Justin Winzenburg: Ephesians and Empire
Justin Winzenburg: Ephesians and Empire. An Evaluation of the Epistle’s Subversion of Roman Imperial Ideology,WUNT II/573,Tübingen: Mohr Siebeck, 2022, Pb., 318 S., € 94,−, ISBN 978-3-16-161183-4
Justin Winzenburg ist assoziierter Professor für Neues Testament und Griechisch am Crown College in St. Bonifacius (Minnesota). Das Buch ist eine revidierte Ausgabe seiner Doktorarbeit an der London School of Theology. In seiner Arbeit untersucht er den Epheserbrief auf Äußerungen, die sich als Kritik am römischen Reich bzw. der Herrscher-Ideologie verstehen lassen.
Im ersten Kapitel (A Survey of Ephesians and Empire; 3–31) stellt er in einem Forschungsüberblick zu der von ihm untersuchten Thematik fest, dass es in neuerer Zeit zwar Untersuchungen zum Verhältnis Paulus und römisches Kaiserreich gab, aber kaum zum Epheserbrief. Er kritisiert einerseits, dass herrschaftskritische Elemente oft nicht berücksichtigt bzw. geleugnet werden. Andere Arbeiten leiden darunter, dass aufgrund sprachlicher Parallelen zu schnell auf eine herrschaftskritische Intention geschlossen wird. Daher will Winzenburg durch ein differenziertes Fragespektrum die Beziehung zwischen dem Epheserbrief und dem römischen Kaiserreich klären (30f).
Im zweiten Kapitel (An Eclectic Hermeneutic: A Hermeneutical Grid for Assessing an Imperial-Critical Reading of Ephesians; 33-73) stellt Winzenburg seine Arbeitsmethoden vor. Er benennt drei hermeneutische Komponenten: die Unterscheidung zwischen implizitem und empirischem Autor, Leser und Kontext; die Sprechakt-Theorie und eine narrative Hermeneutik (33). Diese Komponenten erläutert er ausführlich. Indem Winzenburg primär vom impliziten Autor (Paulus) ausgeht, umgeht er die Unsicherheit über den Verfasser des Epheserbriefs. Für Ausleger, die Paulus als Autor des Briefs ansehen, fallen der empirische und implizite Autor zusammen. In der Sprechakt-Theorie geht es um drei Bedeutungsebenen eines Textes (46–53): 1) den lokutionären Akt, der die Handlung des „Etwas Sagens“, also den Wortlaut, nach linguistischen und grammatischen Regeln untersucht; 2) den illokutiven Akt, der den Vollzug der Sprechhandlung beschreibt, z. B. als Frage, Bitte, Befehl, Drohung; 3) den perlokutiven Akt, der das Erzielen einer Wirkung meint, z. B. Verärgern, Erschrecken, Überzeugen, Umstimmen. Zusammen beschreiben sie den Sprechakt als Handlung. Für das Verstehen spielt der Kontext eine wesentliche Rolle. Bei der narrativen Hermeneutik geht es nicht um „narrative Theologie“, sondern um Erzählungen, die Lebensfragen bestimmen: „who are we, where are we, what is wrong, and what is the solution?“ (67f), also die Sicht eines Autors auf sein Leben und die Welt. Dies bestimmt als Hintergrund (substructure) auch Aussagen in Briefen. Winzenburg wendet damit in seiner Arbeit „an eclectic hermeneutic to an imperial-critical reading of Ephesians“ an (72).
Im dritten Kapitel (Empirical Life Setting of Ephesians; 77–135) beschreibt Winzenburg den empirischen Hintergrund des Epheserbriefs und bestimmt so die implizite Situation des Textes. Er geht von Adressaten in Kleinasien aus, und zwar in Ephesus bzw. im Umkreis von Ephesus. Er berücksichtigt eine frühe Datierung des Briefs um 60 mit Paulus als Verfasser sowie eine späte Datierung gegen Ende des 1. Jahrhunderts oder später mit einem deuteropaulinischen Verfasser. In Bezug auf den Kontext des römischen Reichs hebt er drei Aspekte heraus: maiestas-Gesetzgebung, Herrscherkulte und Eschatologie des römischen Reichs. Die maiestas-Gesetze verurteilen Handlungen und Worte, die sich gegen das Konzept der Überlegenheit der römischen Bevölkerung, des Reichs und seines Kaisers richten (94f). Wegen der Gefahr strafrechtlicher Verfolgung wird Kritik an der römischen Herrschaft eher implizit bzw. indirekt geäußert. Gegen Ende des 1. Jahrhunderts entwickelte sich der Herrscherkult stärker zu einer Ideologie mit Anspruch auf ewige römische Herrschaft, Vergöttlichung der Kaiser und neuer Ordnung (120f). Kennzeichnend für die Eschatologie des römischen Kaiserreichs ist die Rede vom Anbruch des Goldenen Zeitalters mit Augustus, von der weltweiten römischen Herrschaft und dem göttlichen Ursprung des Kaisers, die unter den Nachfolgern von Augustus weiterentwickelt wurde (133). Dieser Kontext ist für die Rekonstruktion der impliziten Situation der Adressaten des Epheserbriefs wesentlich.
Im vierten Kapitel (Implied Life-Setting of Ephesians; 137–167) erhebt Winzenburg, was sich aus dem Epheserbrief zur Charakterisierung des impliziten Autors und der impliziten Leser ergibt. Trotz der Unsicherheit über den empirischen Autor stellt er zum impliziten Autor fest: Er ist Judenchrist und kennt die griechisch-römische Kultur, also auch die zeitgenössische Ideologie des römischen Reichs. Er befindet sich in römischer Gefangenschaft. Die impliziten Leser sind überwiegend Heidenchristen. Da der Autor bei ihnen Kenntnis des Alten Testaments voraussetzt, nimmt Winzenburg an, dass sie „Gottesfürchtige“ waren, sich also früher zur jüdischen Synagoge gehalten haben. Sie leben im sozialen, politischen und religiösen Kontext Kleinasiens in Ephesus bzw. in Orten der Umgebung.
In den Kapiteln fünf und sechs untersucht Winzenburg verschiedene Texte, die entweder bereits herrscherkritisch gelesen werden oder das Potential dazu haben (206f). Während im fünften Kapitel eine vorläufige herrschaftskritische Lesung der Texte erfolgt, wie sie verschiedene Wissenschaftler vorschlagen, werden dieselben Texte im sechsten Kapitel analysiert und die Stärken und Schwächen ihrer Interpretation im Blick auf ihre Kritik an der Herrschaft des römischen Reichs beurteilt. Überzeugt hat mich diese insbesondere zu Eph 2,11–22 (218f) und 4,4–6 (224–226). Bei anderen Texten lässt eine solche Interpretation zusätzliche Aspekte für die Auslegung aufleuchten. Winzenburg verweist bei Eph 2,1–10 (216–218) und 5,21–32 (230–234) auf zusätzliche mögliche Verständnishintergründe.
Da vor allem die Eschatologie und Christologie des Epheserbriefs herrschaftskritisch verstanden werden, geht er auf beide Themen gesondert ein (238-250). Er kommt zum Ergebnis: Die kosmische und Christus-zentrierte futurische Eschatologie des Epheserbriefs „is meta-narratively contradictory“ zur realisierten Eschatologie des römischen Reichs (246). Im zeitgeschichtlichen Kontext wirken die christologischen Aussagen als Herausforderung der Ideologie des Herrscherkults und fordern die impliziten Adressaten auf, nicht mehr daran teilzunehmen (248). Die Christologie des Epheserbriefs steht in Spannung zum Anspruch des römischen Kaisers: Wer bringt der Welt Frieden und Erlösung? Wer steigt zum Himmel auf? Wer sitzt über allen Mächten und Gewalten? (256f). Das siebte Kapitel bietet eine detaillierte Zusammenfassung (253–258).
Der Verfasser zeichnet sich durch eine differenzierte Argumentation und Beurteilung aus. Zu würdigen ist der interdisziplinäre Horizont, der den zeitgeschichtlichen Hintergrund für die Exegese im Blick auf die römische Herrschaft ausleuchtet und so zum Verständnis beiträgt. Zuzustimmen ist Winzenburg, dass der Epheserbrief durch implizite bzw. indirekte Sprechakte den politisch-religiösen Herrschaftsanspruch in Frage stellt, ohne dies explizit zu formulieren. Bei den untersuchten Texten des Epheserbriefs scheinen mir einzelne Beurteilungen als herrschaftskritisch eher fraglich, teilweise durch eine andere Exegese bedingt, etwa von Eph 4,8–10 oder 6,12. Insgesamt stellt das Buch eine lesenswerte Arbeit dar, die der Auslegung neue Einsichten zu geben vermag.
Dr. Wilfrid Haubeck, Professor em. für Neues Testament und Griechisch an der Theologischen Hochschule Ewersbach in Dietzhölztal