Praktische Theologie

Thomas Schlegel / Juliane Kleemann (Hg.): Erprobungsräume

Thomas Schlegel / Juliane Kleemann (Hg.): Erprobungsräume. Andere Gemeindeformen in der Landeskirche, midiKontur 2, Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt, 2021, Pb., 488 S., € 38,–, ISBN 978-3-374-06886-9


Die Erprobungsräume der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland (EKM) haben in den letzten Jahren viel Aufmerksamkeit geweckt. Thomas Schlegel und Juliane Kleemann haben mit dem vorliegenden Band nach sechs Jahren einen ersten Rückblick veröffentlicht, in dem Beteiligte ebenso zu Wort kommen wie Beobachter von außen. Der Band will ein „Werkstattbericht“ (7) sein, der zur Reflexion anregt, sowohl über das bereits Bewerkstelligte als auch über die Zukunft der Erprobungsräume und der EKM als Ganzer. Dies soll in einem dreifachen Fokus geschehen: auf die jeweiligen Initiativen vor Ort, auf den landeskirchlichen Prozess und auf Erproben als Haltung bei der Kirchenentwicklung.

Das Buch geht sein Ziel in sieben Kapiteln an. Zuerst werden die Entstehung der Erprobungsräume und das zugrundeliegende Konzept vorgestellt, bevor im zweiten Kapitel eine erste Auswertung vorgenommen wird, wobei sowohl Verantwortliche aus der Kirchenleitung der EKM als auch Evaluatoren von außen zu Wort kommen. Das dritte Kapitel will „tiefer gehen“ (199) und konzentriert sich vor allem auf die Frage, welche Veränderungen die Erprobungsräume auf Kirche und Kirchenverständnis haben. Am kurzweiligsten ist Kapitel vier, denn hier kommen zahlreiche Beteiligte aus der EKM zu Wort, die in meist kurzen Beiträgen ihre Erfahrungen mit den Erprobungsräumen teilen. Allerdings sind die Autoren v. a. aus dem Pfarramt oder aus kirchenleitenden Ämtern. Hier wäre eine stärkere Berücksichtigung von Beteiligten ohne theologische Ausbildung oder kirchliches Amt eine Bereicherung gewesen. Im fünften Kapitel wird die Region Bad Langensalza als Beispielregion vorgestellt, bevor in Kapitel sechs die internationalen Verbindungen der Erprobungsräume benannt und Stimmen außerhalb der EKM, konkret aus den Niederlanden, England und aus der rheinischen Landeskirche, zu Wort kommen. Den Abschluss bildet ein Kapitel mit praktisch-theologischen Stimmen zu versteckten Hindernissen der Erprobungsräume, sowie ihrem Verhältnis zu Mission und zur Kirchentheorie.

In unregelmäßigen Abständen sind kurze Vorstellungen konkreter Erprobungsräume eingestreut, die von einer Bahnhofsmission über musikalische Hausbesuche, eine Schulgemeinde und eine digitale Gemeinde bis hin zu einem Bauwagen reichen. Dadurch wird das Buch gekonnt aufgelockert und mit Praxisbeispielen illustriert.

Die insgesamt 48 Beiträge vermitteln große Begeisterung für das Projekt der Erprobungsräume und der im Geleitwort von Landesbischof Friedrich Kramer ausgesprochene Wunsch, die Leser „zu eigenen Experimenten anstiften“ zu können, gelingt an vielen Stellen. Dabei inspirieren nicht nur konkrete vorgestellte Erprobungsräume, sondern auch die Bereitschaft der Kirchenleitung, ihr bisheriges System zu hinterfragen, Kontrolle aus der Hand zu geben und Innovation nach Kräften zu fördern, auch wenn das Ergebnis dann außerhalb der eigenen Kontrolle liegt. Auch die anhaltende Begleitung und Unterstützung der Projekte durch die EKM beeindruckt. Neuralgische offene Punkte werden benannt, wie z. B. die Frage, ob Erprobungsräume als vollwertige Gemeinden anerkannt werden und welche Konsequenzen aus ihnen tatsächlich für die Gesamtkirche gezogen werden.

Zugleich stellt sich aber die Frage, wo die kritischen Stimmen bleiben. Konflikte zwischen Erprobungsräume und Parochien werden zwar immer wieder erwähnt, aber nicht tiefgehend reflektiert. Kritiker der Erprobungsräume kommen nur sehr verhalten zu Wort, obwohl gerade ihre Stimme die Reflexion voranbringen könnte. Hinzu kommt, dass zwar die organisatorische Konzeption der Erprobungsräume intensiv betrieben wird, deren inhaltlich-theologisches Profil dagegen unterbestimmt bleibt. Dass die Erprobungsräume das Evangelium vermitteln und gelebte Spiritualität beinhalten sollen, ist so weit gefasst, dass man es kaum greifen kann.  Das alles ändert nichts daran, dass das Buch dazu inspiriert, selbst neue Formen von Gemeinde zu erproben – gerade mit der Möglichkeit des Scheiterns.


Benjamin Hummel, Studienassistent am Albrecht-Bengel-Haus Tübingen