Altes Testament

Eckart Otto: Deuteronomium 12,1–23,15

Eckart Otto: Deuteronomium 12,1–23,15, HThKAT, Freiburg i. Br.: Herder, 2016, geb., 744 S., € 110,–, ISBN 978-3-451-25077-4

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Der Herder Verlag bewirbt Eckart Ottos auf vier Bänden angelegten Kommentar zum Deuteronomium folgendermaßen: „Dieser Deuteronomium-Kommentar vereinigt erstmals in der Geschichte der Auslegung des Buches diachrone, an der Entstehung des Textes, und synchrone, an der Interpretation des Endtextes orientierte Auslegung“. Schon nach den ersten beiden Bänden, die Dtn 1–11 auslegen, ist deutlich, dass es sich um einen epochemachenden Kommentar handelt, der auf lange Zeit hinaus neue Maßstäbe für die Kommentierung des Deuteronomiums setzt. Gerade das Bemühen darum, synchrone und diachrone Auslegung miteinander ins Gespräch zu bringen, ist ein Verdienst Eckart Ottos, das den Kommentar auch zu einem gewinnbringenden Werk für Leser macht, die den literar- und redaktionskritischen Operationen rein diachroner Kommentare mit Skepsis begegnen. Die Seitenzählung geht fortlaufend durch alle vier Bände.

Der dritte Teilband zu Dtn 12,1–23,15 wendet sich dem Deuteronomischen Gesetz zu und enthält entsprechend, bevor es an den eigentlichen Kommentar geht, eine „Forschungsgeschichtliche Standortbestimmung der Literatur- und Rechtsgeschichte der Gebotspromulgation Dtn 12–26 in der Zweiten Moserede“ (1082–1116). Darin skizziert Otto sein Modell zur Entstehung der Pentateuchgesetze: Die im 9./8. Jhd. verortete erste Redaktion des Bundesbuches diente als Paradigma für die Redaktion des im 7. Jhd. entstandenen „vordeuteronomistischen Deuteronomiums“, wobei dieser erste Entwurf des Deuteronomiums als Revision des Bundesbuches konzipiert ist, freilich nicht, um dieses zu ersetzen, sondern um mit ihm zusammen gelesen zu werden und als Schlüssel für die rechte Auslegung des Bundesbuches zu dienen. Erst in einer weiteren, deuteronomistischen Redaktion kommt der ebenfalls deuteronomistische Dekalog zum Deuteronomium hinzu und mit wenigen Einfügungen konnte die dtr Redaktion das Deuteronomische Gesetz dann dem Dekalog (der in der Gestalt von Dtn 5,6–21 nach Otto ein Pentalog ist) entsprechend gliedern. Dieses deuteronomistische Deuteronomium wurde nach Otto dann (zusammen mit dem Bundesbuch) im Heiligkeitsgesetz (Lev 17–26) rezipiert, wiederum nicht mit einer Ersetzungsabsicht, das Heiligkeitsgesetz soll dann seinerseits in nachexilischen Fortschreibungen auch wieder auf das Deuteronomium eingewirkt haben (was Otto allerdings kaum ausführt).

Leider fehlt analog zu dieser diachronen Einführung eine synchrone Heranführung an die Gesetzespromulgation in Dtn 12–26. Was heißt es für die synchrone Lektüre des Deuteronomischen Gesetzes, dass nach Dtn 1,5 Mose im Deuteronomium die Tora auslegt? Ist damit nur das Bundesbuch gemeint? Oder soll man für eine synchrone Lektüre von Dtn 12–26 die ganze Priestertora und das Heiligkeitsgesetz mit berücksichtigen? Soll man beispielsweise Lev 25 als Verstehenshintergrund von Dtn 15 lesen? Spielt Num 35 für eine synchrone Auslegung von Dtn 19 eine Rolle? Diese Anfragen deuten bereits an, dass in der Auslegung letztlich doch noch die diachrone Interpretation überwiegt und dass die synchrone Lektüre von Ottos diachronen Modellen bestimmt wird. Dies lässt sich exemplarisch an Dtn 12 zeigen: Otto schichtet Dtn 12 diachron auf, wobei er in 12,8–12.20–28 eine nachexilische Fortschreibung ausmacht, die das Altargesetz aus Lev 17 rezipiert. Dies erlaubt es ihm, Dtn 12 in der „Endgestalt“ als Auslegung von Lev 17 zu lesen. Doch letztlich führt dies eben nicht zu einer synchronen Lektüre, die das ganze Kapitel Dtn 12 als Auslegung von Lev 17 deutet, sondern doch nur die Teile, die zuvor diachron als solche herausgearbeitet worden sind. Otto legt Dtn 12,13–19, was er für den ältesten Kern des Gesetzes hält, unabhängig von Lev 17 aus. In einer konsequent synchronen Lektüre würde jedoch in Dtn 12,13–19 das Gebot aus Lev 17, alle Schlachtungen am Heiligtum durchzuführen, zugunsten einer profanen Schlachtung in den Städten aufgehoben. Diese profane Schlachtung von opferfähigen Tieren soll nach Dtn 12,15f nach den Regeln der Schlachtung von wilden Tieren ausgeführt werden, was bedeutet, dass (im Unterschied zu Opfern, vgl. Lev 3,1–17) nur der Blutgenuss, nicht aber der Fettgenuss verboten wird; zudem gehört das Blut (wiederum im Unterschied zu Opfern, vgl. Lev 17,6) nicht an den Altar, sondern in die Erde (vgl. Lev 17,13f.). Bei einer synchronen Lektüre revidiert also Dtn 12 das Gesetz aus Lev 17, wobei Lev 17 von der Wildschlachtung her die Regeln für die profane Schlachtung von opferfähigen Tieren bereitstellt. Von all dem ist bei Otto aber nichts zu finden, weil er diachron davon ausgeht, dass Dtn 12,13–19 Lev 17 rechtshistorisch vorausgeht (1162f.). Da Otto mit Ausnahme von Texten, die er für nachexilische Fortschreibungen des Deuteronomiums hält, rechtshistorisch nicht damit rechnet, dass das Heiligkeitsgesetz einen Verstehenshintergrund für das Deuteronomische Gesetz liefert, fehlen in seiner Auslegung Bezugnahmen zu wesentlichen Teilen des Tetrateuch, die in einer synchronen Lektüre vorausgesetzt werden müssten. Zwar ist es Otto also zu danken, dass er mit einer rein diachronen Kommentierung des Deuteronomiums auch im deutschsprachigen Raum Schluss macht. Doch geht er in der Berücksichtigung des synchronen Textes auch für die diachrone Thesenbildung meines Erachtens nicht weit genug. Man muss dazu freilich sagen, dass Ottos theologisch sehr gehaltvolle synchrone Deutung des Deuteronomiums in den Rahmentexten des Deuteronomiums (und somit in den anderen Teilbänden) stärker zur Geltung kommt, als im dtn Gesetz.

Die Kommentierungen selbst beginnen jeweils mit ausführlichen Literaturüberblicken zum ausgelegten Textabschnitt, gefolgt von einer Übersetzung und äußerst gründlichen und lehrreichen Anmerkungen zu Textkritik und Übersetzung. Anschließend analysiert er den Textaufbau synchron und diachron, bevor er den Text dann seiner synchronen Ordnung entlang auslegt. Dies alles geschieht in der Art, die man von Eckart Otto gewohnt ist: ausgesprochen gründlich, mit einem Auge für Details im Text, mit einer nicht zu überbietenden Kenntnis der Forschung, einer Fülle an außerbiblischem Vergleichsmaterial und einer äußerst fairen Darstellung auch abweichender Meinungen, wobei auch Randmeinungen angemessen zu Wort kommen. Die Exkurse sind theologisch wie rechtshistorisch eine Fundgrube.

Auch wenn ich in diachronen Fragen oft anderer Meinung bin, halte ich den Kommentar für den wichtigsten Deuteronomium-Kommentar der Neuzeit und bereits die ersten beiden Bände, aber auch der dritte, sind nicht nur für Fragen zum Forschungsstand und für philologische Fragen, sondern auch für theologische Fragen zum Deuteronomium meist meine erste Anlaufstelle. Inzwischen ist auch der vierte Band erschienen und der gesamte Kommentar, der rund 2300 Seiten umfasst, kann als die beeindruckende Krönung der Jahrzehnte langen Arbeit eines der größten Freunde und Kenner des Deuteronomiums nur mit Dankbarkeit und Bewunderung gewürdigt werden.

 

Ass.-Prof. Dr. Benjamin Kilchör, Staatsunabhängige Theologische Hochschule Basel

 

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