Klaus Berger: Schweigen
Klaus Berger: Schweigen. Eine Theologie der Stille, Freiburg / Basel / Wien: Herder, 2021, geb., 200 S., € 22,–, ISBN 978-3-451-38740-1
„Wenn das Wort Gottes im Zentrum der Religion steht, ist die Voraussetzung jeglichen Kontakts mit dem Himmel, dass der Mensch zuvor schweigt“ (21). So beginnt das kurz vor seinem Tode fertiggestellte Büchlein, mit dem Klaus Berger sein Lebensthema bündelt. „Schweigen“, so war B. überzeugt, „ist eine Art von Kommunikation“, die gelernt sein will.
Das Werk bietet mannigfaltige Gedanken zu diesem Thema aus Antike und Orient, Bibelwissenschaft, Theologie, Geschichte, Spiritualität und Liturgie. Entsprechend stellt sich schon bei der Durchsicht des Inhaltsverzeichnisses eine gewisse Überforderung ein: Ausgehend von Husserls phänomenologischen Prämissen und B.s eigener theologischer Überzeugung einer Spannung von göttlichem Wort und menschlichem Schweigen (9–17) beobachtet B. das Phänomen menschlichen Schweigens in Liturgie, Musik, monastischer und neutestamentlich-altkirchlicher Praxis nicht als Akzidenz, sondern als Essenz der Hingabe zu Gott (18–64). Auch in der Liturgie sei das Schweigen nicht einfach das Auslassen von Worten, sondern Teil der abhängig-bittenden Kommunikation mit Gott. Demgegenüber steht Gottes Schweigen (65–75), das besonders angesichts persönlichen Leids zur dröhnenden Verborgenheit Gottes werden kann. Doch dieses Schweigen, das zu selten mit der Alten Kirche als Hoheit Gottes und eben nicht als Inaktivität Gottes verstanden wurde, ist eben das Wesen des freimachenden Heiligen Geistes und ging schon immer dem göttlichen Reden (und damit Tun) voraus und folgt auf es (76–122). In dieses Schweigen stimmt der Mensch in der Sabbatstille ein (123–137). Und letztlich steht auch in der Mitte der Nacht des anstehenden Weltendes und -gerichts das große Schweigen der Kreatur vor Gott in seiner Pracht, das bleiben wird als stille Anbetung Gottes bis in alle Ewigkeit in den himmlischen Sphären (138–147). Den Abschluss dieser heils-, religions- und liturgiegeschichtlichen tour de force bildet ein Kapitel zur Korrelation von Schweigen, Geheimnis und Offenbarung (148–185). B. endet mit einem praktisch-theologisch ertragreichen Rück- und Ausblick zur Bedeutung des Schweigens und der Stille der Kirche (186–189).
Als theologisch arbeitender Historiker in religionswissenschaftlich-komparativer Perspektive behält B. sein Grundanliegen einer nicht-konfessionellen Theologie der Stille stets im Blick. Keine relevante Quelle scheint dem Autor in seiner Arbeit nicht vor Augen gewesen: von den alten Ägyptern über die eigentlich bibelwissenschaftlichen Texte (die B. weiter fasst als unser Kanon) zu den Kirchenvätern, der orthodoxen Tradition, den Wüstenvätern, der klösterlichen Praxis bis hin zur Liturgie-Topographie unserer Tage.
Und doch findet sich in B.s Werk eine Reihe streitbarer Punkte: So behauptet B. im Sinne einer theologia negativa, man könne Gott ohnehin nur in dem korrekt beschreiben (jedoch nie fassen!), was er nicht sei. Dies ist allerdings schon weit vor den Reformatoren als mystizistisch abgelehnt worden. Bei aller lebenswirklichen Größe des Deus absconditus ist es doch gerade der Deus revelatus, der das Te Deum laudamus sinnhaft füllt. Wie sonst wäre das unüberhörbare Reden Gottes im Sohn zu verstehen?
Mit diesem Beispiel zeigt sich eine Grundtendenz in B.s Arbeit: Alles, ohne Rücksicht auf Kanonizität, Religion, Geographie oder Epoche wird genommen, um dem Schweigen näherzukommen. So trägt das Buch trotz seines recht stringenten Aufbaus stark assoziativen Charakter. Das führt bereits auf den ersten Seiten zu einer nicht unerheblichen Verwirrung im Dschungel von B.s kleiner Weltgeschichte des Schweigens. Außerdem fällt auf, dass trotz der Fülle und Breite an verarbeiteter Literatur keine Interaktion bspw. mit den Theorien des einflussreichen Soziologen Hartmut Rosa oder den systematischen Überlegungen Helmut Thielickes stattfindet. Anders als die große Mehrheit der aktuellen populärwissenschaftlichen Werke zum Themenbereich Schweigen bietet B. auch in seinem letzten Buch Impulse für alle Disziplinen der Theologie. Insbesondere für die protestantische Zentralstellung des Wortes fordert B.s Arbeit eine radikale Neuorientierung unserer Denk- und Glaubensrealität: hin zum spannungsreichen Miteinander von actio und contemplatio, von Glauben und Warten, von Wort und Schweigen; eben so, wie es in Schöpfung, Neuschöpfung und Vollendung immer war und ist (vgl. 92ff.). Nun sei theoretisch genug gesagt, konstatiert B. am Ende seines Werkes: „Und schweigen muss ich schon selber“ (189).
Magnus Rabel, M.Th., Doktorand bei Prof. Dr. Jörg Frey am Lehrstuhl für neutestamentliche Wissenschaft an der Universität Zürich