Praktische Theologie

Lutz Friedrichs: Bestatten

Lutz Friedrichs: Bestatten, Praktische Theologie konkret 2, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2020, Pb., 150 S., € 18,–, ISBN ‏978-3-5256-3406-6


Kennen Sie Mr. May? Mr. May, Protagonist des Films „Mr. May und das Flüstern der Ewigkeit“, ist Amtsbestatter und kümmert sich um Bestattungen von Menschen, bei denen die Hinterbliebenen nicht bekannt sind, oder es schlicht keine (mehr) gibt. Diese Aufgabe nimmt er sehr ernst. Deswegen sucht er nach Fotos, Gegenständen etc. aus dem Leben des Verschiedenen, die einen Blick auf dessen Lebensgeschichte freigeben und schreibt daraus z. B. die Traueransprache für den Priester. So würdigt er Verstorbene und Trauernde gleichzeitig in besonders einfühlsamer Weise, nimmt ihre Bedürfnisse ernst und macht Bestattungen so zu einer Feier für das Leben. Lutz Friedrichs, Direktor des Ev. Studienseminars der Ev. Kirche von Kurhessen-Waldeck und Prof. für Praktische Theologie an der Universität Göttingen, sieht in Mr. May ein Vorbild. Dabei hat er besonders Pfarrer und Prädikanten – und damit insgesamt die evangelische landeskirchliche Situation – im Blick.

Die Notwendigkeit für ein solch individuelles, „zartes“ Vorgehen zeichnet Friedrichs eindrücklich nach. Mit der Gesellschaft verändert sich auch die Bestattungskultur. Verstorbene wie Trauernde kommen aus verschiedenen Milieus, haben immer öfter kaum Zugang zu kirchlichen Traditionen und Inhalten, erwarten des Öfteren von Kirche eine „Dienstleistung“, was sich im Trauergespräch, wie den Gestaltungs- und Musikwünschen für die Beerdigung zeigen kann. Auch die Bestattungsformen haben sich massiv gewandelt.

Wie kann pastorales Handeln angesichts dieser Komplexität sowohl professionell und theologisch angemessen als auch auf die Menschen und ihre Bedürfnisse zugehend und ein gelebtes Leben würdigend geschehen? Friedrichs Grundverständnis von Bestattung nimmt Grethleins „Kommunikation des Evangeliums“ auf und denkt sie konkret weiter. Bestattung als besondere Form der Evangeliums-Kommunikation kann dadurch weiter gefasst werden, als den reinen Beerdigungs-Akt bezeichnend, sondern gewinnt eine größere pastorale Dimension, die die betroffenen Menschen einzubeziehen sucht sowie vernetzend denkt und agiert.

Den konkreten Umsetzungsmöglichkeiten geht Friedrichs in von ihm kartografierten Spannungsräumen nach, z. B. der Spannung zwischen Intimität und Seelsorge bei Trauergesprächen einerseits und der Vorbereitung der Trauerfeier und damit einer deutlichen Öffentlichkeit andererseits. Für jede diese Spannungen sucht er nicht eine klare, einseitige Auflösung, sondern Handlungsmöglichkeiten, die Spannungen wahrnehmen und aushalten. Dabei leitet ihn mit Blick auf die pastoral Handelnden stets das Ideal des Mitgehens, ganz im Sinne eines Mr. May: Sich auf die Geschichte des Verstorbenen einlassen und fürsorglich die Würdigung dessen Lebens planen und durchführen, Trauernde versammeln, ihre Bedürfnisse ernst nehmen und im besten Sinne des Wortes Netzwerkarbeit zu betreiben. Die drei grundlegenden Kommunikationsmodi in Grethleins „Kommunikation des Evangeliums“ – Gemeinschaftlich feiern, Helfen zum Leben, Lehren und Lernen – werden hierbei als Reflexionskategorien genutzt.

Friedrichs illustriert seine Überlegungen mit Best-Practice-Beispielen für Aussegnungen, Trauergesprächen und Trauerpredigt, aber auch für besondere Formen, wie einer Heiligabend-Liturgie auf einem Friedhof, multireligiöse Bestattungen oder eine Liturgie für die Bestattung von Sternenkindern. Abschließend stellt der Autor zehn goldene Regeln auf, die die innere Haltung eines Mr. May-artigen christlichen Bestatters formen wollen. Z. B. „1. Erinnere dich an etwas, das dich selbst getröstet hat.“ Oder 6.: „Sprich mit den Trauernden auf Augenhöhe und setze dich mit ihnen gleichsam auf die Treppenstufen vor der Kirche“ (119). Diese verdichteten Regeln könnten für viele Leser eine Go-to-Seite im Buch werden, von der aus sie den verschiedenen Spannungsfeldern und praktischen Impulsen nachspüren können – für direkte Veränderungsimpulse für die eigene Bestattungspraxis, sowie die langfristige Reflexion darüber.


Heiko Metz, MA, Chefredakteur Stiftung Marburger Medien und Lehrbeauftragter an der Ev. Hochschule Tabor, Marburg