Susanne Schröter: Allahs Karawane
Susanne Schröter: Allahs Karawane. Eine Reise durch das islamische Multiversum, München: Beck, 2021, kt., 203 S., € 16,95, ISBN 978-3-406-77492-8
Wir leben in einer Zeit, in der das Bild des Islam und die Wahrnehmung von Muslimen in unserer westlichen Öffentlichkeit recht leicht auf einige problematische Aspekte reduziert wird. Vereinfacht werden Islam und Muslime mit Selbstmordanschlägen, Gewalt, Unterwanderung der Demokratie, religiösem Überlegenheitsgefühl und wirtschaftlich und kulturell rückständigen Ländern in Verbindung gebracht. In den letzten Jahrzehnten haben große Schlagzeilen zu tages- und weltpolitischen einschneidenden Ereignissen die Wahrnehmung im Westen geprägt. Dabei wird schnell übersehen, dass viele Muslime auf diesem Planeten sich eigentlich nichts anders wünschen, als viele Menschen in der westlichen Welt, nämlich in Ruhe und Frieden ihr Leben zu leben.
Schröters Buch folgt nicht den ausgetretenen Pfaden vereinfachender Verallgemeinerungen oder bagatellisierender Schematisierungen, was sich im Untertitel des Buches „Eine Reise durch das islamische Multiversum“ niederschlägt. Dies ist bereits ein wertvoller Beitrag. Ihre bisherige Forschung z. B. zu Biograien von Frauen im Islam oder auch zur Gruppe der Ahmadiyya-Muslime beschäftigte sich mit den Rändern des Islams. Ihre Forschung an den Rändern scheint auch in dem vorliegenden Buch immer wieder durch, nicht zuletzt bei der kritischen Auseinandersetzung mit einzelnen Aspekten ihres Themas. Das ist aber weder ein Hindernis noch ein Problem für das vorliegende Buch, sondern ein wertvoller Beitrag für wichtige Auseinandersetzungen. Es ist bedauerlich, dass manche Begrifflichkeit irritiert wie beispielsweise die „einer hermeneutischen Koranexegese“ (160). Exegese wird stets von einer Hermeneutik getragen und ist in diesem Sinne immer „hermeneutisch“.
Die Einblicke in das islamische Multiversum wirken wie ein Florilegium, bei dem Auswahlkriterien nicht dargelegt werden. Bisweilen sind die Entscheidungen ihrer Wahl nachvollziehbar, aber nicht immer. Aber vielleicht bestehen der Wert und die Stärke einer bunten Sammlung disparater Phänomene darin, dass sie einer begründeten und nachvollziehbaren Logik entbehrt. Man darf und sollte nicht erwarten, dass die Beispiele repräsentativ für den Islam oder die Muslime in dem jeweiligen Land sind. Wenn Hijras, biologische Männer mit weiblicher Identität, mit dem Untertitel „Zwischen Bordell und Schrein“ das Kapitel „Pakistan“ füllen, ist das interessant, aber eben nicht repräsentativ. In der Regel liefern die Einblicke einen guten Überblick über wichtige, häufig vernachlässigte Aspekte der jeweiligen geographischen Region, ihrer Geschichte und gesellschaftlich-politischen Dynamik. Dieser Überblick ist ein guter Einstieg und vermittelt eine hilfreiche Orientierung, was nicht zuletzt durch die Zusammenstellung wichtiger Perspektiven aus der Sekundärliteratur gelingt. So kann Schröters Buch zum Einlesen in verschiedene spannende und wertvolle Aspekte und Phänomene führen. Es wird die Spannung einer kolonialen Geschichte mit Spuren im politischen System und aktuellen Dynamiken beispielsweise im Falle Omans angedeutet (78–82). Das wird leider nicht vertieft. Ob das Programm des Opernhauses die Last von Schröters weitreichender Aussage tragen kann, wäre sicherlich noch einmal zu überprüfen: „Mit dem Programm seiner Oper konnte Sultan Qabus erfolgreich demonstrieren, dass eine Integration internationaler und arabisch-islamischer Kulturproduktionen möglich ist“ (82). Das wirkt recht optimistisch, steht in Spannung zu dem, was sie über das Verhältnis des Sultans zur religiösen Elite zu sagen weiß (87), und ist stark auf Veranstaltungen fixiert. Auch die Ebenbürtigkeit von Opernhaus und Moschee könnte man noch einmal reflektieren. Ist das „nur“ mit Blick auf das Gebäude gesagt? Was ist mit den Außenanlagen der Moschee? Werden sie ausreichend in den Blick genommen?
Das Randständige kommt mit ihren Forschungsinteressen bei der Darstellung des muslimischen Feminismus anhand von Amina Wadud (111–117) ebenso zum Ausdruck. Schröter widmet diesem Aspekt auffallend viele Seiten, spricht von einer „muslimischen Subkultur“ (115), die sich in den USA herausgebildet hat, und betont, dass dies nur ein Teil einer „umfassenderen Landkarte des progressiven Islams in den USA“ (117) darstellt. Auch die folgenden Kapitel zu Malaysia und der Beschreibung interessanter Dynamiken bei den Minangkabau sind davon getragen. Dieser bereichernde Aspekt des vorliegenden Buches wird aber an einigen Stellen dadurch getrübt, dass manche Perspektive und Schlussfolgerung überraschend und missverständlich wirkt. Inwiefern „profitieren in erster Linie Frauen und Mädchen“ von Entscheidungen, die im Kontext des zar-Kultes getroffen werden (60)? Die sich daran anschließenden Ausführungen erwecken an manchen Stellen den Eindruck, als ob dieser Kult und die zentrale Stellung von Frauen von ihnen „benutzt“ werden könnte, um eigene Ziele im Kontext einer Gesellschaft zu verfolgen, die von Männern dominiert wird (vgl. 67, 71). Ob diese Beschreibung den Dynamiken gerecht werden kann, bleibt fraglich.
Der Schwerpunkt auf die besondere Situation von Minderheiten (im asiatischen Kontext, insbesondere in China) und von Frauen kann als besondere Stärke angesehen werden. Insgesamt hält sich die Verfasserin mit wertenden Urteilen recht stark zurück. An wenigen Stellen durchbricht sie diese Anlage und das geschieht nicht immer auf gute Weise. Sie macht bisweilen recht weitreichende Aussagen, die vielleicht mehr ihren Wünschen und ihren Zielen entsprechen als dem beschriebenen Sachverhalt. Das auffälligste Beispiel tritt bemerkenswerterweise zutage, als sie von dem Kontext spricht, der ihr am nächsten steht: „In Deutschland haben sich trotz einer starken Präsenz islamistischer Organisationen bemerkenswerte Ansätze progressiver muslimischer Theologien herausgebildet. Das ist das Ergebnis der Einrichtung islamischer Lehrstühle an staatlichen Hochschulen. Parallel zu diesem wissenschaftlichen Aufbruch lassen sich auch in der Praxis neue Formate erkennen“ (157). Im ersten Satz könnte man im Grunde über jedes einzelne Adjektiv diskutieren. Die Reihenfolge der beiden folgenden Sätze und ihre gegenseitige Zuordnung wirft eine Vielzahl an Fragen auf. Der optimistische Ton der Aussage wird sich in den nächsten Jahren erst noch bewahrheiten müssen. Die Wirkungen von Khorchides Entwürfen können m. E. im Moment nicht bewertet werden. Man mag Schröters Begeisterung („Niemand hat den Islam hierzulande in einer sympathischeren Weise gezeichnet, hat ihn glaubhafter entdämonisiert und dadurch einen unschätzbaren Beitrag gegen Islamfeindlichkeit geleistet“; 161) für Khorchide teilen oder auch nicht. Es ist bedauerlich, dass wichtige Aspekte der Dynamik seiner Ablehnung durch muslimische Verbandvertreter von Schröter nur kurz erwähnt und bedauert, aber nicht vertiefend reflektiert werden. Die Frage, wie „liberale Initiativen“ von Muslimen hierzulande wahrgenommen werden, beantwortet Schröter bezeichnenderweise auf einer guten Seite mit einer persönlichen Begegnung, die sie hoffnungslos beschreibt, und mit der Aussage, dass eine liberale Moschee in Berlin nach vier Jahren „gut etabliert“ sei (171).
Schröters Gegenüberstellung von Ourghi und Khorchide ist aufschlussreich: „Während Khorchide fest in multireligiösen akademisch-theologischen Kreisen verankert ist, bewegte sich Ourghi eine Zeitlang in den Netzwerken säkularer Muslime und agiert zunehmend als Einzelkämpfer“ (162). Die Präsentation von Ourghi ist von der Einschätzung geprägt, dass seine Gedanken „radikaler, zorniger und unversöhnlicher“ (162) sind. Dabei kommen wichtige Aspekte zur Sprache wie die Beschreibung Muhammads und Interpretation seiner Person in diesen Entwürfen. Allerdings ist bedauerlich, dass man auf diesen Seiten vergeblich nach Hinweisen sucht, welche Bedeutung diese Frage für Muslime durch die Jahrhunderte und mit Blick auf ihre Quellentexte hat, um diese Beschreibungen einordnen zu können.
Heiko Wenzel, Ph.D. (Wheaton), ist Mitarbeiter am Akkreditierungsprojekt Campus Danubia in Wien