Altes Testament

Gregory R. Lanier / William A. Ross (Hg.): Septuaginta. A Reader’s Edition

Gregory R. Lanier / William A. Ross (Hg.): Septuaginta. A Reader’s Edition, 2 Bde., Peabody, MA: Hendrickson Publishers, 2018, Ln., XXIV+3318 S., € 98,–, ISBN 978-3-438-05190-5


Die als Septuaginta (LXX) bekannte Übertragung und Erweiterung der Hebräischen Bibel in das (frühe) nachklassische Griechisch stellt das entscheidende Bindeglied der beiden (christlichen) Testamente dar. Sie zu kennen und zu erforschen gewährt nicht nur reiche Einblicke in die Gedanken- und Lebenswelt des Antiken Judentums, es eröffnet einen neuen Blick auf die Bibel der ersten Christen – eine Perspektive, die seit langem intensiverer, ernsthafter Erforschung in allen bibelwissenschaftlichen Richtungen harrt. Erst allmählich lernt der wissenschaftliche Diskurs den Eigenwert dieses monumentalen Werkes jüdisch-christlicher Geschichte schätzen und tiefer zu heben als bisher. Noch viel zu häufig scheint der Schritt von BHS/BHQ zu LXX nur marginal und eher als Gehhilfe der Textkritik vollzogen. Auch die unbedingte Vorrangstellung der LXX für ein adäquates Verständnis weiter Teile des Novum Testament Graece (NTG) gerät bei Studierenden wie Pastoren und in Teilen der Forschung immer noch außer Blick.

Diese Kluft – sprachlich wie sachlich – versucht nun die Reader’s Edition zur Septuaginta zu überbrücken. Als zweibändiges Werk bietet sie neben einer knappen Einführung zu Apparat, Text, Gattung(en) und Sprache der LXX mit weiterführenden Leseempfehlungen (ix–xxiv) einen einzigartigen Vorzug: Eine volle Annotation, Bestimmung und kontextuell angemessene Übersetzungsmöglichkeit unbekannterer Wörter. „Unbekannter“ meint in diesem Fall jedes Lexem, das nur hundert Mal oder seltener in der LXX vorkommt oder mehr als hundert Mal in der LXX, aber weniger als dreißig Mal im NTG. In diesem Sinne unbekanntere Verben werden neben ihrer Lexikonform sogar en detail bestimmt. Bei mehreren Verstehensmöglichkeiten wird eine Auswahl angemessener Bedeutungen zur eigenen Urteilsbildung angeboten. Überhaupt zeichnet sich diese Reader’s Edition durch ihre interpretatorische Zurückhaltung aus. So legt sich diese LXX einzig auf die Textgrundlage von Rahlfs-Hanhart fest, enthält sich aber beispielsweise jedes Kommentars in der Identifikation (möglicher) Hebraismen oder stereotyper Äquivalente. Äußerst positiv ist zu bemerken, dass bei dem Vorkommen zweier distinktiver Textgrundlagen eben keine Entscheidung für eine einzige Tradition getroffen wurde, sondern dass beide Varianten auf der jeweils gegenüberliegenden Seite dargestellt werden. Damit ist eine synoptische Lesart und Analyse vorzüglich ermöglicht. Ein jeder solle sich selbst ein Bild machen, so die Herausgeber, und sich durch den Text arbeiten, bis dieser seinen Sinn preisgebe (xix). Auch lexikographisch wurden die neusten Erkenntnisse eingearbeitet, so sie denn tatsächlich als gesichert angenommen werden können. Obwohl sicher manche Einzelstudien zu anderen Ergebnissen kommen werden, bietet jede Bestimmung angemessenes Sinnpotenzial, um diesen Texten nachzugehen. Hierfür wurde besonders die Arbeiten von drei ausgezeichneten Kennern der LXX, Takamitsu Muraoka, Emanuel Tov und James K. Aitken, zurückgegriffen. Abgeschlossen wird der zweite Band mit einem Glossar zu den Grundbegriffen der LXX (1553–1566), also den Lexemen, die mehr als hundert Mal in der LXX und mehr als dreißig Mal im NTG gebraucht werden. Damit bietet das Werk eine durchgehende Lesehilfe für die gesamte LXX, ohne den Leser der Arbeit des eigenen Lesens und Denkens zu berauben. Sie ist ein Hilfsmittel zur Auseinandersetzung mit dem Text, aber kein Sublinearkommentar einer bestimmten Deutung oder Sichtweise.

Formal lässt sich die Lektüre schlicht als Genuss bezeichnen. Die Schriftart für das Griechische ist gestochen scharf, die Zwischenüberschriften zumeist sachlich angemessen und dezent, der Bestimmungsapparat sauber vom LXX-Text getrennt. Von besonderer Schönheit ist die moderne Typografie, die auch nach längerer Lektüre die Augen nicht ermüden lässt. Sie erlaubt eine überaus stilvolle Halbzentrierung eindeutig poetischer Texte, die die PsalmenLXX zu neuer Geltung kommen lässt. So werden die Psalmen in Übereinstimmung von Form und Inhalt zu einer besonderen Begegnung. Die großzügigen Ränder schaffen ausreichend Raum für persönliche Notizen und Querverweise. Persönlich bedeutende Stellen können durch zwei Lesebänder (je Band) markiert werden. Besonders erstaunlich für das Hause Hendrickson ist die exzellente Bindung in Leinen, welche neben der Unterstreichung von Wertigkeit und Inhalt auch Langlebigkeit ermöglicht. Die vorliegende Publikationskooperation mit der Deutschen Bibelgesellschaft scheint hier produktive Synergien in Inhalt wie in Produktion ermöglicht zu haben, noch dazu für den äußerst erschwinglichen Preis für beide Bände.

Wermutstropfen lassen sich kaum ausmachen. Sicher ist die Unhandlichkeit eines zweibändigen Werkes mit über 3300 Seiten ein Argument für Viele, dieses Werk in der Bibliothek zu konsultieren oder aber am Arbeitsplatz fest unterzubringen. Den Charakter eines Lebensbuches, das es zweifelsohne für jüdische wie (früh-)christliche Glaubensgemeinschaften war und ist, verliert es dadurch ein wenig. Inhaltlich ist aus philologischer Sicht an manchen Stellen zu fragen, ob ein formal medio-passives Verbum nicht auch in dieser Doppeldeutigkeit im Apparat hätte vermerkt werden müssen. Zudem ist das gesamte Werk einschließlich des durchlaufenden Bestimmungsapparates auf Englisch verfasst. Aufgrund des teilweise äußerst spezifischen (griechischen wie englischen) Vokabulars wird hier etwas Einarbeitung, gerade in die Annotationen, von Nöten sein. Letztlich: Dass auf Rahlfs-Hahnhart zurückgegriffen wurde und die wichtigen Erkenntnisse der Göttinger Ausgabe (wo sie vorliegen) außen vor geblieben sind, ist aus fachlicher Sicht schmerzlich, aus praktischer Sicht einer Reader’s Edition jedoch angemessen. Dies besonders als Textgrundlage einer ersten, womöglich persönlich-intuitiven Begegnung mit dieser hochrelevanten Sprech-, Denk- und Lebenswelt.

Nun ist zu hoffen, dass neben dem stärker werdenden Strom an nützlichen Hilfsmitteln zur Septuaginta, wie die deutsche Übersetzung von Karrer und Kraus (LXX.D), auch das Publikum für diese Texte neu zu gewinnen ist. Für Viele ist der Weg zur LXX auch mit Hilfe einer Reader’s Edition ein weiter. Und doch ist es ein Weg, der trotz Längen, Dürren und Irrungen viele Früchte tragen wird für den, der sich auf ihn begibt. Ein exzellentes Hilfsmittel hierfür liegt nun vor.


Magnus Rabel, M.Th., Doktorand bei Prof. Dr. Jörg Frey am Lehrstuhl für neutestamentliche Wissenschaft an der Universität Zürich