Historische Theologie

Dietrich Meyer: Einblicke in die Geschichte des Zinzendorf-Schlosses in Berthelsdorf

Dietrich Meyer: Einblicke in die Geschichte des Zinzendorf-Schlosses in Berthelsdorf, Unitas Fratrum, Beiheft 40, Herrnhut: Herrnhuter Verlag, 2022, Pb., 196 S., € 18,–, ISBN 978-3-931956-68-7


Dietrich Meyer, der Nestor der Zinzendorf-Forschung, war maßgeblich an den Initiativen beteiligt, die zum Erhalt und zur Restaurierung des Zinzendorf-Schlosses in dem nur wenige Kilometer im Tal unterhalb von Herrnhut gelegenen Berthelsdorf führten. Ich selbst habe das für die Öffentlichkeit wegen Einsturzgefahr gesperrte Schloss in den 1990er Jahren mit einem befreundeten Architekten besichtigt und hätte mir damals nicht träumen lassen, dass es eines Tages wieder instand gesetzt und, von einem Verein getragen, als kulturelles Begegnungszentrum genutzt werden würde. Die einzelnen Kapitel des vorliegenden Buches gehen zurück auf Vorträge, die der Verfasser an den Tagen des Offenen Denkmals jeweils Anfang September im Berthelsdorfer Schloss gehalten hat. Auch wenn es, wie Meyer im Vorwort schreibt, kein im strengen Sinne wissenschaftliches Buch darstellt, ist es doch aus den Quellen der Brüdergeschichte gearbeitet. Es ist für ein breiteres Publikum geschrieben, indem es sowohl historische Informationen liefert als auch einzelne historische Zusammenhänge näher ausführt. Ausgehend von einer historischen Ansicht des Schlosses, vom Porträt einer für das Schloss wichtigen Persönlichkeit, einer bedeutenden Urkunde, einem zentralen Ereignis, einer Baumaßnahme oder einem Briefwechsel, vermitteln die einzelnen Kapitel auf äußerst anschauliche, bisweilen sogar unterhaltsame Weise Kenntnisse über die Bedeutung und Funktion des Zinzendorf-Schlosses im Verlauf der vergangenen drei Jahrhunderte.

In der Geschichte Zinzendorfs und der Herrnhuter Brüdergemeine weniger Bewanderte werden sich fragen, warum es sich lohnt, ein Buch über das Berthelsdorfer Schloss zu lesen. Da ist es gut zu wissen, dass Zinzendorf nicht nur seit 1722 als Jungvermählter immer wieder mit seiner Frau Erdmuth Dorothea geb. Reichsgräfin von Reuß-Ebersdorf hier gewohnt hat, sondern dass es seit seiner endgültigen Rückkehr aus London am Beginn der 1750er Jahre zu seinem primären Wohnsitz wurde. Das von seiner Großmutter Henriette von Gersdorf erworbene Gut Berthelsdorf bildete in den ersten Jahrzehnten des Bestehens der Herrnhuter Brüdergemeine deren wirtschaftliches Rückgrat. Kirchengeschichtliche Bedeutung erhielt das Schloss vor allem in den Jahren zwischen 1791 und 1913 als Sitz der Kirchenleitung der Brüder-Unität, zunächst Unitätsältesten-Conferenz und dann Unitätsdirektion genannt. Hier wurden die wesentlichen Entscheidungen für die weltweit operierende Missions- und Diasporaarbeit der Herrnhuter Brüdergemeine und die im Aufbau begriffene internationale Kirche gefällt.

Es ist an dieser Stelle nicht möglich, die einzelnen Kapitel des Buches aufzuzählen. Ihr Reiz besteht darin, dass aus dem Blickwinkel der mit dem Schloss verbundenen Personen und Institutionen 300 Jahre Brüdergeschichte vor den Augen der Leserinnen und Leser erstehen. Besonders hervorheben möchte ich die Kapitel über die prägenden Personen der Anfangszeit: die ersten Gutsverwalter Zinzendorfs Heitz und Gutbier und dann neben Zinzendorf auch seine Frau Erdmuth als Ortsherrschaft, nachdem der Graf aufgrund seiner Ausweisung aus Sachsen seine Güter an diese verkaufen musste. Ihr zur Seite als Berater in den finanziellen Angelegenheiten der Brüdergemeine stand schon bald der Bankier und Jugendfreund Zinzendorfs, der Schweizer Friedrich von Watteville. Er hat auch den bürgerlichen Schwiegersohn Johannes Langguth adoptiert, damit Zinzendorfs älteste Tochter Benigna standesgemäß heiraten konnte. Sein Neffe, Friedrich Rudolph von Watteville, vermählte sich später mit der jüngsten Tochter Zinzendorfs mit Namen Elisabeth. Die genannten Töchter Zinzendorfs waren selbst nacheinander Ortsherrschaft von Berthelsdorf bzw. Herrnhut, hatten also die Vertretung nach außen und die niedere Gerichtsbarkeit über die Ortschaften inne. Das ist der Grund dafür, warum sie auf dem Herrnhuter Gottesacker an herausgehobener Stelle bestattet wurden. Neben den Mitgliedern der Familie Zinzendorf ermöglicht das Buch Einblicke in Unitätsdirektoren und Missionsdirektoren, die im Schloss gelebt und gearbeitet haben.

Die Veröffentlichung ist auch in formaler Hinsicht gelungen. Neben vielen ausdrucksstarken farbigen Aquarellen und Bildern von Schloss und Ort Berthelsdorf enthält es eine Reihe von Porträts, Urkunden und Faksimiles. Im Anhang findet sich neben einer Aufstellung der Bewohner des Schlosses von 1791 bis 1913 auch ein Personenregister, das den Zugang zu den behandelten Personen erleichtert.

Insgesamt ein äußerst lohnendes Buch, das selbst Zinzendorf-Kennern ganz neue Einblicke in das Leben und Wirken des Grafen und seiner Nachfolgerinnen und Nachfolger im Kontext der weltweiten Brüdergemeine gewährt.


Dr. Peter Zimmerling, Professor an der Theologischen Fakultät, Universität Leipzig