Praktische Theologie

Felix Eiffler / David Reißmann (Hg.): Wir können’s ja nicht lassen …

Felix Eiffler / David Reißmann (Hg.): Wir können’s ja nicht lassen … Vitalität als Kennzeichen einer Kirche der Sendung, Mission und Kontext 1, Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt, 2023, Pb., 264 S., € 38,–, ISBN 978-3-374-07295-8


Der vorliegende Sammelband dokumentiert die Beiträge des letzten vom Greifswalder Institut zur Erforschung von Evangelisation und Gemeindeentwicklung (IEEG) durchgeführten Symposiums vom Mai 2022. Gleichzeitig begründet der Band die neue Reihe „Mission und Kontext“ (MuK; herausgegeben von Michael Herbst, Felix Eiffler und Patrick Todjeras), die thematisch die mittlerweile abgeschlossene Reihe „Beiträge zur Erforschung von Evangelisation und Gemeindeentwicklung“ weiterführt. In internationaler und interdisziplinärer Perspektive wird unter dem Leitbegriff der „Vitalität“ „eine bisher wenig genutzte hermeneutische und heuristische Kategorie erprobt, theologisch erörtert und an den kirchlichen Ist-Zustand angelegt, um nach der Lebendigkeit der Kirche zu fragen“ (15). In Anlehnung an Apg 4,20 („Wir können’s ja nicht lassen“) fokussieren insgesamt 16 Beiträge den Forschungsgegenstand anhand folgender Fragen: „Was muss Kirche tun, um Kirche zu sein, was kann sie aber auch lassen, ohne sich dabei selbst zu verlieren? Was kann sie nicht lassen, ohne auch ihre Vitalität zu verlieren?“ (17).

Besonders relevant und weiterführend erscheinen mir vor allem diejenigen Beiträge, die die kirchliche Vitalität explizit (missions-)theologisch reflektieren. So beobachtet Christfried Böttrich, dass dem neutestamentlichen Gottesvolk als „Fremdlinge in der Diaspora“ trotz Ausgrenzung und Marginalisierung doch eine erstaunliche Vitalität zu eigen ist (27–47). Gerade der 1 Petr lasse sich als „Musterbeispiel eines Resilienz-Narrativs“ lesen, das auch für heute eine Reihe hoffnungsstiftender Ressourcen und „Resilienzfaktoren“ bereithalte, „um selbst unter widrigen Umständen gedeihen und Kirche Jesu Christi sein zu können“ (45–46). 

Ralph Kunz (115–128) und Henning Wrogemann (243–255) entfalten auf je eigene Weise eine doxologische Antwort auf die Frage nach der kirchlichen Vitalität. Im Rückgriff auf Karl Barth erkennt Kunz einen vitalitätsbedrohenden Mangel an Theozentrik und stellt fest, dass „alles, was wir zum Haus sagen, in dem wir bleiben wollen, umsonst [sei], wenn wir nicht auf den Herrn zu reden kommen würden, der dieses Haus gebaut hat und mit uns weiter bauen will“ (118). Gott die Ehre zu geben sei, so Kunz, die entsprechend vitalitätsfördernde Maßnahme. In ähnlicher Weise beschreibt Wrogemann die „tiefste Krise der Kirche“ als eine geistliche Krise der „theologischen Orientierungslosigkeit im verzweifelten Bemühen um Aktualität“ (250). Dieser Krise sei nicht mit einer akkommodierten „Banalisierung der neutestamentlichen Botschaft“ zu begegnen, sondern mit einer „kontra-faktischen“, also verheißungsorientierten Doxologie: „Wo aber im ganz selbstverständlichen Gotteslob bei Christen ein Vertrauen in die Lebendigkeit des Gottes, der Christus auferweckt hat, spürbar wird, kann dies anziehend wirken und Fragen wecken“ (ebd.).

Auch Felix Eifflers Ansatz zur Re-Vitalisierung der Kirche ist ausdrücklich theologischer Natur (165–175). Da die Kommunikation des Evangeliums Hauptaufgabe und Proprium der Kirche sei, könne diese vor dem Hintergrund einer säkularen Gesellschaft (nur) dann zu neuer missionarischer bzw. evangelistischer Vitalität gelangen, wenn sie a) zu einer Klärung darüber gelange, was das Evangelium ist, b) die Kraft des Evangeliums neu für sich entdecke und c) die einzelnen Gemeindemitglieder im Blick auf das Evangelium sprachfähig mache. 

Zum Abschied vom Greifswalder Institut hat schließlich dessen langjähriger Direktor Michael Herbst eine Art „missionstheologisches Vermächtnis“ hinterlassen (191–210). Differenziert und doch leidenschaftlich plädiert er ein weiteres Mal dafür, die Mission als essenziell zum Wesen der Kirche gehörig zu betrachten und ihr sowohl in der Theologie allgemein als auch in der Praktischen Theologie im Besonderen einen prominenten Platz zuzuweisen. Außerdem verleiht er erneut seiner Überzeugung Ausdruck, dass eine missionsinteressierte Praktische Theologie viel zur Vitalität der Kirche beizutragen habe. Aus Sicht des missionarischen Gemeindeaufbaus kann man in dieser Hinsicht nur dankbar auf die vielen wertvollen Impulse blicken, die über die Jahre vom IEEG (und namentlich von Michael Herbst) ausgegangen sind. Herbsts Ausführungen lassen explizit und zwischen den Zeilen allerdings auch erkennen, dass „die Greifswalder“ bis heute im praktisch-theologischen Diskurs insgesamt nur in sehr begrenztem Maß Gehör gefunden haben. 

Im Übrigen zeigt sich die Diskrepanz zwischen den hier beschriebenen theologisch konnotierten Vitalitätsperspektiven und der volkskirchlichen Realität nicht zuletzt in der Tagungszusammenfassung von Nicole Chibici-Revneanu (257–264). Denn sie hat aufgrund ihrer pastoralen Erfahrung und im Blick auf die Wirklichkeit konkreter Ortsgemeinden gerade die aus meiner Sicht wegweisenden missionstheologischen Überlegungen der Tagung als „[zu] steil“ (262) und damit wohl wenig verheißungsvoll erlebt. Für diejenigen, die eine wiederkehrende Vitalität wesentlich mit einer theozentrischen Neuformatierung verbinden, dämpft das die Hoffnung auf tiefgreifende kirchliche Erneuerungsprozesse.


Prof. Dr. Philipp Bartholomä, Professor für Praktische Theologie an der Freien Theologischen Hochschule Gießen