Brian Rosner: How to Find Yourself
Brian Rosner: How to Find Yourself: Why Looking Inward Is Not the Answer, Wheaton: Crossway, 2022, Pb., 224 S., € 18,75, ISBN 978-1-4335-7815-1
Brian Rosner ist Rektor des Ridley College in Melbourne. Fragen persönlicher Identität behandelte auch sein Buch Known by God. A Biblical Theology of Personal Identity, Grand Rapids: Zondervan, 2017. Das neue Werk ist laut seinem Vorwort (13f) weniger technisch und mehr für unsere kulturelle Situation geschrieben. Rosner setzt sich darin mit dem expressiven Individualismus auseinander und greift Ergebnisse von Charles Taylor auf. Rosner konzentriert sich nicht auf die Wurzeln des modernen Ichs, sondern auf seine Früchte. Zusätzlich schlägt er „einen besseren Platz vor, sich einzupflanzen“ (14).
Der erste Teil („Looking for Yourself“) untersucht Faktoren gegenwärtiger Identitätsbildung.
Kapitel 1 „Looking Inward“ (21–30) stellt den expressiven Individualismus vor. Diese Weltanschauung biete eine Strategie, sein Ich zu formen: Innenschau, ausgedrückt in Slogans wie „Folge deinem Herzen!“ Diese Selbstfindung führe zu einem ideengeschichtlich neuen und fragwürdigen „abgepufferten Selbst“, das im Gegensatz zum traditionellen „porösen Selbst“ von äußeren Einflüssen abgetrennt sei. Doch Selbstreflexion gehört für Rosner zu einem bewussten Leben und Authentizität sei wichtig für psychische Gesundheit. Infolgedessen deutet er in Kapitel 2 „A Collective Identity Crisis“ (31–39) den expressiven Individualismus als einen Faktor gegenwärtiger Identitätsverwirrungen.
Kapitel 3 „Five Tests of the Good Life“ (41–56) präsentiert fünf Lebensprüfungen: Leid und Enttäuschung, Stolz und Neid, die Schwachen und Geringen, Widersacher und Ungerechtigkeit, Glück und Freude. Das fragile abgepufferte Selbst versage in jeder Prüfung.
In Kapitel 4 „Ancient Texts and Modern Preoccupations“ (57–67) beschreibt Rosner, wo er die Fehlerhaftigkeit eines selbstgemachten Ichs wähnt. Freiheit und Identität sind seiner Ansicht nach nur in Gottes Liebe zu finden. Dieser Weg habe sich in vielen Kulturen bewährt.
Kapitel 5 „Looking Elsewhere“ (69–79) zeigt, dass wir ganz natürlich nicht nur nach innen blicken, um uns zu finden. Wir blicken auch um uns herum zu anderen Menschen (soziale Identität), zurück und nach vorne auf unsere Lebensgeschichte (narrative Identität) und nach oben (spirituelle Identität).
Im zweiten Teil („You Are a Social Being“) betont Kapitel 6 „Social Identity“ (83–96), wie prägend andere für unsere Identität sind. Unser Selbst erscheine uns wertvoller, wenn andere uns kennen und lieben.
Kapitel 7 „Known By God“ (97–112) zeigt Gott als die Person, die uns am meisten, dauerhaftesten und tiefsten kennt und liebt. Von ihm als seine geliebten Kinder gekannt zu werden, rüste uns für die fünf Lebensprüfungen.
Im dritten Teil („You are Your Story“) führt Kapitel 8 „Narrative Identity“ (115–121) aus, wie wir gemeinsam mit anderen Menschen in einer Vielzahl von Geschichten leben. Wichtig sei, dass sie realistisch und kohärent sind. Auf drei Geschichten geht Rosner detaillierter ein:
Kapitel 9 „The Story of Secular Materialism“ (123–142) sieht die europäische Aufklärung als Hintergrund für die Geschichte der sexuellen Revolution und des Konsumismus. Das Programm der Aufklärung habe viele Vorteile gebracht, sehe die Vergangenheit und Religion aber übertrieben negativ. Menschen sind für Rosner zwar sexuelle Wesen, aber Selbstsucht und Enthemmung seien weder tugendhaft noch, vor allem für Frauen, fraglos vorteilhaft. Konsumismus senke langfristig das Glücksempfinden, Gier nehme uns gefangen.
Die Denkweise der sozialen Gerechtigkeit in Kapitel 10 „The Story of Social Justice“ (143–161) versteht die Welt als Ort grausamer Ungerechtigkeiten, die alle bekämpft werden müssen, bis die Gesellschaft und die menschliche Natur verwandelt werden und alles Unrecht beseitigt wird. Neben Unterdrückern und Unterdrückten gebe es die loyalen Alliierten. Nachdem sie durch Erziehung für identitätsbasierte Ungerechtigkeit wach geworden seien, prangerten sie Unterdrückung an. Wer zu einer dominanten Gruppe gehört, aber selbst kein loyaler Alliierter ist, werde zum Gegner. Diese Geschichte biete nur eine unzureichende Diagnose dessen, was mit uns nicht stimmt. Sie könne Menschen dämonisieren und Marginalisierte gegen ihren Willen auf ihre Rolle festlegen.
Gute Geschichten hätten Struktur und einen befriedigenden Abschluss, wofür ein Blick von außen nötig sei. Für Christen biete Gott diese Perspektive. Das wird klar in Kapitel 11 „The Life Story of Jesus Christ“ (163–184). In der Geschichte von Jesus seien wir nicht die Hauptpersonen. Sein Tod und seine Auferstehung befreien seine Nachfolger aus der Herrschaft der Sünde. Der Ausdruck, „Christus anzuziehen“ lädt ein, in seiner Geschichte zu leben.
Kritisch daran ist, dass Christen – der Autor schließt sich hier bewusst selbst mit ein – oft nicht auf der Höhe der Geschichte des Christus leben. Doch aus dem Einfluss von Jesus kämen viele unserer besten Werte. In seiner Geschichte zu leben führe zu einem stabilen und zufriedenen Selbst.
Der vierte Teil („The New You“) stellt den Weg vor, sich selbst in der Geschichte des Christus als geliebtes Kind Gottes zu finden.
Kapitel 12 „Losing Yourself“ (187–198) zeigt das Paradox der persönlichen Identität auf: expressiver Individualismus führe nicht zur Selbstfindung, sondern zu Unzufriedenheit und Diskriminierung. Da Selbstzentriertheit zerstörerisch sei, empfehle Jesus, sich selbstvergessen an andere zu verlieren. Echte Liebe passe nicht zu persönlicher Autonomie. Diese Autonomie bestehe jedoch für Paulus nicht, der behaupte, dass wir nicht uns selbst gehören. Kapitel 13 „Finding Yourself“ (199–212) bietet praktische Ratschläge, um die neue Identität als Kind Gottes auszuleben. Dabei werden sogar einige Zielsetzungen des expressiven Individualismus umgesetzt, wenn auch auf anderem Wege: christliche Gemeinden können authentisch und inklusiv leben. Aufforderungen wie „Sei dein neues Selbst“ seien den Slogans des expressiven Individualismus gar nicht so fremd. Doch die neue Identität unterscheide sich radikal vom abgepufferten Selbst, wie der abschließende Vergleich mit dem Vaterunser zeigt.
„Wer bin ich?“ ist in jeder Weltanschauung eine zentrale Frage. „Das musst du in dir selbst (er-)finden“, lautet eine gängige Antwort. Brian Rosner zeigt, warum das nicht ausreicht. Seine kluge Kritik am expressiven Individualismus wird zu einer attraktiven Werbung für die konkurrierende Weltsicht des christlichen Glaubens. Das verständlich geschriebene Buch ist eine reiche Fundgrube an erstaunlichen Zusammenhängen, Zitaten, Ideen und biblischen Aussagen zur persönlichen Identität (es gibt hilfreiche Indizes).
Das abgepufferte Selbst ist fragil und unzureichend. Wenn sich beispielsweise alle für außergewöhnliche Genies halten, werden viele vom Leben enttäuscht. Solche Aussagen leuchten ein, doch stellt sich in den Kapiteln 2 und 3 öfter die Frage: lässt sich wirklich belegen, dass gerade der expressive Individualismus Ursache der Zerbrechlichkeit des modernen Menschen und seines selbstgemachten Ichs ist?
Rosners fünf Lebensprüfungsfragen können hilfreich an alle Weltanschauungen gestellt werden. Nicht alle großen Erzählungen liefern dabei einen realistischen Blick auf uns und unsere Welt. Daher führen sie auch nicht alle zu einem guten, erfüllten Leben. Das macht die Einladung überzeugender, die christliche Weltanschauung tiefer kennenzulernen und den christlichen Weg zum authentischen Selbst zu gehen.
Dr. phil. Christian Bensel ist Referent bei „Begründet Glauben“ in Oberösterreich.