Altes Testament

Thomas Bänziger: „Jauchzen und Weinen“

Thomas Bänziger: „Jauchzen und Weinen“. Ambivalente Restauration in Jehud, Theologische Konzepte der Wiederherstellung in Esra-Nehemia, Zürich: Theologischer Verlag Zürich, 2014, Pb., 307 S., € 32,–, ISBN 978-3-290-17764-5

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Die vorliegende Arbeit ist die für die Publikation leicht überarbeitete Fassung der 2013 am Séminaire Libre de Théologie à Genève eingereichten und angenommenen Dissertation von Thomas Bänziger. Wie der Titel bereits deutlich macht, geht Bänziger hier der Frage nach, ob die in Esra-Nehemia beschriebenen Ereignisse als Restauration Israels und seines Verhältnisses zu Jahwe verstandenen werden wollen. Kann, so fragt Bänziger, „für die in Esra-Nehemia geschilderte Zeitepoche weiterhin der Begriff ‚Wiederherstellung‘ verwendet werden …“ (13)?

Bänziger geht in seiner Untersuchung von der These der Einheitlichkeit der Gesamtkomposition des Esra-Nehemia-Buches aus (35), sowie der Eigenständigkeit gegenüber den Chronikbüchern (284), wobei er ein besonderes Augenmerk auf die von Georg Steins entwickelte „kanonisch-intertextuelle[n] Lektüre“ gelegt wird (38). Er hält eine Datierung „im späten 5. Jh.“ für wahrscheinlich (37).

Eine wesentliche Funktion im Konzept von Bänziger stellt die „Ambivalenz“ dar, die er als eine Kategorie im theologischen Kontext versteht (42ff). Bänziger orientiert sich dabei am Ambivalenzkonzept von Kurt Lüscher (ebd.). Dabei werden einander widersprechende Deutungen nicht aufgelöst, sondern stehen sich als unterschiedliche Aspekte gegenüber (44). Ambivalenz ist dabei laut Bänziger kein von den Autoren des Buches „willentlich gewähltes Konzept“, sondern „ergibt sich […] daraus, dass sich das Esra-Nehemia-Buch mit einer Realität befasst, die als partielle, aber nicht vollkommene Erfüllung von Restaurationserwartungen gedeutet wird.“ (46f).

Nach dieser allgemeinen Einführung stellt Bänziger „diese Ambivalenzen im Esra-Nehemia-Buch anhand von vier ‚Konzepten der Wiederherstellung‘“ dar (281): 1. „Wiederherstellung als Bundeserneuerung“ (49–123), 2. „Wiederherstellung als aktualisierte Heilsgeschichte“ (125–197), 3. „Wiederherstellung als erfüllte Heilsprophetie“ (199–239) und 4. „Wiederherstellung als Wiederaufbau“ (241–279). Bänziger zeigt dabei, dass alle vier Konzepte in Esra-Nehemia von der gleichen Ambivalenz gekennzeichnet sind. Einerseits wird der Bund zwischen Jahwe und Israel erneuert, andererseits ist dieser neue Bund offensichtlich noch nicht der von den Propheten angekündigte (123). Heilsgeschichtlich ist für Israel „die erste Phase der neuen Epoche eingetreten, ihr Ausgang ist noch ungewiss.“ Die Frage ist, ob „das Volk die neue Chance nutzen“ wird (197). Im Blick auf das Thema der erfüllten Heilsprophetie wird die Restaurationsbewegung von Esra-Nehemia einerseits als „eine neue heilsgeschichtliche Epoche“ verstanden, sie entspricht aber „nicht dem im Jeremiabuch an so vielen Stellen verheissenen messianischen Zeitalter“ (239). Und auch für den Wiederaufbau von Tempel und Mauer lässt sich eine ähnliche Ambivalenz zeigen. Besonders deutlich wird dies in der Kombination von Jauchzen und Weinen der Menschen angesichts des neu aufgerichteten Tempels in Esr 3,12f (278).

Bänziger spricht im Laufe seiner Untersuchung viele strittige Themen zu Esra-Nehemia an und liefert dabei interessante und überzeugende Antworten. So diskutiert er z. B. ausführlich die Schlüsselrolle von Neh 8–10 für die Gesamtkomposition des Buches (51ff), wobei die Kapitel 9 und 10 besonders ausführlich dargestellt und auch intensiv exegetisch untersucht werden (84ff). Nehemia 8–10 stellen für Bänziger „die Klimax des Esra-Nehemia-Buches“ dar (123).

Ein anderes Thema, das Bänziger aufgreift, ist das der Struktur des Gesamtwerkes. Dabei wendet er das „Periodisierungsmodell“ von Sara Japhet an (138ff). Anders als dies von vielen modernen Exegeten vertreten wird, zeigt dieses Modell, „dass der Autor über ein sehr klares Zeitkonzept verfügt, das die Basis der literarischen Struktur von Esra-Nehemia bildet“ (139). Anhand dieses Modells entfaltet Bänziger den Aufbau von Esra-Nehemia (148f), wobei sein Leitgedanke ist, „dass die Restaurationsbewegung in Esra-Nehemia als Bewegung von zwei Generationen geschildert wird“ (150). Ein besonderes Augenmerk legt Bänziger dabei auf die in Esra-Nehemia erwähnten Feste (Sukkot in Esr 3 und Neh 8 sowie Pessach in Esr 6; S. 151–163, sowie das Fest zur Mauerweihe in Neh 12; S. 163f). Der Festkalender hat nach Bänziger große Bedeutung. Vor allem die Betonung von Sukkot und die damit verbundene Tora-Lesung ist wichtig und verknüpft die Zeit von Esra-Nehemia mit der Zeit des Exodus und der Landnahme (171ff).

Insgesamt stellt das Werk von Bänziger einen überzeugenden und gelungenen Entwurf zu einer Gesamtschau des Esra-Nehemia Werkes dar. Es ist sowohl im Blick auf Fragen der Einleitungswissenschaft wie auch in exegetischer Hinsicht eine Fundgrube von wertvollen Einsichten und Erkenntnissen. Bänziger gelingt es, Esra-Nehemia als ein eigenständiges Werk darzustellen, das einen gelungenen und – auch chronologisch – sinnvollen Aufbau erkennen lässt. Das Modell der Ambivalenz erweist sich dabei als besonders hilfreich, da es die im Buch selbst erkennbaren Spannungen sinnvoll und logisch erklärt. Das Werk von Bänziger gehört in jede theologische Bibliothek und in die Hand von jedem Theologen, der sich mit diesem Teil des Alten Testaments näher beschäftigen möchte.

 

Dr. Hans-Georg Wünch, Studienleiter und Dozent am Theologischen Seminar Rheinland

 

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