Systematische Theologie

Matthias Petzoldt: Sprache schafft Wirklichkeit

Matthias Petzoldt: Sprache schafft Wirklichkeit. Zur Rezeption der Sprechakttheorie in der Fundamentaltheologie, Darmstadt: wbg Academic, 2020, Pb., 308 S., € 45,–, ISBN 978-3-534-40420-9


Matthias Petzoldt, inzwischen emeritierter Professor für Systematische Theologie in Leipzig, hat seit über 20 Jahren zahlreiche Aufsätze zu fundamentaltheologischen Fragestellungen veröffentlicht. Dabei hat er immer wieder Bezug genommen auf die von John L. Austin entwickelte Sprechakttheorie und versucht, diese für die Fundamentaltheologie fruchtbar zu machen. Im vorliegenden Band sind sieben dieser Aufsätze „geringfügig überarbeitet“ (7) zusammengestellt und mit einer Einführung in die philosophische Theorie des Sprachhandelns versehen worden. Da es in einer Rezension kaum möglich ist, die Aufsätze einzeln zu besprechen, werde ich mich darauf konzentrieren, das, was ich für die Hauptgedanken der an der Sprechakttheorie orientierten Aufsätze halte, zu einem Gesamtbild zusammenzufügen. (Nicht kommentiert werden die „statt einer Einleitung“ vorangestellte Abschiedsvorlesung Petzoldts aus dem Jahre 2013 „Von der ‚Substanz‘ zum ‚Subjekt‘? Zum Wandel von Denkformen theologischer Diskurse“ (9–21), welche die Sprechakttheorie nicht thematisiert, und der Aufsatz „Von Gottes Wirklichkeit reden: Überlegungen zur Orientierung der Theologie im Spannungsfeld zwischen Konstruktivismus und Neurobiologie“ (121–136), der sich nur am Rande mit Sprachhandeln beschäftigt.)

Die Einführung (23–110) bietet zunächst eine gut verständliche Darstellung von Austins Sprechakttheorie (die weiteren Ausführungen über Searle, Derrida und Judith Butler werden hier nicht referiert, da sie für die zu besprechenden Aufsätze kaum von Belang sind). John L. Austin (How to do things with Words. The William James Lectures delivered at Harvard University in 1955, Oxford: Clarendon, 1962) sieht ein verbreitetes Missverständnis von Sprache darin, dass man Aussagen einseitig für die Feststellung von Tatsachen hält. Dagegen gäbe es auch Fälle, in denen eine Tatsache nicht festgestellt, sondern durch den Sprechakt überhaupt erst hergestellt wird. Als Beispiele nennt Austin u. a. „Ich taufe dieses Schiff auf den Namen ‚Queen Elizabeth‘“ oder „Ich hinterlasse meinem Bruder meine Uhr“ (als Äußerung in einem Testament). Diese Sprechakte nennt Austin „Performative“. Performative schaffen soziale Tatsachen: Das Schiff trägt nun den Namen „Queen Elizabeth“, die Uhr geht in den Besitz des Bruders über. Sprechakte, die lediglich bereits bestehende Tatsachen feststellen, nennt Austin „Konstative“. Beim weiteren Nachdenken über die Funktion von Sprechakten stellt er fest, dass es kaum reine Konstative gibt. Meist wollen wir mit einer Aussage mehr bewirken, als nur eine Tatsache feststellen. Wir wollen damit z. B. trösten, überzeugen, warnen, einschüchtern, etc. So kann der Satz „Ich komme morgen“ geäußert werden, um eine Zusage oder eine Warnung zu geben. Austin kommt daher zu der These, dass eine sprachliche Äußerung aus drei Akten bestehen kann (Austin, 102 – die Veranschaulichung durch das Spinatbeispiel stammt nicht von Austin):

a) der lokutionären Akt, in dem der Sprecher eine Aussage macht, z. B. „Spinat ist gesund“; dieser Akt ist Teil jedes Aussagesatzes;

b) der illokutionäre Akt, durch den mit dieser Aussage etwas bewirkt werden soll: er argumentiert, dass Spinat gesund ist; dieser Akt ist fast immer mit a) verbunden;

c) der perlokutionäre Akt, durch den das mit b) angestrebte Ziel erreicht wird: er überzeugt mich, dass Spinat gesund ist; dieser Akt wird nur vollzogen, wenn der illokutionäre Akt auch zum Erfolg führen. Dies ist natürlich nicht immer der Fall.

Sowohl in Performativen im engeren Sinn als auch in perlokutionären Akten im Allgemeinen schafft Sprache Wirklichkeit. Diese Einsicht versucht Petzoldt nun zur Klärung fundamentaltheologischer Fragen zu nutzen. Fundamentaltheologie versteht er „als systematisch-theologische Reflexion über den christlichen Glauben angesichts der Herausforderungen äußerer Infragestellung und innerer Suche nach Vergewisserung. Sie vollzieht sich als Besinnung auf den Grundvorgang, in dem und durch den Jesus Christus zum Grund des Glaubens wird“ (118).

Dieser Grundvorgang hat nach Petzoldt seinen Ursprung in der Begegnung Jesu mit seinen Zeitgenossen. „So vielseitig das Wirken des Jesus von Nazareth war, ist doch dabei sein Handeln durch Sprache entscheidend“ (202). Durch dieses Sprachhandeln kommt es zu „lebensbestimmenden Begegnungen“. „Menschen werden von seiner Anrede getroffen, zum Beispiel erfahren sie Vergebung, die er ihnen zusprach; oder sie werden über sein heilendes Wort gesund; oder sie werden selig durch seine Zusage der Gottesherrschaft; oder sie werden über die Begegnung mit Jesus von Nazareth an ihrem Tisch glücklich“ (202). Der dadurch entstehende Glauben ist „eine kommunikative Wirklichkeit, welche die Vertrauen erweckende Person und das vom Vertrauen erfasste Subjekt umfasst“ (160). Durch die Weitergabe der Zusage Jesu an die Späteren tritt die Person Jesu Christi auch mit diesen in Beziehung und weckt Vertrauen. „Diese durch Sprache geschaffene Wirklichkeit macht den christlichen Glauben auf seiner Grundebene aus“ (161).

In Übereinstimmung mit Austin haben performative Sprechakte aber auch einen konstativen Gehalt. „Der personale Glaube ist ohne das Wissen um seinen propositionalen Gehalt – hier das Wissen um die Person des Jesus von Nazareth – nicht möglich“ (160). „Hätte Jesus von Nazareth gar nicht gelebt, wäre dem neutestamentlichen Christus-Kerygma von Jesus der historische Boden entzogen“ (242). Allerdings ist historisches Wissen noch nicht christlicher Glaube. Glauben entsteht erst auf der Ebene des personalen Vertrauens (168).

Das Wirken dieses Jesus von Nazareth geht über „das Menschenmögliche und Weltmögliche“ hinaus. „Es durchbricht und überschreitet menschliche Wirklichkeitserfahrung. … In diesem Transzendieren wird eine Wirklichkeit sichtbar, die christliche Verstehensbemühungen mit dem Wort Gott zu erfassen suchen, wie es schon Jesus selbst gebraucht hatte, wenn er von Gott sprach und wenn er zu Gott sprach“ (205f). Dass Menschen aber verstehen, dass es sich bei der Begegnung mit Jesus um „eine Begegnung mit dem Gott Jesu Christi handelt“, ist abhängig vom „Wirken Gottes selbst, das mir Augen, Ohren sowie Verstand und Herz zum rechten Verstehen öffnet“ (207).

Die Wirklichkeit des Heils wird also durch Sprachhandlungen geschaffen: durch Sprechakte kann es bis heute zur Begegnung mit der Person Jesu kommen; diese Begegnung kann zum Glauben als einem Vertrauen auf Jesus führen; dadurch erfährt ein Mensch Heil.

Man könnte vieles an Petzoldts Überlegungen als eine Weiterführung reformatorischer Theologie verstehen: Der Glaube hat seinen Grund in der historischen Person des Jesus von Nazareth. Er entsteht in einer Begegnung des Menschen mit Jesus, die durch die Verkündigung vermittelt wird. Dabei ist Glauben mehr als ein Für-wahr-Halten, er ist ein Vertrauen auf eine Person. Petzoldt sieht sich in Übereinstimmung mit der Reformation, die den „fiducia-Charakter des Glaubens wieder in den Mittelpunkt gerückt“ hat. (238) Dieser Glaube ist auf das Wirken des Heiligen Geistes zurückzuführen. Das Wirken Jesu transzendiert das Menschenmögliche. „Jesus als Christus [eröffnet] die Begegnung mit der menschliches Begreifen übersteigenden Wirklichkeit Gottes“ (241).

Andererseits gibt es Einseitigkeiten und offene Fragen, die es zweifelhaft erscheinen lassen, ob Petzoldt im Sinne einer klassischen reformatorischen Theologie verstanden werden will. So wird von Heil schaffendem Handeln ausschließlich als Sprachhandeln gesprochen. Ist dies der Themenstellung des Sammelbandes geschuldet, oder schließt Petzoldt ein Handeln Gottes in der Geschichte – etwa durch die Auferweckung Jesu – grundsätzlich aus? Haben Tod und Auferstehung Jesu überhaupt Heilsrelevanz, oder ereignet sich Heil ausschließlich in Sprechakten? Unbefriedigend bleiben auch die Ausführungen darüber, was mit „Wirken Gottes“ gemeint sein soll, wenn „Wirken“ hier als Metapher zu verstehen ist (294ff). Im Vorwort wird darauf hingewiesen, dass die vorliegenden Aufsätze als „Vorarbeiten zu einer zusammenhängenden Konzeption von Fundamentaltheologie“ zu verstehen sind (8). Man kann also gespannt sein, welche Klärungen dieser Gesamtentwurf noch bringen wird.

Was zumindest die vorliegenden Beiträge zeigen, ist eine deutliche Überschätzung der Möglichkeiten, durch Sprachhandeln Heil als Wirklichkeit zu schaffen. Wie schon erwähnt, geht es für Petzoldt vor allem um das Sprachhandeln Jesu, „durch das es zu lebensbestimmenden Begegnungen mit seinen Zeitgenossen kommt und darin Heil schafft. Menschen werden von seiner Anrede getroffen, zum Beispiel erfahren sie Vergebung, die er ihnen zusprach“ (202). Petzoldt nennt noch weitere Beispiele (s. o.), ich werde mich aber in meiner kritischen Kommentierung auf dieses erste beschränken (ähnliche Anfragen lassen sich auch für andere von ihm genannte Beispiele formulieren). Wie können Menschen durch die Zusage Jesu Vergebung erfahren? Setzt das nicht voraus, dass bereits vor dem Zuspruch der Vergebung Jesus als dazu autorisiert erwiesen wurde, dass also bereits Wirklichkeit geschaffen wurde, die diesen Zuspruch erst ermöglicht? Petzoldt räumt zwar ein, dass Austin als eine Bedingung für das Gelingen eines performativen Sprechaktes die Kompetenz des Sprechers nennt. Im Falle des Redens Jesu, das Heil schafft, behauptet er aber, „dass die Vollmacht Jesu gerade nicht vorgängig begründet ist, sondern im Vollzug der Sprachhandlung personal sich ereignet“ (180). „Die Kompetenz Jesu konstituiert sich im Glücken der Sprechakte, d. h. im Vollzug der in den Sprechakten sich konstituierenden Wirklichkeit“ (203). Nun gibt es sicherlich Sprechakte, in denen die Kompetenz des Sprechers sich im Gelingen des Sprechaktes erweist: Wenn etwa jemand eine andere Person durch einen Zuspruch trösten will, dann erweist sich die Kompetenz des Sprechers durch das Gelingen des Sprechaktes, d. h. dadurch, dass die Person tatsächlich Trost erfährt. Im Falle des Zuspruchs von Vergebung ist dies aber nicht der Fall. Es gibt zwar durchaus Performative, die Vergebung Wirklichkeit werden lassen. „Wenn ich zu einer Person sage ‚Ich vergebe dir‘, informiert dieser Satz nicht nur über meine Vergebungsbereitschaft, sondern zwischen uns beiden wird damit Vergebung Wirklichkeit“ (200). Diese Performative setzen aber voraus, dass ich zu dem Satz „Ich vergebe dir“ autorisiert bin, und das ist nur dann der Fall, wenn mir selbst ein Unrecht widerfahren ist. Nur dann kann ich vergeben. Es wäre grotesk, wenn ich einem Verbrecher, der nicht mich, sondern meinen Nachbarn verletzt hat, zusprechen würde: „Ich vergebe dir.“ Ein solcher Sprechakt müsste genauso scheitern, wie der Performativ „Ich vermache dir Schloss Sanssouci“, wenn ich nicht Eigentümer des Schlosses bin. Sprechakte des Tröstens unterscheiden sich von Sprechakten des Vergebens und Vermachens dadurch, dass die Sprachhandlung des Tröstens dann geglückt ist, wenn sich die angesprochene Person getröstet fühlt. Sprechakte des Vergebens und Vermachens sind aber noch nicht geglückt, wenn ich mich so fühle, als ob ich Vergebung oder ein Erbe empfangen hätte.

Es ist daher nicht erstaunlich, dass in den beiden einzigen Evangelientexten, in den Jesus Vergebung zuspricht (Mk 2,1–12 par; Lk 7,36–48), sofort die Frage nach seiner Vollmacht laut wird. „Wer kann Sünden vergeben als Gott allein?“ (Mk 2,7). Jesus beantwortet die Anfrage an seine Vollmacht durch die Heilung des Gelähmten – eine Handlung, die gewiss nicht als performativer Sprechakt zu verstehen ist, durch den soziale Tatsachen geschaffen werden. Die Vorstellung, dass Heil ausschließlich durch die wirklichkeitsschaffende Kraft von Sprechakten entsteht, greift eindeutig zu kurz. Auch hier kann man mit Interesse einer möglichen Weiterentwicklung dieses Konzept in einer zukünftigen Fundamentaltheologie entgegensehen.


Dr. Ralf-Thomas Klein, Lehrbeauftragter an der FTH Gießen