Systematische Theologie

Hartwig von Schubert: Nieder mit dem Krieg

Hartwig von Schubert: Nieder mit dem Krieg. Eine Ethik politischer Gewalt, Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt, 2021, geb., 576 S., € 68,–, ISBN 978-3-374-07045-9


Hartwig von Schubert, von 2004 bis 2019 evangelischer Militärdekan an der Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg, legt mit vorliegender, als Habilitation anerkannter Studie ein Ergebnis langjähriger Auseinandersetzung in Forschung und Lehre vor. Das ist umso verdienstvoller, als das Problem der Gewalt im Zusammenhang mit dem Staat bis heute sehr kontrovers diskutiert wird. Vf. will also die Legitimität politischer, d. h. staatlicher Gewalt klären. Religion wird dabei als Forum verstanden, „in dem Menschen symbolische Ordnungen errichten, um sich in der Welt zu orientieren“ (9). 

Milliarden von Menschen leiden unter Gewalt. Schon darum ist eine genaue theoretische Behandlung des Problems der Gewalt erforderlich. Der Zweck dieser Studie ist es, „die politische Ethik rechtserhaltender Gewalt insbesondere im Blick auf den Einsatz militärischer Gewalt zu rekapitulieren und weiterzuentwickeln“ (23). 

Im einleitenden ersten Kapitel (11–110) wird das Ergebnis dieser Studie in drei kurzen Thesen vorweggenommen: „(1) Gewalt ist ethisch hochambivalent, hier Fluch, dort Segen. (2) Deshalb ist Gewalt politisch und rechtlich einzuhegen, … der Krieg ist abzuschaffen. (3) Der christliche Glaube soll diese Einhegung aus engagierter Distanz unterstützen“ (25). Diese Spitzenaussagen werden in 9 weiteren Thesen entfaltet (25–31), die in der Studie zu begründen sind und im letzten Abschnitt wieder aufgenommen werden (483ff). Zur Entfaltung verwendet Vf. „in einem interdisziplinären Horizont die Methode der systematisierenden Verbindung von diskursiven Analysen ausgewählter Quellen, Kommentare und Literaturberichte“ (31). „Das Hauptgewicht liegt auf der Kritik der Gewalt… Im protestantisch-theologischen Diskurs … stellt sie sich in die Tradition, die mit den Leitbegriffen des Gerechten Friedens und der Ethik rechtserhaltender Gewalt argumentiert“ (31). Von Schubert knüpft an die Philosophie Ernst Cassirers an und seine Wertung des Mythos als bleibender Hintergrund und sinnlich-bildliche Veranschaulichung (41). Unter Rückgriff auf Volker Stümke definiert Vf. Religion als „Kontingenzbewältigung“ (46, Anm. 50). Religion als Forum symbolischer Formen kann den Mythos wieder aufleben lassen.

In Kapitel 2 (111–147) werden anhand der Stichworte „Modernität – Universität – Globalität“ die historisch-soziologischen Hintergründe der gegenwärtigen Herausforderungen in einer kulturgeschichtlichen Tour d’Horizon der letzten zweitausend Jahre skizziert. 

Kapitel 3 (148–185) skizziert neutestamentliche, politisch relevante Texte, zunächst die Metapher von „Christus als König“ und dann besonders Röm 13,1–7, um von ihnen ausgehend über die Begründung eines christlichen Ethos im Feld des Politischen nachzudenken. Von ihnen ausgehend will Vf. „nach weiteren Beiträgen in den Archiven der politischen Ideengeschichte“ suchen. In vier kurzen Thesen wird dieser Überblick ausgewertet: „1. Die Liebe überbietet die politische Vernunft, vereinnahmt sie aber nicht“, „2. Paulus vertraut auf das Gewissensurteil seiner Adressaten“, „3. Die Ordnungsmächte sind von Gott für einen sittlichen Zweck bestimmt“, „4. Das Gesetz der Freiheit gewährt Freiheit zum Gesetz“ (181–185). Gerade in diesem Kapitel wird die These von der Religion als Forum des Politischen untermauert, da das Politische (in der westlichen Hemisphäre) nicht ohne christlich-religiösen Einfluss gedacht werden kann. 

Kapitel 4 (186–290) liefert zunächst die Rezeption von Quellen der Antike des Mittelmeerraums. Es sind die biblischen Traditionen, Platon und Aristoteles und deren Fortführung in Scholastik, Renaissance, Reformation und Aufklärung. Der Wechsel zur Neuzeit wird nach Hobbes besonders mit Immanuel Kants Rechtsmetaphysik, besonders seiner Kritik der Urteilskraft als Kulminationspunkt markiert. 

Im Blick auf die biblischen Traditionen sind manche Annahmen allerdings hochspekulativ, so z. B., dass 90 Prozent des Textbestandes der hebräischen Bibel aus der Zeit des zweiten Tempels stammten (197). Darauf kann an dieser Stelle nicht weiter eingegangen werden.

Der Staat ist nach Kant eine gewaltregulierende Ordnung. Von Schubert hebt den Unterschied von nicht-legitimer und legitimer Gewalt hervor, die das Recht habe, Recht zu erzwingen. „Wollen Personen vernünftig zusammenleben, dann müssen sie ihre Beziehungen in die Form des Rechts gießen, sie müssen sich gegenseitig das Recht einräumen, Rechte zu haben und dem Rechtsstaat die Befugnis zu zwingen“ (245).

Vor dem umfangreichen Kap. 5 (291–491) ist eine kurze Pause geboten. Das Werk von Schuberts zeichnet sich durch stupenden Kenntnisreichtum aus, und zwar in Philosophie, Politik und Staatswissenschaft sowie in Theologie. Doch in dieser Stärke liegt zugleich eine Schwäche. Der Rezensent bekennt freimütig, dass er mehr als einmal in der Fülle des gebotenen Materials fast ertrunken wäre. Hier hätte der Arbeit etwas mehr Straffheit in der Linienführung gutgetan. 

In Kap. 5 zeichnet Vf. die Ethik des Politischen zwischen Feindesliebe und rechtserhaltender Gewalt ein: „Dem bundestheologisch-christologischen begründeten Bekenntnis zu der von Kant klassisch ausgelegten Rechtsidee entspricht die kritisch ausgelegte Solidarität mit dem positiven Recht und einem politisch kräftigen Rechtsstaat…“ (33).

Von Schubert setzt sich deutlich von der Tradition eines gerechten Krieges ab (428f). Natürlich muss eine Friedensethik die Überwindung des Krieges im Blick haben, weil Frieden und Freiheit zu den höchsten ethischen Werten gehören. Doch kommt hier der Aspekt zu kurz, dass es kriegerische Überfälle auf selbstständige Staaten gibt und Notwehr derselben aus Gründen des Rechts und der Freiheit angewendet werden muss, um den Freiheitsvollzug wiederherzustellen, vgl. auch die Kritik von Florian Demont zu von Schuberts Werk in der militärwissenschaftlichen Zeitschrift der Schweizer Armee stratos digital #25 vom 16. August 2022.

Mit dem Kapitel 5.2 „Theologische Ethik in Fragen militärischer Gewalt“ sichtet von Schubert ethisch das Recht bewaffneter Konflikte „und zwar in ihrer gesamten Bandbreite vom Nuklearkrieg über den konventionellen bis zum asymmetrischen Krieg“ (375). Von Schubert kommt zu dem ernüchternden Ergebnis: „Wer sich um ein vernünftiges Urteil bemüht, steht oftmals ratlos vor den Scherbenhaufen der Zivilisationsprozesse“ (481). Entsprechend zurückhaltend formuliert ist dann auch das Fazit: „Streitkräfte sollen wirklich dann und nur dann zum Einsatz kommen, wenn sie für vernünftige operative und strategische Ziele im Rahmen einer umfassend zivil ausgerichteten politischen Zweckbindung auch geeignet, erforderlich und angemessen sind. Im Rahmen einer evangelischen ethischen Theologie ist deshalb die integrierende Betrachtung von Menschenrechten und dem Recht bewaffneter Konflikte eine … hochbedeutsame und dringende Aufgabe“ (483).

Von Schubert ist zu danken für seinen Lösungsansatz zur Überwindung bzw. Eingrenzung des Krieges, welcher geschichtliche Tiefendimension und philosophische Aktualität wahrlich nicht vermissen lässt und darüber hinaus den Wert der Religion zu entfalten vermag.


Dr. Manfred Dreytza, ehem. Studienleiter, GRZ Krelingen