Praktische Theologie

Richard Graupner: Der Gottesdienst als Ritual

Richard Graupner: Der Gottesdienst als Ritual. Entdeckung, Kritik und Neukonzeption des Ritualbegriffs in der evangelischen Liturgik, EKGP 5, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2019, Pb., 512 S., € 75,–, ISBN 978-3-7887-3362-9


Richard Graupner, Pfarrer in Großkarolinenfeld und Kunstbeauftragter der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern, veröffentlicht mit diesem Buch seine von der Universität München angenommene Dissertation aus dem Jahr 2016.

Graupner unternimmt den Versuch, den seit den 1970er Jahren geführten Ritualdiskurs in der evangelischen Liturgik auszuwerten, um der Frage nachzugehen, „was der Ritualbegriff zum Verstehen, aber auch zum Gestalten des Gottesdienstes beitragen kann“ (18). Dazu untersucht er bisherige ritualtheoretische Ansätze hinsichtlich ihrer Leistung für den Gottesdienst. Den Vf. leiten dabei die Fragen, was das Ritual als Handlung kennzeichnet und auf welche Weise es seine „Leistung“ erbringt.

Für dieses Vorgehen ist die Arbeit in drei Teile gegliedert. Im ersten Teil (Kap. 1–5) werden die Kritik am und Umbrüche im gottesdienstlichen Handeln während der 1960er Jahre skizziert, um verständlich zu machen, worin der seit den 1970er Jahren beginnende Ritualdiskurs wurzelt. Dieser wird im weiteren Verlauf des Kapitels anhand wesentlicher Publikationen geschildert. Zentraler Bestandteil des Kapitels ist die Darstellung, Würdigung und Kritik des Werkes von Werner Jetter, Symbol und Ritual, das einen wichtigen Bezugspunkt der Arbeit bildet und im Verlauf immer wieder aufgegriffen wird. Im zweiten Teil (Kap. 6–9) arbeitet der Vf. ähnlich wie im ersten, behandelt aber außertheologische Ritualtheorien, die er im späteren Verlauf mit den theologischen Entwürfen in einen Dialog bringen möchte. In diesem Teil liegt der Schwerpunkt darauf, vier Ansätze aus dem Bereich der Ritual Studies darzustellen, die dahingehend einen Wandel in der Ritualtheorie herbeigeführt hätten, das Ritual weniger als undynamische, feststehende Handlung zu definieren, sondern seine Prozesshaftigkeit und Transformationskraft zu sehen. Der dritte Teil (Kap. 10–13) führt Erkenntnisse des evangelischen Ritualdiskurses mit den außertheologischen Ansätzen in sieben prinzipienartigen Thesen für ein erweitertes Verständnis von Ritualen im Gottesdienst zusammen. Diese Thesen versucht Graupner exemplarisch am Beispiel der Veränderung des Gottesdienstes im Zuge der Reformation anzuwenden. Ein Ausblick über Gottesdienstgestaltung und Ritualkonzept schließt die Arbeit.

In einer Zeit der nahezu unüberschaubaren Fülle an Publikationen zum Themenbereich der Ritualforschung (240) gelingt es dem Vf. ausgezeichnet, nicht nur die Geschichte der Ritualforschung seit Beginn der 1970er Jahre nachvollziehbar zu skizzieren, sondern auch, exemplarische Publikationen inhaltlich kompakt, aber verständlich darzustellen und dadurch mehr Übersicht in die Fülle ritualtheoretischer Ansätze, ihre Unterschiede, Gemeinsamkeiten und Denkrichtungen zu bringen. Hierin liegt ein klar zu würdigendes Verdienst dieser Arbeit.

Graupners Thesen ergeben sich konsequent aus der Zusammenführung der vorigen Kapitel und regen die praktische Reflexion gelebter Gottesdienste an. Allerdings erwecken sie mitunter den Eindruck, die Erkenntnisse der außertheologischen Konzeptionen stärker zu gewichten als die der liturgietheologischen. Hier wäre kritisch anzufragen, wo die Grenze zwischen hilfreicher Bezugnahme auf Referenzwissenschaften und der Gefahr der Aufgabe des Primats der Theologie verläuft.

Etwas getrübt wird das Auge des Lesers durch etliche Stellen mit orthografischen und grammatischen Fehlern. Für die deutsche Sprache bedauerlich ist auch, dass der Verfasser zuweilen in einen das Verb vorziehenden englischen Satzbau verfällt. Beides schmälert inhaltlich nicht die gewinnbringende Lektüre, sollte aber für eine mögliche Überarbeitung bedacht werden.

Insgesamt bietet Graupners Arbeit anregende Impulse, in einer vielfältiger werdenden Gottesdienstlandschaft, zunehmender gesellschaftlicher Pluralität und steigender Fülle individueller Bedürfnisse die Stärken liturgisch und rituell geprägter Gottesdienstformen wahrzunehmen und deren Akzeptanz zu fördern, ohne dabei die Chancen neuerer Ansätze außen vor zu lassen.


Henrik Homrighausen, M.A. ev. Theol., Doktorand im Fachbereich Praktische Theologie an der STH Basel