Altes Testament

Raik Heckl: Mose und Aaron als Beamte des Gottes Israels

Raik Heckl: Mose und Aaron als Beamte des Gottes Israels. Die Entstehung des biblischen Konzepts der Leviten, VT.S 190, Leiden / Boston, MA: Brill, 2022, Ln., XV+318 S., € 116,–, ISBN 978-90-04-49867-9


Mit der Leviten-Thematik betritt Heckl (Vf.) dorniges Gelände. Die Breite und Diversität alttestamentlicher Aussagen zu Leviten und Priestern ist bekannt und die Zeichnung eines Gesamtbildes anspruchsvoll. Zeitliche Einordnungen spielen dabei eine erhebliche Rolle. Vf. moniert, dass Einschätzungen des Levitismus nach dem klassischen Modell von Wellhausen teils immer noch gelten würden, obwohl die Forschungslage dies nicht mehr zulasse.

Den methodischen Ausgangspunkt bilden nicht der Pentateuch, sondern Jer und Ez, die zeitähnlich zur spätvorexilischen Anfangszeit des Dtn, aber ohne dessen programmatisch-idealistische Ausrichtung sind. Die Untersuchung ergibt, dass in Jer; Ez keine Hinweise vorliegen, dass Priester in spätvorexilischer Zeit Leviten waren (Ez 44: Opferkult wird zadokidischen Priestern übertragen, Leviten übernehmen nichtkultische Aufgaben, ohne dass damit eine Degradierung verbunden wäre). In hellenistischer Zeit (Esr-Neh; Chr) werden die Leviten mit weiteren, ursprünglich staatlichen Aufgaben außerhalb des Opferkults (Türhüter, Sänger, Schreiber etc.) betraut, ohne dass eine kultische Kompetenzausweitung stattfindet. Der Levitismus sei eine auf Juda beschränkte spätvorexilische Innovation. Er setze den Beamtenstaat als kulturelle Elite voraus und füge einen speziellen „Stamm“ von Spezialisten hinzu.

Zwei wichtige Institutionen Israels werden in den beiden Hauptfiguren des Pentateuchs vorgebildet. Levi ist Eponym der Beamtenschaft und Mose der Prototyp der Leviten. Die Geburtserzählung in Ex 2 als Kontrasterzählung zur neuassyrischen Sargon-Legende mache deutlich, was im 7. Jh. v. Chr. unter Leviten verstanden wurde. Moses Berufung zum „Beamten Gottes“ werde in Ex 3 inhaltlich gefüllt. Als Mose loyal ergebene, „zelotische“ Gruppe (Ex 32,26–29) werden auch die Leviten mit staatlichen Funktionen betraut (ähnlich Richtern und Amtsleuten). Mit Mose vergleichbar werde auch Aaron als Eponym der Priesterschaft levitisiert und im Zusammenhang mit Moses Berufung (Ex 4) eingeführt. Er ist der „Prototyp der Administration“; das Priesteramt ergibt sich später, wird dann aber zur Domäne. In Num 8 gehe es nicht um eine Degradierung priesterlicher Leviten zugunsten der Aaroniden, sondern um einen Einbezug der nichtkultischen Leviten in den Tempeldienst unter priesterlicher Leitung (Opferkult bleibt ausgeschlossen). In der königslosen Zeit des Zweiten Tempels, dem neben den kultischen auch frühere politisch-administrative Funktionen oblag, wurden die vorexilischen Beamteneliten integriert.

Ausführungen zu den Leviten im Dtn und dtr Texten machen den Schluss. Dtn biete ein Ideal und könne nicht zur Konstruktion einer Geschichte der Leviten dienen. Im dtn Gesetz erscheinen die Leviten in sozialrechtlichen Zusammenhängen (personae miserae). Ihre Versorgung ist eine dtn Innovation. Die Leviten sind nicht grundsätzlich Priester, sondern letztere sind eine Teilgröße der ersteren. Die Leviten erscheinen als Lehrer der Tora (27,14–26: Fluchreihe). Im späten, priesterlich beeinflussten Text 10,8f werden sie als Träger der Bundeslade, als Diener Jhwhs und Segnende geschildert und mit Landbesitzlosigkeit verbunden (nur der Ladedienst setzte ursprünglich die Priesterzugehörigkeit nicht voraus, ähnlich 31,25f). Der deutlichste Hinweis für die Identität des Stammes Levi mit Priestern wird in 18,1 gesehen. Gemäß Vf. wird dort jedoch „nur eine gemeinsame Aussage über die Teilgröße der levitischen Priester und über die Gesamtgröße des Stammes gemacht“ (218). Das Priestergesetz (18,1–8, Grundbestand: 18,3–5a) sei spätnachexilische Fortschreibung und unterscheide sich kaum vom Konzept des Num-Buchs. Analog wird auch der Levi-Segen (33,8–11) als späte Fortschreibung (im Rückblick auf Num 17) eingestuft. Darin werde das administrative Handeln von Mose und Aaron insgesamt und ihre Typik als Jhwhs Beamte aufgenommen. Die Ri-Anhänge 17f und 19f sind dtr und verdeutlichen, dass „Leviten die ihnen zugedachte Rolle erst in der späteren Zeit des Staates einnehmen“ (254).

Im Schlusskapitel formuliert Vf. seine Synthese unter dem Titel: „,Levi‘ und ,Leviten‘ als Bezeichnungen für eine Gruppenidentität und Teil der Stammeskonzeption der Hebräischen Bibel“ (258). Der Ursprung der Leviten als nichtkultischer Elite in spätvorexilischer Zeit erkläre deren Bedeutung in der Spätzeit, wobei die frühesten Texte, die von Levi und den Leviten sprechen (Gen 49,5–7 mit Levi-Kritik, 8. Jh. v. Chr.), sich als „Diskursfragmente“ einordnen ließen. Die Vorgeschichte reiche mit Blick auf die priesterliche Ursprungsgestalt (Aaron) zurück ins Nordreich. Nach dessen Fall kam es zur Binnenmigration der Eliten und deren Integrierung in die Administration Judas. In nachexilischer Zeit wurde eine radikalere Trennung zwischen sakralen/profanen Bereichen bzw. kultisch/nichtkultischen Tätigkeiten nötig. Stellvertretend für das Volk übernehmen die Leviten nun nicht-opferkultische Aufgaben.

Die Stärke von Heckls Studie liegt in der sorgfältigen Analyse relevanter Texte. Die Neubestimmung der Levitenfrage nach Auflösung des Quellen- und Zeitparadigmas von Wellhausen ist konsequent. Die Preisgabe der auf Konflikttheorien fokussierten Verständnisse zwischen Priester und Leviten bzw. innerlevitischen Gruppen erscheint angemessen. Dass am Zweiten Tempel eine Verstärkung und Diversifizierung an kultischen und nichtkultischen Funktionsträgern zu konstatieren ist, wird man kaum bestreiten können.

Die Belastbarkeit seiner Grundthese, dass nicht-kultische Eliten spätvorexilisch sich zu Leviten formierten und als „Staatsbeamte“ in verschiedenen Chargen dienten, wobei ein Teil (Aaroniden) zu Funktionsträgern im Opferkult wurden, wird sich zeigen müssen. Dies würde eine „Umkehrung“ implizieren, denn religionssoziologisch bedurfte Israel (wie andere Nationen) von Beginn an „Vermittlungsinstanzen“ (= Leviten?) zwischen Gott und dem Volk, wogegen die einen größeren Beamtenapparat voraussetzenden Königtümer später entstanden. Angesichts ägyptischer Einflüsse ließen sich die Anfänge von Mose und den Leviten (Etymologien), aber auch der Lade (Analogien) auch spätbronzezeitlich ansetzen. Die Gegenposition eines frühen Levitismus findet sich bei Mark Leuchter (The Levites and the Boundaries of Israelite Identity,New York 2017). Angesichts der Daten kommen weder Heckl noch Leuter ohne gewagte Folgerungen aus.

Heckls neuer Gesamtentwurf bringt eine bessere Übereinstimmung mit dem gängigen Forschungsparadigma, lässt aber die Schere zwischen erzählter Zeit und Erzählzeit (weiter) aufgehen. Sein konstruktivistischer Ansatz resultiert in einer Spätansetzung des Levitentums. Vielleicht wäre es angezeigt, über die Levitenstellen hinaus vermehrt auch nicht levitisch „markierte“ Texte, hinter denen sich ähnliche Dienste, Funktionen und Trägerkreise andeuten (Hos?; Asaph-Psalmen? …), in das Gesamtbild einzubeziehen.

Raik Heckl ist für seinen anregenden und neue Wege beschreitenden Beitrag zu den Leviten zu danken. Er wird für die weitere Forschung zu konsultieren sein.


Beat Weber, Pfr. Dr. theol., Basel; Research Associate am Department of Ancient and Modern Languages and Cultures, Universität Pretoria, Südafrika