdigung der Leuenberger Konkordie, deren Methode der Konvergenz voneinander als Anliegen ergänzenden unterschiedlich nuancierten Lehrpositionen er in seinem Werk letztlich auf die gesamte reformatorische und nachreformatorische Bekenntnistradition ausgeweitet hat. Erwägungen zur Bekenntnishermeneutik schließen sich an, in denen auch Elert, Schlink und Brunner zu Wort kommen, die jeweils den existentiellen Aspekt des Bekenntnisses nicht übersähen, auch wenn sie an dessen propositionalem Gehalt festhielten. Diese Erwägungen münden in eine assertio, die jeden von Albrecht Peters, Heinrich Vogel und anderen Theologen des 20. Jahrhunderts (aber auch von Slenczkas eigenen Ausführungen auf S. 136, s. o.) herkommenden Theologen überraschen werden, wenn es heißt: „Das Aussprechen des Glaubens in einer Situation, in der es um Bekennen und Verleugnen ging, ist nicht die Funktion auch nur eines der Bekenntnisse gewesen, die im 16. Jahrhundert entstehen und gemeinsam eine neue Gattung konstituieren. Keines von ihnen hatte jemals die Funktion, individuell oder kollektiv-liturgisch Ausdruck eines Bekenntnisaktes nach Mt 10 zu sein; das gilt für die lutherischen ebenso wie für die reformierten Bekenntnisschriften“ (697). Mit Mt 10 ist damit letztlich auch der Horizont des Jüngsten Gerichts bekenntnishermeneutisch suspendiert, der ja auch dann bliebe, wenn irdisch gesehen niemand das Christusbekenntnis herausfordern würde. So aber bleibt die für die Existenz der Kirche unter den Bedingungen der Moderne offenbar vor allem relevante „Funktion der Bekenntnisse als öffentliches Identitätsmerkmal“ (698) und als Einweisung in eine Schrifthermeneutik, in der die „Wahrheit der gegenständlichen Aussagen [darin] besteht […], dass sie auf einen Vorgang abzielen, der das Existieren im rückhaltlosen Vertrauen ermöglicht.“ (705)
Gattungsgeschichtlich wie theologiegeschichtlich markiert dieser erste Teil des bekenntnistheologischen Werkes des Berliner Systematikers die Vollendung der Unionisierung der evangelischen Theologie. Und man darf gespannt sein und wird vor einem Gesamturteil abwarten müssen, was Slenczka im zweiten Band folgen lassen wird. Als Referenzgröße zu den historischen und inhaltlichen Sachverhalten wird künftig keiner an diesem Werk vorbeigehen können, der an und mit den Bekenntnisschriften zu arbeiten gedenkt. Ob und wie die Ablösung des bei Slenczka ganz und gar zurücktretenden Prinzips der Katholizität durch den Identitätsbegriff sich darüber hinaus für Leben und Lehre der Kirche bis hin zum ökumenischen Dialog als förderlich erweist, wird sich zeigen. Alternativlos ist Slenczkas Ansatz nicht.
Prof. Dr. Armin Wenz, Lutherische Theologische Hochschule Oberursel