Mark J. Boda / Mary L. Conway: Judges
Mark J. Boda / Mary L. Conway: Judges. Longing for a Leader. Faltering in Faithfulness, Zondervan Exegetical Commentary on the Old Testament: A Discourse Analysis of the Hebrew Bible, Grand Rapids/MI: Zondervan, 2022, geb., xl + 904 S., $ 57,55, ISBN 978-031-094221-4
Der vorliegende Arbeitskommentar von Mark J. Boda und Mary L. Conway liefert eine Diskursanalyse des hebräischen Textes des Richterbuches mit dem in der Kommentarreihe vorgegebenen bewussten Schwerpunkt auf der Komposition des Textes für die Hörer (für die Kommentatoren schließt dies die Leser ein) des Textes (xii). Methodisch berufen sich die Kommentatoren dafür besonders auf Roy L. Heller (Narrative Structure and Discourse Constellations: An Analysis of Clause Function in Biblical Hebrew Prose [Winona Lake, Ind.: Eisenbrauns, 2004]), der unter Aufnahme früherer Autoren (z. B. Lambdin und Longacre) typische Diskurskonstellationen für Erzählstrang, Ermutigungen, Prophetien, Erzählungen und Erläuterungen definiert. Diese auf vierzehn Seiten ausführlich dargestellte Methodik wird im Kommentar auf bis teilweise auf einzelne Worte atomisierte Verse angewandt. Sie wird von der weitgehend konsistent differenzierten Übersetzung des hebr. waw als „then“, „and“ oder „now“ getragen, je nachdem, ob in den Augen der Kommentatoren ein Wechsel des Subjekts, dasselbe Subjekt oder eine Hintergrundinformation eingeleitet wird.
Die mit dieser Unterscheidung implizierte Eindeutigkeit des hebräischen Textes ist jedoch leider nicht immer augenfällig. Wie etwa kann Ri 1,25b („Now the man and all his clan they released.“) in gleicher Weise wie richtigerweise Ri 1,23b („Now the name of the city was formerly Luz.“) und Ri 1,26b („Now that is its name until the present day.“) eine aktionsfreie Hintergrundinformation sein, wo doch der in diesem Satz sehr aktiv entlassene Mann gleich im nächsten Atemzug seine Heimatstadt neu erstehen lässt, was die Kommentatoren dann richtigerweise als „narrative backbone“ erkennen (132)? Leitet וְהִנֵּה wirklich regelmäßig (die Kommentatoren erlauben mit Ri 7,7; 9,33; 18,9; 19,16; 20,40; 21,21 einzelne Ausnahmen) einen Hintergrundkommentar für die Hörer ein, wenn וְהִנֵּה inhaltlich doch eher eine subjektive Wahrnehmung (Ri 3,24–25; 4,22; 6,28; 7,13; 9,43; 11,34; 14,5.8; 19,16.27; 20,40; 21,8–9.21) oder eine Aufforderung zu derselben (Ri 7,17; 9,33; 18,9), vereinzelt sogar in direkter Rede (Ri 7,13.17; 9,33; 18,9; 21,21), zu beschreiben scheint? Warum negieren die Kommentatoren allein aufgrund des waw-consecutivum Abschnittsanfänge mit Ri 6,11 just an der Stelle, wo wir inhaltlich einen zweiten Anlauf zur zunächst (Ri 6,8) enttäuschten Berufung eines Retters erwarten (314); oder vor und nach Ri 6,36–40, wo Gideon in einem literarischen Einschub zwei Zeichen von Jahwe fordert, nachdem er sich auf den Kampf gegen die Midianiter vorbereitet hat (Ri 6,34–35) und bevor er tatsächlich gegen diese vorgeht (ab Ri 7,1; S. 347–348); und beginnen mit Ri 8,21 sogar ein neues Unterkapitel, das bis Ri 8,28 reichen soll (389), obwohl Ri 8,21–22 den vorher ausführlich beschriebenen Sieg Gideons über die midianitische Armee mit der Tötung ihrer Anführer komplettiert? In solchen Entscheidungen werden die Schwächen einer vom Textsinn entfremdeten Diskursanalyse leider offensichtlich.
Grafisch fällt der Kommentar durch zahlreiche tabellarische Übersichten oft im Querformat, anschauliche Skizzen etwa zum Palast des Eglon (219) oder der Funktion der Weinpresse zur Zeit Gideons (318), eigenes Kartenmaterial (schwarz-weiß), ein abwechslungsreiches Druckbild teilweise im Zweispaltendruck und einen breiten Schreibrand auf seinen „technischen“ Seiten auf, der geradezu dazu einlädt, sich eigene Notizen zu machen. Diese sind auch notwendig, denn nicht immer sind die dargestellten Bezüge zwischen den hebräischen Sätzen so eindeutig wie impliziert.
Die gut 50-seitige Einleitung in das Richterbuch stellt eine revidierte und erweiterte Fassung von Bodas Einleitung im Expositor’s Bible Commentary (Hg. Tremper Longman III / David E. Garland, Grand Rapids/MI: Zondervan, 2012, 1043–1066) dar. Der Kommentar teilt das Richterbuch sodann in zwölf Makroeinheiten, die jeweils eine einzelne Erzählung umspannen (Gideon und Abimelch werden dafür getrennt, sowie Ehud/Schamgar, Tola/Jaïr und Ibzan/Elon/Abdon jeweils zusammengezogen), und insgesamt 116 Mikroeinheiten auf. Die Makroeinheiten werden dabei einträglich in ihren alttestamentlichen literarischen und biblisch-theologischen Kontext gestellt. Auch innerhalb der Mikroeinheiten ist der Kommentar klar strukturiert. Auf einen literarischen Kurzüberblick („main idea of the passage“) folgt die (in jeder Mikroeinheit wiederholte) tabellarische Darstellung des literarischen Kontexts, der hebräische Text (nach der BHS) samt der Übersetzung der Kommentatoren und seiner durch den Gebrauch der Verben, insbesondere in Verbindung mit waw, definierten Struktur und schließlich eine verhältnismäßig kurze und abschnittsweise sehr unterschiedlich ausfallende Kommentierung des Inhaltes des biblischen Textes, für die Boda und Conway bereitwillig die eingangs auf 26 bibliografischen Seiten aufgelistete und tatsächlich ausgiebig konsultierte Sekundärliteratur nutzen, die aber leider trotz der detailliert dargestellten Textstruktur viele strukturelle und semantische Beobachtungen unerwähnt lässt. So erkennen die Kommentatoren zwar die doppelte Inclusio der beiden Einleitungs- und Schlusserzählungen um das gesamte Buch sowie Abimelech als „anti-judge“ (67), aber etwa Chiasmen und Inclusios auf Satz-, Vers- und Abschnittsebene wie beispielsweise die doppelte Erwähnung der Sünde Israels um die Stärkung Eglons durch Jahweh (Ri 3,12; S. 208) oder die Bedeutung des vierfachen „Refrains“, in dem dreimal (weshalb wird Ri 19,1 ausgelassen?) erwähnt wird, dass es keinen König in Israel gab (92–93), ebenso wie semantische Bezüge wie beispielsweise das zweifache בּוֹא und das zweifache יָצָא (Ri 3,20–23), die die Tötung Eglons durch Ehud zweifach umrahmen (216–219), entgehen ihnen wohl aufgrund ihrem zu stark fixierten Fokus auf die Satzstruktur regelmäßig. Was die Kommentatoren allerdings inhaltlich bieten, ist stets angemessen reflektiert, überzeugend dargestellt und für die Interpretation des Textes sehr hilfreich. Jede Makroeinheit wird mit Ausführungen zur kanonischen und theologischen Relevanz, in der die Kommentatoren die neutestamentliche Gemeinde nicht vergessen, abgeschlossen.
Letztlich besticht der Kommentar durch die detailliert dargestellte Syntax des hebräischen Grundtextes. Diese kann dem interessierten Leser, der in der akademischen Welt zu Hause sein wird, aber dennoch Hilfestellung im Umgang mit der hebräischen Satzstruktur benötigt, eine wertvolle Unterstützung seiner eigenen Arbeit am Grundtext und seiner Interpretation des Textes sein. Mancher Leser wird jedoch bei einem fast eintausend Seiten umfassenden Arbeitskommentar exegetisch tiefergehende Auslegungen erwarten. Diese könnten auf Kosten der Wiederholungen der Übersichten vor jedem Abschnitt, die den Inhalt zwar komfortabler vermitteln, für die Zielgruppe aber nicht unbedingt erforderlich sind, mehr als hundert inhaltsleerer Überschriften, unter denen die Kommentatoren lediglich auf nachfolgende Seiten verweisen, und vieler aufgrund des Querformats der Übersichten nur spärlich bedruckter Seiten wohl auch ohne wesentliche Erhöhung der Seitenzahl aufgenommen werden. Der Kommentar würde dadurch wesentlich an Wert sowohl für den Exegeten als auch für den Prediger gewinnen.
Dr. Wolfgang Bluedorn, Neuwied