Systematische Theologie

Alfred Dunshirn: Griechisch für das Philosophiestudium

Alfred Dunshirn: Griechisch für das Philosophiestudium, 3. Auflage, Wien: Facultas, 2022, Pb., 174 S., € 15,90, ISBN 978-3-8252-8805-1


Altgriechisch zu lernen ist heute den meisten Menschen fremd. Wer das Erlernen dieser Sprache nicht zufällig auf einem humanistischen Gymnasium gewählt hat, erlernt sie häufig als Voraussetzung für ein Universitätsstudium, oftmals mehr schlecht als recht. Dass das Griechische jedoch von überragender Wichtigkeit ist, wird jedem Studenten klar, dessen Fachgebiet sich in irgendeiner Form mit der Antike befasst. Dass das Griechische aber auch erlernbar und fruchtreich für das Studium ist, wird an diesem Büchlein deutlich. Dr. Alfred Dunshirn, Privatdozent am Institut für Klassische Philologie der Universität Wien, stellt mit dem hier besprochenen Werk bereits die dritte Auflage seiner kurzen Einführung aus dem Jahr 2008 in die Verquickung von antiker Philosophie und Graezistik vor – einer Verbindung, die man nicht trennen sollte.

Aufgebaut ist das Buch wie folgt: Einige kurze Vorbemerkungen zur griechischen Grammatik bilden die Grundlage des eigentlichen Hauptteils. Dieser ist nach den drei klassischen Schwerpunkten antiker Philosophie geordnet: Vorsokratiker (23–53), Sokrates – Platon (54–101), Aristoteles (102–139). Übersetzungen zu den Texten der einzelnen Kapitel, Lösungen zu den Übungen, Glossar, Literaturverzeichnis und Indices runden den Band mit insgesamt 174 Seiten ab.

Die oben benannte Verbindung von Philosophie und Griechisch schlägt sich im Buch in jedem Unterkapitel in ähnlicher Weise nieder. Der Autor schaltet nicht zuerst einen sprachtheoretisch-grammatischen Block vor, um danach die gewonnenen Erkenntnisse auf ein antik-philosophisches Zitat anzuwenden. Im Gegenteil: Es gelingt schon im Kapitel zu Parmenides, die vermeintliche Trockenheit der griechischen Grammatik erst nach einer Einführung zu Parmenides und der Nennung des Zitats auf das Wesentliche zu destillieren. Das bekannte τὸ γὰρ αὐτὸ νοεῖν ἐστίν τε καὶ εἶναι lässt sich sofort übersetzen, indem der Autor alle nötigen Vokabeln darunter angibt. Auf diese Weise werden das Zitat und sein Aussagegehalt ins Zentrum des Interesses gestellt. Fast spielerisch tritt dem das Erlernen des Griechischen zur Seite, jedoch eindeutig als Diener des eigentlichen Zitats. Freilich folgen sodann mehrere grammatische Blöcke, etwa zu zur O-Deklination der Maskulina oder eine erste Einführung zum Verbum, die zum Verständnis des Zitats nötig sind oder aber schlicht Auskunft über zentrale Bestandteile der griechischen Sprache liefern.

Damit ist auch schon die große Stärke dieser unscheinbaren Einführung beschrieben. Geht man einmal davon aus, dass kaum jemand dieses Büchlein in die Hand nimmt, um einfach attisches Altgriechisch zu erlernen, sondern aus dem verständlichen Interesse, grundlegende philosophische Texte im Original zu lesen, wird man hier auf seine Kosten kommen. Die ständige Zentralstellung der antiken Autoren und einiger prägnanter Ausschnitte ihres Œuvres halten den Leser am Ball, sich mit den manchmal schwer verständlichen griechischen Regeln zu befassen. Die Auswahl der Texte ist bei der Sachkenntnis des Autors erwartungsgemäß vorzüglich. Auch wichtige Themen wie die Tetralogieneinteilung der Dialoge werden angesprochen. Stets behält der Autor den Anfänger im Blick, was die vielen Abschnitte zu Wörterbüchern, Hilfsmitteln und sonstigen Hinweisen sachdienlich unterstreichen. Die dort angegebene Literatur ist gut unterteilt und auf dem neusten Stand. Zu vermissen ist lediglich Franco Montanaris Wörterbuch, das 2015 bei Brill auf Englisch (und nicht nur auf Italienisch) erschienen ist.

Ist diese Einführung ausreichend für ein mehr als rudimentäres Verständnis des Altgriechischen? Wohl nicht, wie der Autor selbst in seinem Vorwort koinzidiert. Aber genau hierin liegt ihr Wert. Sie weckt das Interesse für einen unmittelbareren Zugang zu diesen ideengeschichtlichen Meistern. Sie ertüchtigt, einmal selbst zu betrachten, was eigentlich gedacht und niedergeschrieben wurde; und dann wahrzunehmen, wie (absichtlich?) schillernd manche Formulierungen gehalten sind und verstanden werden können.

Trotz dieser Stärken war es dem Rezensenten nicht immer klar, ob ein völliger Neuling die fragmentarischen Erwähnungen zur griechischen Grammatik tatsächlich gänzlich ohne andere Hilfsmittel verinnerlichen und durchdringen könnte. Es fehlt mancherorts eine klärende Darstellung der Systematik, die der griechischen Sprache innewohnt. Dadurch wäre der stark induktive Ansatz des Buches fruchtreich ergänzt worden. Beispielsweise wäre eine im Anhang verortete Paradigmentabelle für die thematische (und ggf. auch für die athematische) Konjugation der verba vocalia non-contracta hilfreich gewesen. Auch die Voraussetzung „rudimentäre[r] Kenntnisse der lateinischen Grammatikterminologie“ (5) scheint angesichts der Fülle grammatischer Fachtermini doch etwas euphemistisch, wenngleich das bereits erwähnte Glossar am Ende teilweise weiterhilft. Wo sich das Buch mancherorts zu Recht um begrenzte Detailliertheit bemüht, überraschen andernorts Spezialthemen wie die, dass die Umschrift [th statt th für θ usw.] heute sprachlich korrekter wäre. Ob diese Ausführung wirklich für das Anliegen des Buches nötig ist, da der Autor doch selbst von einem recht breiten Konsensus in Schule und Universität spricht, wäre zu überlegen. Ungeachtet der Qualitäten hinsichtlich einer originalsprachlichen Annäherung an die antike Philosophie, wird der Griechisch-Teil selbst für manche geübte Leser in dieser kondensierten Kürze wahrscheinlich eine überfordernde tour de force darstellen.

Formal ist das Büchlein gut gestaltet. Etwas ungewöhnlich ist der große Zeilenabstand in den Fußnoten, der diese klobig erscheinen lässt. Eine besondere Freude ist der Hinweis im Buch auf online verfügbares Bonusmaterial. Dieses umfasst im Wesentlichen zwei Interlinearübersetzungen des Autors zu Platons Euthyphron und Apologie, die der Rezensent nicht nur als qualitativ hochwertig empfand, sondern auch als äußerst hilfreiche Weiterführung für all diejenigen, die durch das Buch zur weiteren Lektüre im Original angesteckt wurden. Ganz im Sinne von C. S. Lewis’ Ruf zurück zu den ‚alten Büchern‘ bietet das Werk dem engagierten Studenten eine schöne Einführung in die Sprach- und damit Gedankenwelt dieser antiken Riesen; nicht um dort stehenzubleiben, sondern um von dort aus einzusteigen und weitere Schätze zu heben.


Magnus Rabel, M.Th., Doktorand bei Prof. Dr. Jörg Frey am Lehrstuhl für neutestamentliche Wissenschaft an der Universität Zürich