Johannes Greifenstein: Vom Text zur Predigt
Johannes Greifenstein: Vom Text zur Predigt. Ein Beitrag zur Praxistheorie homiletischer Bibelauslegung, Tübingen: Mohr Siebeck, 2021, Pb., 636 S., € 129,–, ISBN 978-3-16-160862-9
„Vom Text zur Predigt“ – auch wenn der Gebrauch dieser homiletischen Formel in Kritik geraten ist, stellt Johannes Greifenstein seine Habilitationsschrift, die theoriebildend und handlungsorientiert konzipiert wurde, unter diesen klassisch klingenden Titel. Das nicht ohne Grund: Greifenstein ist der Überzeugung, dass die „Ausrichtung der Predigt an der Bibelauslegung (wieder) an Bedeutung gewinnt“ (15).
Die fundamentaltheologisch und hermeneutisch ausgerichtete Arbeit zur homiletischen Bibelauslegung gliedert sich in zwei Teile zu je 4 Kapiteln, denen die beiden Themen „Zugänge zur Praxis“ und „Formen der Praxis“ zugeordnet werden. Alle Kapitel enden mit einer kurzen und angemessenen Schlussreflexion. Während im ersten Teil hilfreiche Betrachtungsweisen auf Bibel (1.), Text (2.), Auslegung (3.) und Bibelauslegung (4.) freigelegt werden, erfolgt im zweiten Teil eine gelungene Perspektivierung auf der Bibelauslegung im Gottesdienst (5.), Bibelauslegung als Vergegenwärtigung (6.), Bibelauslegung und Religion (7.) und Bibelauslegung und Predigtgestaltung (8.).
Durch die Arbeit selbst ziehen sich drei Fragerichtungen und Problemfelder, die Greifenstein im Schlusskapitel seiner Abhandlung erneut aufgreift und abschließend zu klären versucht. Dabei geht es ihm um die (umstrittenen) Themen der Relevanz, Qualität und Zukunft homiletischer Bibelauslegung.
Mit Blick auf die Relevanzfrage spricht Greifenstein von einer relativen Relevanz der biblisch-homiletischen Praxis, „die über ihrer Kritikfähigkeit nicht ihre konstruktive Aufgabe“ und „über ihrem konstruktiven Bezug nicht ihre kritischen Kompetenzen vergißt“ (572). Greifenstein ist der Überzeugung, dass die bibelauslegende Predigt kein Selbstzweck, sondern Mittel zu einem Zweck ist, weil sie einem höheren Ziel dient. Auch wenn dieses Ziel verschieden bestimmt werden kann, ist die „Erbauung“ der Gläubigen als übergeordnete Zielsetzung der homiletischen Bibelauslegung zu bestimmen. Gleichwohl kann sich eine erbauliche oder dienliche Predigt auch ohne biblischen Text einstellen. Daher wird von einer relativen Relevanz der homiletischen Bibelauslegung gesprochen (571–574).
Die Frage nach der Qualität des Bibelauslegens spricht die Frage nach einer guten oder schlechten, gelungenen oder verbesserungsbedürftigen Predigtpraxis an. Über die Qualitätsfrage der angeklungenen Erbauung oder Dienlichkeit hinaus (Wirkung auf die Hörenden) ist nach Greifenstein insbesondere das Qualitätsmerkmal einer in der Predigt erkennbaren „persönlichen Auseinandersetzung mit dem in der Bibel zum Ausdruck gebrachten religiösen Leben“ zu bedenken (577). Für den Verfasser gewinnt oder verliert eine Predigt dadurch an Qualität, wie der Predigende mit dem Bibeltext umgeht, wenngleich dabei unterschiedliche hermeneutische Perspektiven denkbar sind.
Die Zukunft der homiletischen Bibelauslegung sieht Greifenstein darin begründet, dass sie einen Beitrag zur „Kultur des Intersubjektivitätsmoments und des Kontinuitätsmoments christlicher Religion“ leistet (582). Die Bibel bildet somit ein intersubjektives kontinuierliches Moment in der alltäglichen Predigtarbeit ab. Als gemeinsamer Bezugspunkt ist sie für alle Beteiligten der Predigt gleichermaßen wichtig. Im Gesamten überzeugt die Abhandlung von Johannes Greifenstein mit ihren differenzierten und tiefgründigen Überlegungen. Die Arbeit leistet einen wichtigen Beitrag dazu, die traditionelle Formel „Vom Text zur Predigt“ neu zu bedenken und kritisch zu würdigen.
Manuel Gräßlin, Doktorand STH Basel, Pastor ICF Karlsruhe, Content Creator bei FeedYourself