Historische Theologie

Philipp Melanchthon: Glaube und Bildung

Philipp Melanchthon: Glaube und Bildung, herausgegeben und kommentiert von Armin Kohnle, Große Texte der Christenheit 10, Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt, 2021, Pb., 135 S., € 15,–, ISBN 978-3-374-06843-2


Der vorliegende Auswahlband stellt unter dem Titel „Glaube und Bildung“ drei Texte von Philipp Melanchthon (1497–1560) in neuer Übersetzung sowie Kommentierung vor und trifft mit diesem Titel das Lebensthema Melanchthons, wirkte dieser doch sowohl als Reformator der Wittenberger Reformation als auch als Bildungsreformer. Armin Kohnle, Kirchenhistoriker an der Universität Leipzig und renommierter Reformationsforscher, hat mit dieser Auswahlausgabe die Reihe „Große Texte der Christenheit“ um einen Band zu Melanchthon ergänzt. Aufgenommen ist in „Glaube und Bildung“ nicht Melanchthons vielleicht berühmteste Schrift, die Loci Communes (1521), da diese – so der Herausgeber im Vorwort – „zu einseitig die theologisch dogmatische Seite Melanchthons beleuchtet“ (5) hätten: „Sein Anliegen war jedoch vielfältiger und umfassender“ (5).

Daher wählt Kohnle drei kürzere Melanchthon-Texte aus: seine Antrittsrede an der Universität Wittenberg (1518), die „Summe der christlichen Lehre“ (1524) sowie die Rede, die Melanchthon anlässlich der Bestattung Martin Luthers (1546) hielt. Zumindest die Wahl des dritten Textes überrascht, während die beiden ersten Texte exemplarisch das Thema Bildung bzw. Glauben(slehre) vermitteln. Alle Quellentexte werden, wie in der Reihe üblich, in einem ersten Teil in neuer deutscher Übersetzung dargeboten (A; 9–79) und im zweiten Teil (B; 81–130) kommentiert. Im Anhang (C; 131–135) findet sich ein Quellen- und Literaturverzeichnis sowie eine hilfreiche Zeittafel zur Biographie Melanchthons.

Dieser war im Sommer 1518 auf den Lehrstuhl für griechische Sprache an der Universität Wittenberg berufen worden und stellte sich in der Antrittsrede „Über die Notwendigkeit, die Studien der Jugend zu verbessern“ (De corrigendis adolescentiae studiis, 1518) der Universität mit einem Reformprogramm vor. Für den Druck rahmte Melanchthon seine Rede mit einer Widmung an den Wittenberger Rechtsgelehrten Otto Beckmann sowie einem Lobpreisgedicht auf Martin Luther, die hier zusammen mit der Antrittsrede geboten werden (11–40). In der Widmung plädiert Melanchthon für eine gute Wissenschaft, die auch gute Sitten hervorbringe: „Denn fast immer ist ein jeder das, was die Studien aus ihm machen“ (11). In der Antrittsrede kritisiert er das zeitgenössische Grundlagenstudium an der Artistenfakultät und entwirft ein ideales Studium mit der Hinwendung zu den Sprachen der Antike, insbesondere Griechisch und Hebräisch, was für ihn auch eine Erneuerung des Theologiestudiums vorbereitet: „Deshalb, weil die Theologie teils Hebräisch, teils Griechisch ist – denn wir Lateiner trinken nur aus deren Bächen –, sind die fremden Sprachen zu erlernen […]. Und wenn wir die Geister auf die Quellen ausrichten, werden wir anfangen, Christus zu erkennen“ (35). Dass Melanchthon sich mit den Reformvorschlägen in der Antrittsrede bewusst an die Seite Martin Luthers stellte, zeigt auch der nachgestellte poetische Lobpreis Martin Luthers. So interpretiert Kohnle überzeugend: „Ist schon die Widmung an Beckmann ein deutliches Indiz dafür, dass sich Melanchthon mit der Veröffentlichung seiner Antrittsrede an die Seite der Wittenberger Reformkreise stellen wollte, gilt dies noch viel mehr für sein an Luther gerichtetes griechisches Gedicht oder vielmehr: für seine dichterische Liebeserklärung an Luther“ (87).

Einen anderen Charakter hat der zweite Text (41–58), „Eine Summe der christlichen Lehre, die Gott der Welt jetzt wiedergegeben hat, an den Landgrafen von Hessen“ (Epitome renovatae ecclesiasticae doctrinae, 1524). Hier bietet Melanchthon eine knappe Zusammenfassung der lutherischen Lehre, indem er zunächst die Rechtfertigung („Worin besteht rechtschaffene Frömmigkeit, die vor Gott gilt?“) entfaltet und anschließend auf das Verhältnis von göttlichen und menschlichen Gesetzen eingeht und dabei im historischen Horizont der Bauernaufstände das rechte Verständnis von Luthers Rede von der „Freiheit eines Christenmenschen“ zu vermitteln sucht. Die Erläuterung des evangelischen Glaubens verfasste Melanchthon im Herbst 1524 nach einer kurzen persönlichen Begegnung mit Landgraf Philipp von Hessen in Frankfurt, und „es spricht doch einiges dafür, dass Melanchthons kleine Schrift die reformatorische Entwicklung des Fürsten befördert hat. […] Mit Philipp von Hessen erhielt die reformatorische Partei im Reich […] ihr zweites politisches Haupt neben dem Kurfürsten von Sachsen“ (103).

Steht die Wittenberger Antrittsrede exemplarisch für den Anschluss Melanchthons an Martin Luther und die Wittenberger Reformation, so konzentriert sich der dritte Text (59–79) auf das Verhältnis von Melanchthon zu Luther am Beispiel der „Rede bei der Bestattung des ehrwürdigen Mannes Doktor Martin Luther“ (Oratio in funere reverendi viri Doctoris Martini Lutheri; 1546). Melanchthon stellt Luther als einen „heilsamen Lehrer“ (62) der „reine[n] Lehre des Evangeliums“ (63), aber auch als einen gütigen Menschen (70), als Angefochtenen und Beter (71), Gelehrten (72) und Redner (72) vor, der „von Gott besonders erweckt und erwählt wurde, um der Kirche wieder aufzuhelfen“ (72). Melanchthons Rede am Grab Luthers „ist wie kein anderer Text geeignet, die kirchengeschichtlich so bedeutsame Arbeits- und Lebensgemeinschaft der beiden Häupter der Wittenberger Reformation zu beleuchten“ (6) und gibt daher neben der Würdigung von Luthers Wirken v. a. Aufschluss über das Verhältnis von Melanchthon und Luther.

So endet auch die Kommentierung des Textes durch Kohnle mit dem Abschnitt „Melanchthon und Luther“ (125–130); Kohnle zeichnet hier den Wandel von der schwärmerischen Freundschaft Melanchthons in der Antrittsrede zu einer „freundschaftliche[n] Kollegialität“ (129) nach. Das Verhältnis der beiden großen Wittenberger Reformatoren ist ohne Zweifel wichtig. Doch betont der Herausgeber an anderer Stelle zu Recht, dass die Anliegen Melanchthons vielfältig waren (5) und er „mehr und mehr sein eigenes theologisches Profil“ (112) ausbildete. So ist es fast bedauerlich, dass mit der Wahl des dritten, letzten Textes nicht die Chance genutzt wurde, die Eigenständigkeit von Melanchthons Denkens zu zeigen, sondern dieser Quellentext erneut den Blick auf Melanchthon als Mitarbeiter und Mitstreiter Martin Luthers bietet. Doch das ist die Entscheidung des Herausgebers, und auch Melanchthons Grabrede ist auf jeden Fall lesenswert – wie die ganze Auswahlausgabe. Durch die Übersetzung ins moderne Deutsch und die Kommentierung sind die Texte für jeden Interessierten leicht zugänglich, und die Ausgabe empfiehlt sich für eine erste Begegnung mit Philipp Melanchthon als Humanist, Bildungsreformer, Wittenberger Reformator und ja, auch Mitarbeiter Martin Luthers.


Dr. Ulrike Treusch, Professorin für Historische Theologie an der Freien Theologischen Hochschule Gießen