Neues Testament

Rodney A. Whitacre: A Grammar of New Testament Greek

Rodney A. Whitacre: A Grammar of New Testament Greek, Grand Rapids, MI: William B. Eerdmans Publishing Company, 2021, geb., XIV+508 S., $ 49,99, ISBN 978-0-8028-7927-1


Das Altgriechische zählt zu den sogenannten toten Sprachen. Es liegt daher in ihrer Natur, dass sie sich nicht mehr entwickelt. Trotzdem blüht die altphilologische und linguistische Erforschung dieser so zentralen Sprache wie selten. Damit verbindet sich auch die immer stärker werdende Tendenz der Geisteswissenschaften zur Fragmentierung und Hyperspezialisierung, die den Diskurs bereichert, jedoch Außenstehenden oder Neuankömmlingen den Zugang zunehmend erschwert. Gleichzeitig muss sich jede neue systematische Darbietung der griechischen Grammatik angesichts eines gut gesättigten Marktes insbesondere in der anglosächsischen Welt die Frage nach ihrer Relevanz gefallen lassen.

Beiden Herausforderungen stellt sich Rod Whitacre in seinem neuen Werk zur griechischen Grammatik des Neuen Testaments. Die konzise gehaltene Gesamtdarstellung ist Ergebnis einer über 40-jährigen Lehrtätigkeit an vornehmlich konservativ geprägten theologischen Seminaren anglikanischer Tradition Nordamerikas. Sein Ziel ist dabei weder eine reine Einsteiger-Grammatik zu bieten noch in die teilweise äußerst komplexen Fachdiskussionen mit einem eigenständigen Beitrag einzusteigen.

Aufgebaut ist die Grammatik wie viele andere auch. Die Aufbereitung des Stoffes geht (logischerweise) vom Zeichen zum Satz. So beginnt Whitacre mit einer knappen „Introduction to Greek Writing, Pronunciation, and Punctuation“ (1–10), die einen unspektakulären Überblick über die rudimentären Komponenten altgriechischer Einzelbuchstaben, Diphtonge usw. zusammenfasst. Ein Hinweis zur unterschiedlichen Aussprache in klassischer und nachklassischer Zeit bleibt leider aus (3f). Auch eine vertiefende Diskussion zu Satzzeichen bei Scriptura continua der ersten Manuskripte fehlt, was für eine kritische Lektüre der diversen wissenschaftlichen Editionen des griechischen NTs durchaus nötig gewesen wäre.

Dagegen ist das zweite Kapitel (11–45) eine schöne Darstellung griechischer Teilworte und Wortfamilien. Außerdem wird übersichtlich in die Hauptbestandteile eines Satzes, eines Verbes und eines Nomens eingeführt. Querverweise zum Syntaxteil, Kapitel 5, wären für ein Nachschlagewerk hilfreich gewesen.

Wie für eine Grammatik üblich, folgt nun die Behandlung der Morphologie oder Bildung nominaler Formen (46–85). Anhand einiger Paradigmentabellen lassen sich die Grundformen der Deklinationen nachvollziehen, wenngleich die Darstellung der doch recht umfangreichen Modifikationen in der sog. dritten Deklination mehr Raum hätten einnehmen dürfen.

Anders als Einsteigergrammatiken nimmt sich diese weniger Zeit für die eigentlichen Bestandteile des Verbes (86–168), sondern kümmert sich um diese insbesondere im umfangreichen Syntaxteil (169–370). Dieses Kapitel bildet das eigentliche Herzstück von Whitacres Grammatik, da sie doch die Vorarbeiten aus den Kapiteln 1–4 nun fruchtbar in eine Beziehung bringt. Erst hier werden Ausnahmen angesprochen und die ihnen jeweils innewohnenden „Regelmäßigkeiten“. Whitacre verbindet Fragen nach (un)determinierten Nomen, der Kasussyntax, Pronomina und Komparation stets mit dem Zentralglied des Satzes, nämlich dem Prädikat. Hierauf verwendet er gut 80 Seiten, um von dort aus erneut nach dem Zusammenspiel von verschiedenen Satzgliedern – geschart um das Prädikat – zu fragen.

Abschließend finden sich 8 Appendices (371–466), die sich Spezialthemen wie Akzentuierungsregeln, leicht verwechselbaren kleinen Worten, Paradigmentabellen usw. widmen.

Besonders an dieser Stelle zeigt sich der spezielle Charakter dieser Grammatik. Sie versucht weder in zu starker Vereinfachung ‚das Nötigste‘ zum ‚Trivialen‘ zu verkürzen noch jede Spielart der griechischen Sprache en detail zu erhellen. Sie ist streng unterrichtsorientiert und hat den Studenten im Blick. Etwa die Roadmap zur systematischen Analyse eines Satzes in Appendix 7 (453–455) ist kurz genug, um praktikabel zu bleiben, ist aber lang genug, um eine ausreichend umfangreiche Schablone für einen gewöhnlichen altgriechischen Satz an der Hand zu haben. Auch in der Zentralstellung des Verbums innerhalb des Satzes – und nicht etwa als Einzelphänomen in einer Satzgliedreihe – geht Whitacre ganz vom Studenten und seinen Bedürfnissen aus. Wie auch in manchen Blurps und im Klappentext beschrieben bietet Whitacre eine anwendungsorientierte Grammatik, die über die ersten Schritte in dieser Sprache hinausgehen, ohne dabei die Realitäten studentischen Erlernens einer Referenzsprache zu vergessen.

Freilich wäre ein Student der reinen Altphilologie – und nicht der Theologie, die sich dieser Sprache(n) als Mittel zum Zweck bedient – mit dieser Grammatik nicht zufrieden zu stellen. Sie ist so sehr auf den geneigten Leser des Neuen Testaments fixiert, dass sie die größeren Realitäten einer antiken Weltsprache stark ausblendet. Es findet sich kaum eine Herleitung aus der attischen Gräzistik, auch ein regelmäßiger Transfer dorthin wird vergeblich gesucht. Dabei wäre gerade hinsichtlich der Existenz von Nebenformen, Abweichungen von der Regel im NT usw. eine solche Herleitung erhellender als ihre reine Nennung, wenn überhaupt. Das Werk ist eben ganz recht als „intermediate NT grammar“ zu verstehen. Zur tieferen Auseinandersetzung müsste wohl zu den großen, etablierten Bänden gegriffen werden.

 Freilich ist diese Grammatik auf Englisch und für den englischen Sprachraum konzipiert und verfasst. Die jahrelange Lehrtätigkeit im kirchenbezogenen Raum und nicht an der Universität zeigt sich auch in seinem Stil. Alles ist auf die vertiefte Verwendung dieser Sprache als Schlüssel zu den darin verfassten Texten und Wirklichkeiten zugeschnitten. Umso mehr verwundert, dass keine Silbe über die Realitäten antiker Papyri verloren wird, die doch völlig ohne Satzzeichen und allein in Großbuchstaben ausgekommen sind. Stilmittel und sprachlich-syntaktische Indikatoren waren hier deutlich wichtiger und m. E. zu wichtig, um sie in dieser Grammatik quasi völlig zu verschweigen. Hier gehen vergleichbare Werke wie die fortgeschrittenere Grammatik von Wallace zu Recht mehr ins Detail.

Leider bietet das Werk eine ganze Reihe von Schreibfehlern, auch fachlich ist besonders in Kapitel 5 manches Detail durcheinandergekommen. Wie in allen Werken Whitacres wird diesem Nachteil des unwiderruflich Veröffentlichten mit einem außergewöhnlich-formalen Vorzug begegnet: Alle an den Autor eingesandten Corrigenda werden nach Prüfung regelmäßig auf der Homepage www.whitacregreek.com veröffentlicht und immer wieder auch als Einlagenheft formatiert bereitgestellt. Hiervon könnte sich manch ein Autor inspirieren lassen. Fazit: Wer bereits ein Jahr Griechisch gelernt hat, ist mit dieser Grammatik gut bedient. Wer sich über die Grundlagen dieser für die Theologie so zentralen Sprache hinausbewegen will, hat hier ein Hilfsmittel an der Hand, das streng vom Anwender ausgeht und ihn langsam in ein tieferes Verständnis führt. Es ist im guten wie im schlechten Sinne praxisbezogen. Gerade für den Autodidakten, der den Stoff der einfachen Lehrbücher erarbeitet hat, bietet sich dieses Werk als zweiten oder dritten Schritt an. Freilich, eine gute bis sehr gute Kenntnis der englischen Sprache ist für die Erschließung dieses Werkes unabdingbar. Wer jedoch den Schritt hinaus in die weite Welt der Antike oder noch tiefer in die Text des Neuen Testaments gehen will, wird sich anderweitig umschauen müssen.


Magnus Rabel, M.Th., Doktorand bei Prof. Dr. Jörg Frey am Lehrstuhl für neutestamentliche Wissenschaft an der Universität Zürich