Altes Testament

Steffan Mathias: Paternity, Progeny, and Perpetuation

Steffan Mathias: Paternity, Progeny, and Perpetuation. Creating Lives after Death in the Hebrew Bible, LHBOTS 696, London: t&t clark, 2020, Pb., 288 S., US $ 39,95, ISBN 978-0-567-70332-3


Hauptgegenstand der zu besprechenden Monografie ist der Tod von kinderlosen Männern und die Frage der Existenz über den Tod hinaus. Der Verf. möchte zeigen, dass in der Hebräischen Bibel ein spezifisches Paradigma vorausgesetzt ist, das Begriffe von Individualität und Gemeinwesen, Männlichkeit, Weiblichkeit, Geschlecht und Geschlechterrollen, Tod, Leben nach dem Tod und Unterwelt, Bestattungen, Trauer, Denkmäler und damit verbundene Todesrituale, Nachkommenschaft, Herkunft und Abstammung berührt (2). Als biblische Texte kommen Gen 19; 38; Num 27; Dtn 25,5–10; Rut; 1Sam 18,18; 2Sam 13 und Jes 56 in den Blick.

Nach einer kurzen Einführung eröffnet der Verf. mit einem methodischen Kapitel zu Anthropologie, Pierre Bourdieu und Geschlecht. Gegen eine Exegese, die nur Deutungen akzeptiert, die in den Texten explizit ausformuliert sind, betont er die Wichtigkeit von „symbolischer Exegese“, die damit rechnet, dass ein Symbol oft keine explizite Artikulation findet und darum assoziative Zusammenhänge im Text vorhanden sein können, die in einer Kultur verstanden werden, ohne dass sie je expliziert werden (10). Vom französischen Soziologen Pierre Bourdieu übernimmt er den Terminus „doxa“ für „das Universum des Undiskutierten“ (14), d. h. das, was sich in einer Kultur als das Natürliche anfühlt. Diesen Zugang sieht er als Alternative zu einer Hermeneutik des Verdachts, die den antiken Autoren bewusste ideologische Motive zur Etablierung von Machtstrukturen unterstellt, die sie mit dem Schreiben ihrer Texte verfolgten.

Nach diesem anregenden methodischen Kapitel wendet sich der Verf. den verschiedenen Themenkomplexen zu. Ausgangs- und Schlusspunkt ist das Konzept der Leviratsehe (Kap. 2 und 7), in der die verschiedenen Aspekte zusammenlaufen. Kapitel 3 befasst sich mit Tod, Bestattung und dem, was über den Tod hinausgeht, Kapitel 4 mit der Bedeutung des Namens und dessen Weitergabe, Kapitel 5 mit Nachkommenschaft (Fortpflanzung und Sexualität), Kapitel 6 mit dem Vaterhaus. Dabei nimmt Mathias ein sehr breites Forschungsspektrum in den Blick, stellt immer wieder kurz, klar und fair verschiedene Deutungsansätze vor und diskutiert auch anthropologische Fallstudien aus der ganzen Welt als mögliche Analogien.

Es ist schwierig, in diesem Rahmen auch nur überblicksmäßig die Argumentation nachzuzeichnen. Wichtig ist, dass dem Verf. zufolge die Toten in einer realen, substanziellen und gemeinschaftlichen Weise weiterexistieren (91), wobei die Erinnerung und Rezitation des Namens aufgrund des performativen Charakters von Namen wichtig ist für die soziale Kontinuität des Individuums (was aber patriarchale Strukturen hervorbringt und festigt) (122–123). Die Weiterexistenz des Namens verbindet sich mit der Nachkommenschaft, wobei dies in der männlichen Linie geschieht, indem der Vater seine Identität durch Söhne weiterführt. Fortpflanzung bedeutet Ehre, was gerade für Frauen auch mit Leid verbunden sein kann (was die biblischen Texte nicht verschweigen). An dieser Stelle betont der Verf., dass die Texte aus einer feministischen Perspektive zwar problematisch sein mögen, dass es aber naiv wäre, sie als pure Ideologie zu betrachten, da sie vielmehr Ausdruck einer „doxa“ zwischen Autor und Leser, Mann und Frau, seien (162). Dazu gehöre auch, dass auch der männliche Körper eine Sexualisierung erfahre, da er für die Fortpflanzung zuständig ist. Gelingt es ihm nicht, seinen Namen oder Samen weiterzugehen, ist die natürliche Linie der Nachkommenschaft abgebrochen und der Mann versagt in seiner performativen Männlichkeit (163). Der Fokus der Texte liegt letztlich nach Mathias nicht auf der Sexualität an sich, sondern auf der Integrität der Familie. Diese ist die stabile soziale Einheit der Gesellschaft. Durch die Weitergabe des Namens des Vaters wird sie fortgeführt, während der Vater seinerseits zu seinen Vätern versammelt wird. Das Schlimmste, was einem Individuum geschehen kann, ist, von der Familie „abgeschnitten“ zu sein (das Verb כרת wird an verschiedenen Stellen für den Samen, Namen oder Individuen gebraucht) (189).

All diese Aspekte führt der Verf. zusammen, wenn er sich in Kapitel 7 ausführlich der Leviratsehe (Dtn 25,5–10; Gen 38; Rut) und einigen weiteren Texten zuwendet. Auch wenn sie sich z. T. in der Terminologie unterscheiden (als wichtigste Wörter hebt er שׁם, זרע, חיים, נחלה hervor), sind sie Ausdruck desselben Paradigmas, das um die Fortdauer der Familie durch die männliche Linie kreist. In einem abschließenden Kapitel bezeichnet der Verf. dieses Paradigma als „reproductive futurism“. Das afrikanische Sprichwort „Es braucht ein ganzes Dorf, um ein Kind aufzuziehen“, kehrt er um in „Es braucht ein Kind, um ein Dorf aufzuziehen“ (250–251).

Die Lesererwartungen werden schon in der Einleitung ziemlich stark geschürt, der Verf. hat hohe, vielleicht zu hohe Ambitionen, ein spezifisches, alle Aspekte verbindendes Paradigma zu präsentieren. So bleibt etwa ungeklärt, wie sich das „Nachleben“ durch Nachkommenschaft (Kind, Monument, Erbe) zum Nachleben des Verstorbenen in der Unterwelt und der Versammlung der Väter verhält; auch bleibt weitgehend unreflektiert, was das Paradigma nicht nur für die kleine Familie, sondern für Israel als Volk (und damit in gewissem Sinne Großfamilie Abrahams bedeutet; man beachte z. B. die in Lev 19 und Dtn gebräuchliche Bezeichnung des Mitisraeliten als „Bruder“). Das ganz große Aha-Erlebnis bleibt letztlich aus, doch als Leser wird man mit manchem kleineren Aha-Erlebnis belohnt.


Prof. Dr. Benjamin Kilchör, Staatsunabhängige Theologische Hochschule Basel