Guido Baltes: Die verborgene Theologie der Evangelien
Guido Baltes: Die verborgene Theologie der Evangelien: Die jüdischen Feste als Schlüssel zur Botschaft Jesu, Marburg an der Lahn: Francke, 2020, geb., 255 S., € 14,95, ISBN 978-3-96362-145-1
Guido Baltes studierte in Oberusel und Marburg Theologie, promovierte 2011 an der TU Dortmund im Fach Neues Testament und ist seit 2022 Privatdozent an der Philipps-Universität Marburg. Er ist Pfarrer in der Ev. Kirche von Kurhessen-Waldeck, arbeitet als Dozent für Neues Testament am Marburger Bibelseminar und als Lehrbeauftragter an der Evangelischen Hochschule Tabor. Baltes legt mit dem vorliegenden Werk eine Fortführung seiner Arbeiten „Jesus der Jude und die Missverständnisse der Christen“ und „Paulus: Jude mit Mission“ vor. Ging es ihm dabei zunächst um „viele verbreitete Missverständnisse und Zerrbilder […] wenn es um das Judentum geht“ (8), so geht es ihm im nun nach eigenem Bekunden um die Verankerung der Botschaft des NT im Judentum und darum, wie sehr „jüdische Feste ein hilfreicher Schlüssel“ (8) zu ihrem Verständnis sind. Dabei wird die im Titel angesprochene Formulierung einer „verborgene Theologie“ vom Autoren selbst als reißerisch bezeichnet. Vielmehr ginge es ihm allerdings um die Themen der vier Evangelien, die zunächst verborgen bleiben, um „das, was ungesagt vorausgesetzt ist, weil es für die damaligen Leser selbstverständlich und bekannt war.“ (9). Letztlich zeigt sich darin das Programm des vorliegenden Buches, das sich primär an den jüdischen Festen orientiert. Denn im Autor ist „die Überzeugung gewachsen, dass die jüdischen Feste den heimlichen Bezugsrahmen der neutestamentlichen Theologie bilden.“ (15). Vielen methodische Anfragen, insbesondere an die Nutzung von rabbinischen Schriften, begegnet der Autor in einem Kapitel im Anhang: „Das Neue Testament und die Literatur der Rabbinen“. Doch beschäftigt sich das erste Kapitel zunächst mit dem „Leben nach dem Rhythmus Gottes“, worauf einzelne Kapitel zum Neujahrsfest, Laubhüttenfest, Passafest, Pfingstfest, Neujahrsfest, Versöhnungstag, Laubhüttenfest und zum Schabbat folgen. Diese nehmen einen Umfang von 198 Seiten, und damit den größten Teil des Werkes, ein.
Zunächst legt der Autor also eine nicht zu knappe Übersicht über das, was er „geheiligte Zeit“ nennt, vor: „Zeiträume sind Lebensräume, die Gott uns eröffnet.“ (18). Er untersucht Tage und den Zeitpunkt und Ort des Gebetes, Wochen, Monate, den Zusammenhang zwischen Mond- und Sonnenjahren und das Jahr, an dem sich „die großen Feste und Feiertage ausrichten“ (31). Baltes stellt schließlich eine Verbindung zwischen „Gottes Zeit“ und Jesu Wirken her: „Jesus lebt nach dem jüdischen Kalender. Er feiert die jüdischen Feste und den Sabbat und er ist achtsam darauf, wann es Zeit ist für ihn zu reden oder zu schweigen, zu handeln oder zu warten. Seine Zeit ist ausgerichtet an Gottes Zeit. Deshalb sind die jüdischen Feste und ihre theologische Bedeutung ein wichtiger Schlüssel, um die Botschaft der Evangelien zu verstehen.“ (38). Bei der nun folgenden Detailbeschreibung der einzelnen Feste und des Sabbat stellt der Autor den alttestamentlichen Befund und die jüdische Überlieferung zusammen um daraus die Symbolik und Bedeutung auszuarbeiten.
Sein Fazit zieht Baltes etwas versteckt am Ende von Kapitel 10. Er schließt zunächst mit einem Rückblick auf die letzten Tage Jesu und den Kreis der jüdischen Feste und sieht den Sabbat als zentralen Bestandteil dieser Zeit: „Der Sabbat ist der Tag, an dem die Welt vollendet wird. Tikkun Ha-Olam: Das Zerbrochene wird heil. Das Unvollkommene vollendet. Das Zerstörte wiederhergestellt.“ (211). Nach diesem Rückblick folgert Baltes: „Die Botschaft des Neuen Testaments ist daher beides: Sie ist alt und sie ist neu. Sie ist alt, insofern sie den alten Glauben Israels aufnimmt, bestätigt und ihn mit seinen Festen, Feiertagen, Hoffnungen, Erwartungen, Freuden und Weisheiten feiert. Diese Feste und der darin verborgene Glaube macht die Theologie des Neuen Testaments aus. Sie tragen diese Theologie und füllen sie mit Leben und Inhalt.“ (212–213) Direkt im Nachgang weist Baltes in einem bereits angesprochenen Anhang auch auf verschiedene Probleme bei der Arbeit mit den Schriften der Rabbinen hin. Diese stammen nicht aus der Zeit Jesu. Außerdem sei ihre historische Zuverlässigkeit teilweise fraglich, so Baltes. Auch weist er zurecht darauf hin, dass diese Schriften „nur einen bestimmten Ausschnitt aus der Vielfalt der jüdischen Gesellschaft repräsentieren“ (217). Der Autor hält all diesen kritischen Punkten aber entgegen, dass die Schriften der Rabbinen den neutestamentlichen Texten im Denken weit näher stünden als zeitlich nähere jüdische Quellen und folgert, dass entweder das Neue Testament aus der Zeit gefallen wäre, oder aber „wir gehen davon aus, dass solche Gleichnisse auch schon zur Zeit Jesu von jüdischen Lehrern erzählt wurden“ (218). Dabei wird sein Vorgehen allerdings auch zu einem kritischen Unterfangen, denn er wählt notwendigerweise aus und muss zum Beispiel Einzelstimmen von breiter Überzeugung trennen. Es ist schade, dass Baltes auf diesen „wissenschaftlichen Aufwand“ (221) nicht sehr tief eingeht, was sich auch durch die weiteren Punkte zieht. So spricht er ebenso die historische Zuverlässigkeit der rabbinischen Überlieferung an. Andere Argumente beschäftigen sich wiederum mit dem Ausräumen von Vorurteilen gegenüber dem heutigen Judentum und mit der Anschaulichkeit der Bilder: „Den Rabbinen gelingt es einfach viel besser, große theologische Wahrheiten durch einfache Bilder und kernige Aussprüche auf den Punkt zu bringen.“ (224). Es ist positiv anzumerken, dass Baltes methodisch reflektiert arbeitet. Auch wenn das Augenmerk des Autors offensichtlich nicht auf der Methodik liegt – obwohl ihm diese offensichtlich am Herzen liegt – so ist dies doch je nach Leserin oder Leser als einziger möglicher Schwachpunkt des Werkes auszumachen, denn viele Aspekte werden leider nicht in der nötigen Tiefe behandelt und die Literaturhinweise werden nicht jeder Leserin und jedem Leser auf Anhieb weiterhelfen. Vermutlich wurde eine genauere Behandlung vom Autor entweder aufgrund ihrer Komplexität ausgespart oder weil sie den Rahmen des Buches in dieser Form gesprengt hätten. Trotzdem ist Baltes Werk gründlich, die Endnoten – leider nicht als Fußnoten ausgeführt – dokumentieren seine Arbeit ausführlich. Es gibt interessante Einblicke in Aspekte, die jüdischen Zuhörern bekannt waren und stellt die Symbolik der jüdischen Feste ausführlich dar. Somit behandelt er bis hin in die Gemeindepraxis relevante Fragestellung und fordert zu vielfältigen weiteren Diskussionen heraus. Das Werk ist sprachlich zugänglich und spricht – nicht zuletzt mit dem günstigen Preis – eine breite Menge von Leserinnen und Lesern an, auch wenn es sich vermutlich eher an interessierte Laien richtet. Der systematische Aufbau folgt Baltes Argumentationslinie, ein Stellenregister schließt das Werk ab.
Dr. Jens Dörpinghaus, University of Pretoria, Faculty of Theology and Religion, Hatfield, Pretoria, South Africa