Neues Testament

Enno Edzard Popkes: Der Krankenheilungsauftrag Jesu

Enno Edzard Popkes: Der Krankenheilungsauftrag Jesu. Studien zu seiner ursprünglichen Gestalt und seiner frühchristlichen Interpretation, BThSt 96, Neukirchen-Vluyn: Neukirchener, 2014, kt., 180 S., € 26,99, ISBN 978-3-7887-2280-7

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Dass Jesus Kranke heilt, wurde vielfach untersucht. Enno E. Popkes, Professor für Geschichte und Archäologie des frühen Christentums und seiner Umwelt am Institut für Neues Testament und Judaistik an der Theologischen Fakultät der Christian-Albrecht-Universität Kiel, konzentriert sich dagegen in seiner Studie auf Jesu vorösterliche Aussendungsreden und nachöster­liche Missionsaufträge, in denen die Jünger bevollmächtigt werden, Kranke zu heilen und Dämonen auszutreiben. Speziell fragt der Autor nach den anfänglichen Charakteristika des Heilungsauftrages Jesu und den neutestamentlichen Begriffen von Krankheit und Heilung in der Logienquelle (Kap. 2) sowie den neutestamentlichen Evangelien (Kap. 3–6) im Vergleich mit dem Thomasevangelium (Kap. 7). Auf diesem Hintergrund werden die frühchristlichen Entwicklungsphasen des facettenreichen Spektrums zum Verständnis der Krankheiten sowie der Umgang in der Wirkungsgeschichte (u. a. in der neutestamentlichen Briefliteratur, Didache, Traditio Apostolica, Mönchstum) untersucht (Kap. 8). In einem Schlussimpuls diskutiert Popkes die theologischen Herausforderungen des bleibenden Heilungsauftrages Jesu (Kap. 9).

In der Einleitung (Kap. 1) legt Popkes seine methodischen Grundprämissen offen. So favorisiert er die Zwei-Quellen-Theorie (12) und rekonstruiert den Heilungsauftrag Jesu in der sog. Logienquelle, wohl wissend, dass es sich um eine hypothetische Forschungsthese handelt. Dennoch verleiht er der Logienquelle „eine hohe historische Plausibilität“ (44). Damit übersieht Popkes die neuere Evangelien­forschung zur Wiederentdeckung der Augenzeugen (Bauckham 2006, Riesner 2007) und der frühchristlichen Überlieferungen zur apostolischen Herkunft der Evangelien (Schulz 1997, Frickenschmidt 1997), deren Literatur nicht diskutiert wird. Geht es aber um den Nachweis, warum im lukanischen Doppelwerk feine Differenzierungen in den medizinischen Ausdrücken vorliegen, wird dann doch die altkirchliche Tradition bemüht, um den Verfasser als Arzt auszuweisen (88).

Nach kulturgeschichtlichen Vergleichen wendet sich der Autor den frühjüdischen Traditionen zu, gemäß derer Krankheiten als Folge dämonischer Besessenheit gedeutet werden (25–33). Sodann verweist Popkes auf die antike Medizingeschichte und vor allem auf das griechische Asklepios-Heiligtum, welches regen Zulauf fand, weil den Kranken das Gesundwerden durch den sog. „Inkubationsschlaf“ versprochen wurde. Diese Heilungsart trägt religiöse Züge einer Wunderheilung. Zugleich stehen die Therapieformen der Schulmedizin recht nahe (38) und wurden in die abend­ländische Medizin vermittelt (33–42).

Der neutestamentliche Befund bestätigt: Die synoptischen Texte enthalten den Heilungs­auftrag Jesu in Verbindung mit Dämonenaustreibungen, wohingegen bei Markus Krankenheilungen und Exorzismen nicht miteinander verschränkt vorliegen (47). Bemerkenswert ist, dass Jesus wie selbstverständlich Exorzismen durchführt und seine Gegner dies auch für sich befürworten und selbst praktizierten (48). Im Vergleich zu den synoptischen Evangelien fehlen im apokryphen ThomEv wie auch in der johanneischen Theologie Dämonenaustreibungen. Jesu Heilungen und seine Heilungsaufforderungen sind im ThomEv zumindest noch als „Traditionsrest“ (49) vorhanden. Dass sie bei Johannes jedoch fehlen, erklärt Popkes treffend (Kap. 2) mit der christologischen Aussageintension, deutet aber an, dass die „größeren Werke“ (Joh 14,12) durchaus „auf eine nachösterliche Heilungstätigkeit der Jünger verweisen“ können (109). Akzentuiert sei aber, mit Bezug auf die johanneischen Briefe, die Praxis der Fürsorge und Nächstenliebe für Notleidende (107–110).

Ein Schwerpunkt der Studie (Kap. 3–6) liegt auf den Analysen des Krankenheilungs­auftrages Jesu an seine Jünger in den synoptischen Evangelien, in denen exegetisch wertvolle Einzelbeobachtungen herausgearbeitet werden (51–110). Dazu gehört etwa der exegetische Befund, dass es „sich bei der Dämonenaustreibung um eine Krankenheilung handelt“ (80). Bei Markus werden die typischen Phänomene der missionarischen Tätigkeit der Jünger mit ihrer vorausgehenden Bevollmächtigung und Aussendungsrede Jesu dargelegt (51–61). Dabei richtet sich Popkes in Mk 6,7–13 zurecht gegen die teilweise in der neutestamentlichen Forschung vertretene These, es würde sich beim Bericht über die vorösterliche Aussendung der zwölf Apostel um eine Rückprojektion der Gemeinde zur Legitimation der nachösterlichen Mission handeln (52). Aufschlussreich ist die textinterne Dialektik: Während die Übertragung der Vollmacht Jesu an seine Jünger lediglich die „unreinen Geister“ nennt, erwähnt der Bericht über die missionarischen Wirkungen zusätzlich das Heilen (therapeuein) von Krankheiten mit dem Spezifikum der Ölsalbung (53). Letzteres findet sich im NT nur noch im Kontext der „fest gefügten Gemeindestruktur“ in Jak 5,14f (54). Darüber hinaus deutet Popkes die Verwendung von Öl sowie den Begriff therapeuein als „therapeutische Zuwendung“, in Abwehr gegenüber einem damals zu stark herausgehobenen Wunderglauben (58). Dies belegt er unter ethischen und medizinischen Gesichtspunkten in der Analyse zum Lukasevangelium anhand des Gleichnisses vom barmherzigen Samariter ergänzend als karitativ-diakonisches Handeln. Popkes’ neutestamentlicher Deutung von therapeuein werden nicht alle Exegeten folgen.

In der matthäischen Theologie geht es Popkes vornehmlich um die Frage, ob die Heilungstätigkeit der Jünger auf die irdische Zeit Jesu beschränkt bleibe (Mt 10), während in der nachösterlichen Missionsarbeit die Lehre im Vordergrund stehe und sich ein „authentischer Jünger“ durch das Tun des Willens Gottes (Mt 28) aus­zeichne (71). Sein exegetischer Befund: Heilungen und Dämonenaustreibungen der Jünger gehören zum wesentlichen bleibenden Kennzeichen der „christlichen Missionsarbeit“ (82).

Ein anderer Schwerpunkt der Studie (Kap. 8) beschäftigt sich mit dem Krankheits­phänomen und nachösterlichen Heilungsauftrag in vier Themenbereichen der Wirkungsgeschichte (114–138): in der Frage nach 1) dem Charisma der Heilungen bei Paulus, 2) den frühchristlichen Wanderpropheten und Wüstenvätern, 3) den An­weisungen zur Fürbitte und Krankensalbung und 4) der diakonischen Kranken­fürsorge. Dabei will Popkes ausdrücklich die „methodische Engführung“ vermeiden, lediglich nach expliziten Aussagen (überlieferten Zitaten/Anspielungen) zum Heilungsauftrag Jesu zu suchen (114). Ganz hält er dies jedoch nicht durch (vgl. 115, 118, 129, 138). Aus der Wirkungsgeschichte ergibt sich der Eindruck, dass die Heilungen ein zentrales Wesensmerkmal frühchristlicher Missionstätigkeiten darstellten (124). Überhaupt stellt Popkes, wie andere Forscher vor ihm, das bemerkenswerte Ergebnis des theologischen Zusammenhangs zwischen Vollmacht zum Heilen und einer Jesus gemäßen Lebensweise heraus. Im Schlussimpuls reißt Popkes die theologischen Herausforderungen der zahlreichen Diskursfelder, die den Heilungsauftrag Jesu zwischen dem frühchristlichen Welt- und Menschbild und dem modernen Wirklichkeitsverständnis zu vermitteln suchen, zumindest kurz an und verweist auf die entsprechenden Desiderate (Kap. 9, 139–145).

Einmal abgesehen vom historisch-kritischen Ansatz regt die gesamte Untersuchung zur praktisch-theologischen und missiologischen Weiterarbeit an. Das 34-seitige Literaturverzeichnis nimmt evangelikale Forschungen nicht nur zur Kenntnis, sondern verarbeitet sie auch. Leserfreundlich werden die biblischen Texte und ihre Analysen übersichtlich tabellarisch präsentiert und Abbildungen illustrieren archäologische Ausgrabungen. Register fehlen leider komplett.

 

Dr. Manfred Baumert, Leiter Theologisches Seminar Adelshofen

 

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