Burkard M. Zapff: Micha
Burkard M. Zapff: Micha, IEKAT, Stuttgart: Kohlhammer, 2020, geb., 269 S., € 89,–, ISBN 978-3-17-025438-1
Zapffs Beschäftigung mit Micha hat sich in den vergangenen Jahren in vielfältigen Veröffentlichungen niedergeschlagen. Mit dem vorliegenden Kommentar kommen viele wichtige Linien zusammen. Eine davon wird in seinen hermeneutischen Vorüberlegungen deutlich: „die Überschrift der Michaschrift grenzt nicht nur ab, sondern verbindet zugleich, sodass ein Verständnis der Überschrift als rein biographische Information zu eng ist.“ (16). Dabei geht es nicht nur um zeitliche Überschneidungen von Hosea, Amos und Micha. Vielmehr steht damit die Frage im Raum, „ob nicht Teile der Michaschrift ein Echo auf die Verkündigung des Hosea und des Amos sind, sodass man sie mit Recht als Ausdruck des einen Wortes JHWHs hinein in eine bestimmte Zeit und Situation bezeichnen kann.“ (ebd.). So richtet der Kommentar ein besonderes Augenmerk auf Verbindungen und Parallelen von Micha zu anderen Propheten(schriften), v. a. zu Hosea und Amos, aber auch zu Jesaja. Bemerkenswert sind dabei nicht zuletzt die Stellen, die eine Vertrautheit mit Abschnitten in Hosea oder Amos voraussetzen.
Bei Zapff spielt dabei der Gedanke von Schriftgelehrsamkeit eine wichtige Rolle und die Frage, ob Stellen, die eine Vertrautheit voraussetzen, „jemals in einer von einem Mehrprophetenbuch unabhängigen Michaschrift existierten.“ (ebd.). Diese Überlegungen führen zu einer Kriteriologie zur Identifizierung älterer Texte: „Nur für die Texte, die nicht in einer Beziehung zu Hosea, Amos und Jesaja stehen und überdies kein exilisches oder nachexilisches Kolorit zeigen, wird erwogen, inwieweit sie möglicherweise dem Propheten des 8. Jh. v. Chr. zugeschrieben werden können.“ (ebd.). Im Kommentarteil zu den einzelnen Abschnitten sind die wichtigsten Bezüge dann am Rand vermerkt, so dass sie nicht nur leicht zu identifizieren, sondern auch gezielt nachzuschlagen sind. Es liegt in der Natur der Sache, dass dabei manche Verbindung überzeugender erscheint als andere und das sowohl bei der Identifizierung wie auch bei der Auswertung der Verbindungen der Leser manche Frage stellen kann. Kurze Betrachtungen und Reflexionen beschreiben die Dynamik dieser Bezüge. Die synchrone und diachrone Analyse – also die für den IEKAT charakteristische Zusammenstellung – sind hierbei nicht klar zu trennen. Manchmal fällt die Unterscheidung auch schwer, da eine schriftgelehrte Aufnahme und Weiterver-/bearbeitung von Text(teil)en aus anderen Schriften nicht mehr so leicht der einen oder der anderen Perspektive (alleine) zuzurechnen ist. Betrachtet man den Umfang von Zapffs Ausführungen zu den einzelnen Abschnitten, so fällt der diachrone Teil in der Regel recht knapp aus und wird immer wieder ergebnishaft oder thetisch vorgetragen. Diskussionen und Abwägen findet man im „synchronen“ Bereich, also in der „Kontextbezogenheit“, „Textinterne(n) Aussagegestalt“ und in der „Einzelauslegung.“
Vielfach finden sich gute und interessante Beobachtungen, die zu weiterem Forschen und eigenen Überlegungen Anlass geben, z. B. S. 35f. Bedauerlich ist, dass z. B. auf S. 36 Nahum keine Erwähnung findet. Für den gesamten Kommentar muss man dabei leider festhalten, dass Verbindungen von Micha zu Jesaja, Amos und Hosea immer wieder Platz finden, aber Verbindungen zu anderen Stellen im Zwölfprophetenbuch sehr kurz kommen. Sicherlich gibt es davon weniger und die angeführten dokumentieren eine besondere Bedeutung der drei genannten Schriften, was aber m. E. nicht auf Kosten der anderen Verbindungen gehen sollte, vgl. auch z. B. S. 44.
Abweichungen der Septuaginatexte werden immer wieder in kleinen Exkursen eingefügt, was interessante Aspekte zutage fördert. Es ist bedauerlich, dass dies i. d. R. sehr knapp geschieht, kaum vertiefend ausgewertet wird und kein größeres Bild von Micha in der Septuaginta, auch im Gespräch mit der veränderten Reihenfolge in den Dodeka, gezeichnet oder auch nur angedeutet wird.
Gegen den möglichen Einwand, dass seine Kriteriologie hyperkritisch sei, verweist Zapff schlicht darauf, dass sich eine solche bewährt habe (in der Fußnote gibt er dann Becker, Jesaja, an), damit keine Nivellierung des Anspruches der Botschaft verbunden sei und dies „der bereits im Alten Testament zu beobachtenden Tendenz, die prophetische Botschaft nicht so sehr zu individualisieren, sondern vielmehr als eine Größe zu betrachten, die dann ihre Krönung in der neutestamentlichen Rede von der (einen) Botschaft aller Propheten findet (vgl. Lk 24,25).“ Diese Aussage ergänzt Zapff dann um eine Fußnote, die auf die koranische Überlieferung und der Überzeugung verweist, dass „sämtliche Propheten bis Mohammed im Grunde nur die eine Botschaft von der Einheit und Einzigkeit Gottes verkünden“ (ebd., Anm. 10). Es ist bedauerlich, dass die „Bewährung“ dieser Kriteriologie mehr behauptet als durch abwägendes Betrachten, was alternative Deutungs- und Erklärungsmöglichkeiten reflektiert, nachvollziehbar unter Beweis gestellt wird. Zapffs Anliegen, eine Nivellierung der Botschaft abzuwehren, ist zu begrüßen. Es wird aber schwer verständlich, wie das im Einzelfall oder auch in der Summe der Bezüge gelingen kann, wenn man diese in eine von Zapff beschriebene Schriftgelehrsamkeit einzeichnet. Insbesondere die erwähnte Fußnote wirft hier nicht nur exegetische, sondern auch theologische und hermeneutische Fragen auf. Diese Fragen sind wohl vor allem der Kürze von Zapffs Anmerkung geschuldet und würden in einer ausführlichen Darstellung sicherlich zur Sprache kommen. Gibt es eine vergleichbare Reduzierung von dem „einen Wort JHWHs“ in alttestamentlicher Tradition, wie Zapff es für das koranische Prophetenverständnis zeichnet, das die Botschaft auf die Einheit und Einzigkeit Gottes fokussiert? Die Verweise mögen das nahelegen. In diesem Zusammenhang bleibt es mir ein Rätsel, welche Bedeutung und Funktion der Hinweis auf Lk 24,25 haben soll. Es fällt mir schwer in der lukanischen Formulierung eine solche Reduktion zu erkennen. Auch wäre noch einmal theologisch und hermeneutisch zu reflektieren, inwiefern die scheinbar behauptete Analogie, auch wenn es nur eine Teilanalogie sei, eines lukanischen und koranischen Prophetenverständnis zu beschreiben und zu begründen wäre. Trotz dieser Nachfragen teile ich das Anliegen Zapffs, „die prophetische Botschaft nicht so sehr zu individualisieren“. Sicherlich belegen die zusammengestellten Bezüge an sich und ihre Anzahl, dass Micha sehr eng mit anderen prophetischen Schriften zusammengelesen werden muss. Allerdings sollte diese Vernetzung weder in der Theorie noch in der Praxis gegen individuelle Züge ausgespielt werden. Schließlich leisten die Anfangsverse eben beides, sowohl die beispielsweise auch von Ehud Ben Zvi vehement behauptete Unterscheidung einzelner Schriften von anderen (so dass dieser sich weigert von einem Zwölfprophetenbuch zu sprechen) als auch eine Vernetzung mit anderen Schriften. Das eine gibt es schlicht nicht ohne das andere. Das besondere Augenmerk auf Parallelen zu anderen Propheten sowie die damit verbundenen Reflexionen leisten einen wertvollen Beitrag für das Gespräch um die Kommentierung von Micha. Wer sich mit dieser Frage im Allgemeinen, mit dem Zwölfpropheten oder mit Micha beschäftigt, sollte Zapffs Kommentar in die Hände nehmen.
Heiko Wenzel, Ph.D. (Wheaton), Akademie für Kirche und Gesellschaft, Wien