Conrad Krannich: Recht macht Religion
Conrad Krannich: Recht macht Religion. Eine Untersuchung über Taufe und Asylverfahren, Kirche – Konfession – Religion 76. Göttingen: V & R unipress, 2020, geb., 386 S., € 55,–, ISBN 978-3-8471-1181-8
Der Titel ist treffend und spannend. Er macht neugierig und führt in das Herz der Auseinandersetzung dieser leicht ergänzten Dissertation hinein, die 2019 in Halle-Wittenberg eingereicht und von Daniel Cyranka betreut wurde. Die Untersuchung hält, was der Titel verspricht. Dem Verfasser ist auf so vielen verschiedenen Ebenen für diese wertvolle Arbeit zu danken. Es ist den Beteiligten und den Betroffenen zu wünschen, dass diese Untersuchung gut rezipiert wird.
Es geht eben nicht nur um Taufe und Asylverfahren, was der Untertitel etwas lapidar suggeriert. Die Einführung im ersten Teil „A. Iranische Christ·inn·en im deutschen Asylverfahren – Frage, Material und Methode der Untersuchung“ (11–40) skizziert anregend und auf angemessene Weise die Problemhorizonte. Das Buch bietet mit dem nächsten Kapitel „B. Iranischer Protestantismus – Zur Genealogie einer Religionsformation“ (41–195) einen wertvollen Beitrag zu gegenwärtigen Dynamiken im Iran, die mit dem Begriff „iranischer Protestantismus“ umschrieben werden. Damit wird eine weitverbreitete und scheinbar zunehmende Skepsis gegenüber dem religiösen Regime im Allgemeinen und einflussreicher iranischer Antiklerikalismus im Besonderen eingefangen. Die Unterscheidung von Islam und Iran sowie die Rede von „echten Iranern“ kommen hier zur Sprache (87–97). Das manifestiert sich dann bei Konvertiten in der Überzeugung, dass sich „Christ·inn·en“ als die „besseren Iraner·innen“ (82–86) begreifen (können). Ob deswegen die schlussfolgernde Beschreibung Krannichs hilfreich ist, wäre noch zu diskutieren: „Die Christ-Werdung markiert die Suche nach einer alternativen Lebensgestaltung und performiert diese zugleich mit einer stark regime-kritisch(en); Christ zu werden ist ein politischer Akt“ (192). Die Formulierung suggeriert, dass ein Protestimpuls oder auch die Suche nach Alternativen von größter Bedeutung ist, vielleicht sogar eine zentrale Stellung bei der Frage nach der Kausalität einnehmen kann oder soll. Das ist m. E. missverständlich. Die katalysatorische Wirkung des außergewöhnlichen iranischen Kontextes, der nicht zuletzt von einer reichen und einflussreichen Tradition und dem besonderen Gepräge des mehrheitlich schiitischen Islam im Iran bestimmt ist, kommt mit den Ausführungen gut zur Darstellung. Deswegen kann und muss aber aus einem Katalysator keine Ursache werden. Diese kritische Bemerkung soll die Beurteilung dieses Kapitels nicht schmälern, welches – wie ich meine – ein schockierendes Defizit adressiert: „Entscheider·innen fühlen sich an dieser Stelle unterversorgt. Das amtliche Referenzwissen wird größtenteils aus den Berichten der Asylbehörden anderer Länder heraus generiert; die Arbeit deutscher Institutionen (wie dem Auswärtigen Amt) beschränkt sich demgegenüber auf lediglich wenige Seiten umfassende Länder-Kurzprofile“ (366). Man muss also nicht nur ein Dilemma angesichts der Aufgabe konstatieren, etwas Unzugängliches, also die innere Motivation für Handeln und Reden, zu bewerten. Nein, im Rahmen der vorgegebenen Strukturen und Dynamiken wird die Position der Menschen, die über das Schicksal anderer entscheiden, geschwächt und ihre Aufgabe ins Unerträgliche erschwert. Man kann nur hoffen, dass vorliegendes Buch (wie manch andere Studie) zur Kenntnis genommen wird. Schließlich leistet Krannich in beispielhafter Form, was er am Ende seines Buches einfordert: „Die taufenden Kirchen könnten in den genannten Punkten einen wichtigen Beitrag leisten. … [Sie müssen] anwaltlich für iranische Christ·inn·en in Erscheinung treten und deren spezifischem Christ- und Kirche-Sein, das einfachen asylrechtlichen wie konfessionskundlichen Klassifizierungen widerstrebt, Gehör verschaffen“ (366).
Das dritte Kapitel „C. Religion, Konversion und die Mechanik des Asylverfahrens“ (197–269) stellt wichtige Aspekte der Herausforderungen, Notwendigkeiten und das Dilemma eines Asylverfahrens dar. Diese Darstellung wird dann in den beiden folgenden Kapitel brennpunktartig an zwei Stellen vertiefend problematisiert und diskutiert, bevor Krannich mit „F. Zusammenfassung der Ergebnisse“ (361–366) seine Arbeit beschließt. Die Vertiefung erfolgt zum einen mit Blick auf das Verhältnis von Staat und Kirche „D. Der Konflikt zwischen Staat und Kirchen über die asylrechtliche Überprüfung von Konvertiten“ (271–323), zum anderen hinsichtlich innerkirchlicher Diskussionen bei der Tauffrage „E. Tauftheologische Konfrontationen“ (325–360).
Über Asylanträge muss in Deutschland entschieden werden. Diese Entscheidung stellt alle Beteiligten in ein Dilemma. Die Beteiligten kommen aus grundlegend verschiedenen gesellschaftlichen Situationen. Ein Verständnis über diese Differenz hinweg, die sich nicht zuletzt in der Bedeutung, dem Stellenwert und der Rede über Religion im Allgemeinen und im Persönlichen zeigt, wird durch die Sprachbarriere erheblich erschwert. Aber ein Antrag wird gefordert, wird gestellt und wie sagt ein Betroffener: „An irgendetwas müssen wir’s aber festmachen“ (281). Die Informationen sind spärlich, Asylsuchende sind Zeugen und irgendwie unter Verdacht, dass sie nur in eigener Sache aussagen. Es kann eine Entscheidung über Leben und Tod sein, doch eine Entscheidung muss her: „Die Auseinandersetzung findet ein Ende in der Formulierung, dass man als prüfende Behörde eben nicht nicht-prüfen könne, weil schließlich eine Entscheidung getroffen werden müsse“ (281). Krannich arbeitet gut heraus, wie dieses Dilemma die kirchliche und staatliche Institution dazu verleitet, ihre Deutungshoheit, die Rechtmäßigkeit oder Rechtsförmigkeit des Verfahrens zu verteidigen. Dabei entsteht bisweilen der Eindruck – und das gilt für beide Seiten – dass man hier keinen Zentimeter nachgeben darf und geradezu ein Exemplum zu statuieren ist.
Es ist bemerkenswert, welche Bedeutung die Möglichkeit des Missbrauchs in den Überlegungen und Diskussionen spielt. In einem Asylverfahren gibt es sicherlich zwei mögliche „fehlerhafte“ Ausgänge. Entweder es wird zu Unrecht Asyl gewährt oder Menschen werden zu Unrecht in eine lebensgefährliche Situation zurückgeschickt. Es ist erschreckend, wie diese beiden Ausgänge theoretisch scheinbar von gleichem Gewicht sind und die erste Möglichkeit in der Realität viel mehr Aufmerksamkeit erhält. Dies wirft viele Fragen auf.
Die Feststellung des Dilemmas sagt damit wohl weniger etwas über die beteiligten und betroffenen Menschen aus. Hier werden Entscheider mit einer Aufgabe belastet, die auf formalrechtlichem Wege Menschen als Schicksale auf Distanz hält, weil es sonst wohl kaum zu (er-)tragen wäre. Kirchen streiten mit dem Staat über eine Deutungshoheit, die lebenswichtige und lebensentscheidende Aussagen über Asylsuchende treffen will – eine Deutungshoheit, bei der die Betroffenen aus dem Blick geraten, falls sie jemals in einem essenziellen Sinne im Sichtfeld waren. Wer sich mit den Diskussionen dieser Institutionen beschäftigt, kann allzu leicht den Eindruck gewinnen, dass der Erhalt und der Einfluss, der Fortbestand und die Macht der Institutionen ihr Handeln, Reden und Denken beherrscht. Dazu passt, dass den Betroffenen praktisch keinerlei Kompetenz zugesprochen wird. Über sie wird gesprochen, ihre Aussagen werden bewertet und beurteilt, aber man kommt in der Regel nicht mit ihnen ins Gespräch. Das ist kein Dilemma. Das ist schockierend.
Heiko Wenzel, Ph.D. (Wheaton), ist Mitarbeiter an der Akademie für Kirche und Gesellschaft in Wien.