Rüdiger Lux: Sacharja 1–8
Rüdiger Lux: Sacharja 1–8, Herders Thelogischer Kommentar zum Alten Testament. Freiburg: Herder, 2019, geb., 694 S., € 115,–, ISBN 978-3-451-31308-0
Lux’ Kommentar ist mit 694 Seiten für die ersten acht Kapitel des Sacharjabuchs sicherlich einer der umfangreichsten Kommentare, die man finden kann, wenn er nicht der ausführlichste ist. Die jahrelange Arbeit an und mit dem Buch trägt vielfach Früchte und lädt geneigte Leserinnen und Leser ein, sich ausführlich sowohl mit Lux’ Beobachtungen, Überlegungen und Diskussionen als auch mit den Texten in Sacharja 1–8 zu beschäftigen. Das Format der Herder-Reihe mit der Abfolge von Literaturhinweisen, Übersetzung, ausführlichen Anmerkungen zum Text und zur Übersetzung, Analyse, Auslegung und Bedeutung gerät in den Händen des Verfassers zu einem wertvollen Rahmen, den er zu füllen weiß.
Begreift man einen Kommentar als ein Gegenüber, mit dem man ins Gespräch über den Text kommt, dann begegnet man hier einem Gesprächspartner, der ausführlich, aufmerksam, umsichtig und vertraut mit Primär- und Sekundärliteratur viel Stoff zum Gespräch, zum Nachdenken, zum Weiterdenken, zum Hinterfragen liefert, ohne einfach eine Fülle von Informationen und Perspektiven zusammenzutragen, was angesichts des Ringens von Auslegern mit diesem Prophetenbuch durch die Jahrhunderte ein Leichtes gewesen wäre.
Noch bevor man zur eigentlichen Kommentierung des Sacharjabuchs kommt, reflektiert Lux zu Beginn über die ihm gestellte Aufgabe. Die Unterscheidung von Proklamieren und Kommentieren hat vieles für sich: „Die Aufgabe des Kommentators ist es, das Wort der Propheten, das seinen Ursprung nicht in ihnen selbst und ihrer Wirklichkeit hat, sondern in der Wirklichkeit Gottes, in seiner Zeit und Welt zu kommentieren. Proclamatio und commentatio beziehen sich auf ein und denselben Gegenstand, aber sie tun das in unterschiedlicher Weise.“ (33). Dem ist uneingeschränkt zuzustimmen, insbesondere auch der einleitenden Zuspitzung „Der Kommentator ist kein Prophet.“ Es ist viel gewonnen, wenn diese Unterscheidung in ihrer Tragweite gelebt und gedacht wird. Und doch muss ich zögern, wenn ich Lux’ weiteren Ausführungen folge, wenn er einen Propheten als „Mann der Jetztzeit“ beschreibt und behauptet: „Die Proklamation kennt nur das Heute.“ Diese zugespitzte und – ich meine – begrenzende Verortung von Propheten und ihrer Verkündigung lebt m. E. davon, dass man „ursprüngliche“ Prophetenworte (was auch immer das in der heutigen Forschung dann im Einzelnen noch meinen und beinhalten mag) von späteren oder Ausgangsworte von späteren Überarbeitungen mehr oder minder klar unterscheiden kann und sollte. Schließlich hält Lux wenige Abschnitte weiter fest, dass mit dem Eingang des Prophetenspruchs in das Prophetenbuch sowie des Prophetenbuches in „den großen Traditionsstrom der biblischen Überlieferung“ (34) Folgendes gesagt werden kann: „Denn was die Propheten gekündet und geschrieben hatten, das hatte seine Zeit und seine Stunde, ohne in ihr aufzugehen. Das Geheimnis, das sie nötigte zu sprechen, war größer und reichte über den Tag hinaus, in dem sie es sprachen.“ Oder zugespitzt; „Mit der Kanonisierung wurde den Worten der Propheten ihr ‚Verfallsdatum‘ entzogen. Sie wurden ‚enthistorisiert‘.“ (ebd.). Mit dieser Abfolge und mit dieser klaren Unterscheidung werden für mich nicht nur die Sicht auf die Propheten und ihre Worte problematisch, sondern auch die Unterscheidung von proclamatio und commentatio, der ich eben noch mit vollem Herzen zustimmen konnte. Es wirkt so, als ob man aus dem gegebenen Text methodisch mehr oder minder nachvollziehbar dies Eine identifizieren, vielleicht sogar absondern kann, was nur ein Heute kannte. Man (re-)konstruiert also eine Wirklichkeit, die behauptet wird, aus dem vorliegenden Text, der uns ganz anders entgegenkommt, und bestätigt deren Existenz mit thetischen Beschreibungen des Phänomens „Prophetie“ und der Identifizierung von einzelnen Bearbeitungsstufen des Textes selbst. Geht man aber von der Annahme aus, dass nur ganz wenige Worte (wenn es diese überhaupt gibt …) ausschließlich für den einen Moment formuliert sind, dann muss über diese Abfolge und Unterscheidung gesprochen werden. Es erschließt sich mir einfach grundsätzlich nicht, warum prophetische Worte hier eine „Sonderform“ von Worten sein sollen, die sich ausschließlich auf ein Heute begrenzen lassen. Das gilt vermehrt und zugespitzt, wenn ich den Beschreibungen von Lux folge, dass der Ursprung dieser Worte nicht in den Propheten selbst liegt. Noch bevor man also in die eigentliche Kommentierung des Prophetenbuches eintritt, befindet sich man ganz leicht schon im engagierten Gespräch mit Lux, der sich vielfach als anregender und wertvoller Gesprächspartner erweist.
Bei der Ausführlichkeit und der Umsichtigkeit des Kommentars ist es meines Erachtens weder angemessen noch notwendig, auf Lücken oder Schwächen hinzuweisen. Diese kann man finden, und zwar nicht zuletzt, weil die Vielschichtigkeit des Sacharjabuchs sowie seine Auslegungsgeschichte so vielfältig und umfangreich ist, dass ein Kommentar nicht alles abdecken kann. Wenn man einen Kommentar als ein Gegenüber begreift, mit dem man über den Bibeltext ins Gespräch kommt, so stellen diese rund 700 Seiten ein sehr wertvolles Gegenüber dar. Alle Rückfragen und Anmerkungen, die sich einem bei der Lektüre von Sacharja 1–8 aufdrängen, sind dann keine Problemanzeige. Man gerät nicht so leicht auf das Nebengleis, dass man noch eigene Beobachtungen, Erkenntnisse oder die eigene Perspektive unterbringen muss, wenn man doch eigentlich etwas zu dem Werk eines anderen sagen soll, zu einem Werk, das über Jahre gewachsen und gereift ist. Alle Rückfragen sind vielmehr der Ausdruck von Wertschätzung für die anregende Beschäftigung mit diesen Prophetenkapiteln. Wer sich mit den ersten Kapiteln des Sacharjabuchs oder auch nur einem einzelnen Abschnitt daraus beschäftigen will, wird es nicht bereuen, diesen Kommentar in die Hand zu nehmen. Man sollte etwas Zeit mitbringen; es ist kein Kommentar, den man schnell auf ein paar Informationen oder Einzelbeobachtungen hin lesen kann. Nun ja, das kann man wohl schon, aber es wird weder dem Kommentar noch dem Sacharjabuch gerecht. Eine ruhige Ecke, ein guter Kaffee oder Tee, Lux’ Kommentar und der aufgeschlagene Bibeltext – diese Kombination klingt vielversprechend.
Heiko Wenzel, Ph.D. (Wheaton), Akademie für Kirche und Gesellschaft, Wien