Fritz Röcker: Der erste Brief des Paulus an die Thessalonicher
Fritz Röcker: Der erste Brief des Paulus an die Thessalonicher, Historisch-Theologische Auslegung des Neuen Testaments, Gießen: Brunnen, 2021, geb., 333 S., € 44,99, ISBN 978-3-7655-9737-4
Die wertvolle Kommentarreihe „Historisch-Theologische Auslegung“ ist mit dem Band von Fritz Röcker um eine weitere Perle reicher geworden. Ein angenehm kurzer Teil der Einleitungsfragen umreißt alle wichtigen Diskussionen bezüglich der historischen Umstände und der Entstehung des 1. Thessalonicherbriefs. Kürzer ist dieser Teil im Vergleich zu anderen evangelikalen Kommentaren, da es hier in der Forschung nicht so viele verschiedene Meinung und Kontroversen gibt, gegen die man eine evangelikale Sicht erst profilieren muss. Die Ausführungen Röckers sind dennoch beachtenswert, weil er eine Fülle an relevanten Informationen zum frühen Christentum und zum frühen Paulus in gut verständlichem Sprachstil bereitstellt. Hier liegt der große Verdienst des Kommentars: Man wird an die Hand genommen und eingeführt in die Aussagen des Briefes, in das innige Verhältnis des Apostels zu seiner Gemeinde, welches sich in Herausforderungen bewährt und vertieft. Hervorzuheben ist, dass Röcker philologisch sehr akribisch arbeitet. Wichtige Leitbegriffe und Motive des Bibeltextes werden in der Tiefe verständlich. Der Text wird auch häufig grafisch dargestellt. Trotz weniger Kontroversen in der Forschung ist die Auslegung nicht altbacken irgendwo hergeholt, sondern frisch und durchaus eigenständig. Dabei ist die gesamte deutschsprachige und angelsächsische Literatur zum 1Thess einbezogen, soweit ich das erkennen kann.
Wie schon bei anderen Rezensionen bezüglich der HTA-Reihe moniert, bleibt auch Fritz Röcker etwas hinter dem Anspruch zurück, Brücken in die Praxis der kirchlichen Gegenwart zu schlagen. Gerade bei den vielen ethischen Anweisungen im 1. Thessalonicherbrief wäre es interessant zu wissen, was ein Oberkirchenrat für die Kirche von heute dazu meint. Gerade bei dem praktischen Abschnitt am Ende des Briefes fehlt diese Betrachtung ganz (Teil IV der Auslegung). Manchmal habe ich den Eindruck, die wissenschaftliche Brillanz und Anerkennung der Ausführungen ist wichtiger als die praktische, geistliche „Erdung“ der Bibeltexte. Ganz besonders gespannt war ich auf die Auslegung von Kapitel 4,13–18. In evangelikalen Kreisen hat dieser Abschnitt eine hohe Bedeutung und starke Wirkungsgeschichte, ist er doch ein Kronzeuge für die Wiederkunft Jesu und die Entrückung der Gläubigen. Röcker führt logisch aus, dass das Thema vordergründig jedoch nicht die Entrückung, sondern der Trost für die Gläubigen das Entscheidende ist, die um ihre verstorbenen Geschwister trauern. Dabei geht es dann in erster Linie um die Wiederkunft von Jesus, erst in zweiter Linie um die Entrückung der lebenden Gläubigen, die den zuvor Gestorbenen Christen nichts voraushaben werden. Die Parusie war die Hoffnung der ersten Christen, nicht die eigene Rettung aus den Umständen. Heutzutage ist dies oft anders. Viele (evangelikale) Christen warten auf die Entrückung, die ihrer Meinung nach auch vor dem Antichristen, vor der Trübsal, also prämillenial, stattfindet, hoffen auf ihre persönliche Bewahrung, aber haben dabei vielleicht weniger Jesus Christus vor Augen. Hier hätte ich mir im Kommentar neben der sehr gelungenen exegetischen Arbeit auch eine systematisch-theologische Reflexion bei diesem für Evangelikale wichtigen Thema gewünscht.
Phil Jordan, Religionslehrer, Theologe (Master), Doberlug-Kirchhain