Gunther Wenz (Hg.): Theologie der Religionsgeschichte
Gunther Wenz (Hg.): Theologie der Religionsgeschichte. Zu Wolfhart Pannenbergs Entwurf, Pannenberg-Studien 8, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2021, geb., 387 S., € 100,–, ISBN 978-3-525-57324-2
Dieser elf Beiträge umfassende und von Gunther Wenz (Leiter der Pannenberg-Forschungsstelle und emeritierter Professor für Systematische Theologie an der Ludwig-Maximilians-Universität München) herausgegebene Band in der Reihe der Pannenberg-Studien basiert auf einem im Oktober 2020 an der Hochschule für Philosophie in München geplanten, allerdings pandemiebedingt nicht durchgeführten Kolloquium (vgl. 11). Damit ist der Band eine rein schriftliche Dokumentation der „geplanten Vorträge“, „und zwar ungefähr in der für die Münchner Tagung vorgesehenen Reihenfolge“ (11). Der Charakter einer rein schriftlichen Dokumentation und das ausgefallene Fachgespräch sind der Studie m. E. anzumerken, nicht zuletzt durch die sehr unterschiedliche Länge der Beiträge: Der kürzeste von Josef Schmidt umfasst 9 Seiten, der längste von Gunther Wenz 121 Seiten. Die elf Beiträge stammen ausschließlich von männlichen Autoren.
Ausgangspunkt und wiederkehrender Bezugspunkt des Bandes ist der von Wolfhart Pannenberg im Jahr 1962 gehaltene „Vortrag, der in überarbeiteter Form unter dem Titel ‚Erwägungen zu einer Theologie der Religionsgeschichte‘“ (7) im Jahr 1967 im „ersten Band der ‚Grundfragen systematischer Theologie‘“ (7) veröffentlicht wurde. Pannenbergs Entwurf einer Theologie der Religionsgeschichte kann als theologische Gegenposition zur Dialektischen Theologie verstanden werden, die – grob skizziert – den Wahrheitsgehalt des christlichen Glaubens nicht an der Dimension der Geschichte, sondern an der Dimension des Wortes Gottes bzw. des Kerygmas festgemacht hat (vgl. 8 u. 187). Dieser Tendenz wirkt Pannenbergs Entwurf entgegen, indem er nach der „Geschichte des Erscheinens des [..] göttlichen Geheimnisses“ (53), also nach der Religionsgeschichte, fragt. Seine Fragen beziehen sich auf die Entwicklungslinien sowohl innerhalb als auch außerhalb der jüdisch-christlichen Tradition, nicht zuletzt auf das Verhältnis des „innerhalb“ und „außerhalb“ zueinander (vgl. 277-–281). In den geschichtlichen Religionen kommt das „Erscheinen des göttlichen Geheimnisses“ in unterschiedlicher Weise zum Ausdruck, und ein wesentlicher Ausdruck besteht in dem jeweiligen Verhältnis von Selbst, Gott und Welt (vgl. 59). In dem Ereignis der Auferstehung Jesu von Nazareth, welches aus Pannenbergs Sicht der wissenschaftlich-historischen Nachfrage gerade nicht entzogen, sondern nachvollziehbar und einsichtig ist (vgl. 195), sieht er die Vorweg-Erfüllung der endzeitlichen und damit letztgültigen Erscheinung Gottes, welche allerdings ihrer endgültigen Erfüllung im Eschaton noch harrt (vgl. 223, 282, 377). Dabei stehen die vorausgehenden göttlichen Erscheinungsweisen keineswegs beziehungslos zu diesem Ereignis, sondern werden durch die religionsgeschichtliche Perspektive auf ihr Verhältnis untereinander, zur religionsgeschichtlichen Entwicklung insgesamt sowie zur Erfüllung derselben in der Auferstehung Jesu hin befragt (vgl. 382f).
Im vorliegenden Band wird dieser – hier nur grob skizzierte – Entwurf einer Theologie der Religionsgeschichte u. a. im Gespräch mit Georg Wilhelm Friedrich Hegel (Joachim Ringleben, Manuel Zelger, Gunther Wenz), Ludwig Feuerbach (Thomas Oehl), Karl Rahner (Paul Schroffner), Falk Wagner (Michael Murrmann-Kahl) sowie Jürgen Habermas (Friedemann vom Dahl) kritisch-konstruktiv bewegt, bedacht und erläutert. Auch werden Pannenbergs Überlegungen ins Verhältnis gesetzt zu wesentlichen geistesgeschichtlichen und religiösen Traditionen wie der „klassische[n] Metaphysik der Griechen“ (Malte Dominik Krüger), dem Islam (Felix Körner) und der „israelitisch-jüdische[n] Religion“ (Gunther Wenz). Jörg Dierken begibt sich, angeregt durch Pannenbergs Gedanken, auf die Suche nach einem möglichen gegenwärtigen christlichen Geschichtsdenken, welches wesentliche Motive bisheriger Modelle geschichtlichen Denkens kritisch aufnimmt – aus der Heilsgeschichte das Motiv des Kontrafaktischen, aus der Offenbarungsgeschichte das Motiv der Universalität und aus der Religionsgeschichte das Motiv des Prozesses – und in einem dialektischen Verhältnis kombiniert. Manuel Zelger erkennt in Pannenbergs „Erwägungen zu einer Theologie der Religionsgeschichte“ Potential, „den die Theologie an der Aufklärung ihres wissenschaftstheoretischen Status hindernden Dissens zu überwinden, ob die Theologie ihre Anstrengungen in Aussagen über Gott oder die christliche Religion als ihren jeweiligen Gegenstand zu investieren habe“ (85). Gleichzeitig sieht Zelger in Pannenbergs Theorierahmen „Inkonsistenzen“ (87), die er durch einen alternativen Vorschlag zu überwinden trachtet, indem er Pannenbergs Anliegen, „Religionstheorie als Theologie auszuarbeiten“ (120), wissenschaftstheoretisch reflektiert (vgl. 120f). Und Josef Schmidt beschreibt auf den gedanklichen Spuren Pannenbergs die „Christologie als konstitutive Erfüllung der Religions- und Weltgeschichte“ (187), und dies vor dem Hintergrund, dass Pannenberg „den Blick auf den Kontext der Religionen für eine Chance der Theologie“ hält, „die Besonderheit des Christentums und seines Anspruchs tiefer zu erfassen, und ihn nach den allgemeinen Vernunftmaßstäben zu rechtfertigen“ (ebd.). In diesem kürzesten Beitrag des Bandes werden wesentliche Motive, Inhalte und Ziele der religionsgeschichtlichen Perspektive Pannenbergs sehr schön sichtbar. Schmidts Beitrag bietet damit (neben dem einführenden Vorwort von Wenz) die Möglichkeit, einen knappen und zugleich aufschlussreichen Einstieg in Pannenbergs theologisches und religionsgeschichtliches Denken zu finden.
Wer sich diese Theologie der Religionsgeschichte mit ihren Chancen und Grenzen, in ihrem Verhältnis zu den Religionen und in ihrer engen und komplexen Verwobenheit mit der Philosophie- und Theologiegeschichte der letzten zweieinhalb Jahrhunderte genauer erschließen möchte, dem bietet der vorliegende Band ein vielfältiges und umfangreiches Angebot, tiefer einzusteigen und auch anstrengende und anspruchsvolle gedankliche Anstiege in Angriff zu nehmen. Auch bieten sich auf diesem Weg Ausblicke in wesentliche und immer noch offene Rückfragen an die Konzeption Pannenbergs, etwa: „Wie soll gewusst werden können, dass die Offenbarung im Christusereignis perfekt, also vollkommene Selbsterschließung Gottes ist, wenn die Geschichte faktisch noch nicht geendet hat? Ist von diesem Vorbehalt nicht auch der Gedanke der Vorwegereignung betroffen?“ (384). Und aus biblisch-theologischer Perspektive stellt sich z. B. die Frage, inwiefern Pannenbergs religionsgeschichtlicher Ansatz dem biblischen Zeugnis von der nicht zeitlichen, aber doch inhaltlichen Abgeschlossenheit der göttlichen Selbsterschließung (z. B. Hebr 1,2) ausreichend gerecht wird – bei aller Wertschätzung für sein Anliegen, den Inhalt des christlichen Glaubens auch vor dem Forum der Vernunft und der allgemeinen Religionsgeschichte zu verantworten. Insgesamt liegt mit dem rezensierten Sammelband ein philosophisch und theologisch anspruchsvolles Buch vor, das dem Titel der Reihe, in der es erscheint, ganz gerecht wird, nämlich eine Pannenberg-Studie zu sein.
Prof. Dr. Maximilian Zimmermann, Professor für Systematische Theologie an der Theologischen Hochschule Elstal