Neues Testament

Michael Immendörfer: Ephesians and Artemis

Michael Immendörfer: Ephesians and Artemis. The Cult of the Great Goddess of Ephesus as the Epistle‘s Context, WUNT II/436, Tübingen: Mohr Siebeck, 2017, 469 S., € 114,–, ISBN 978-3-16-155264-9


Es handelt sich bei der Monografie um die leicht überarbeitete Version einer Dissertation, die im Jahr 2016 zu einer Promotion an der Universität Trinity Saint David von Wales führte. Ziel der Arbeit ist zu zeigen, dass der Epheserbrief nicht in ein Vakuum hinein geschrieben wurde, „but that there are good reasons indicating that the author had a concrete situation in mind, i.e., recipients living in the surroundings of ancient Ephesus“ (3; vgl. 9f). Auch wenn damit die paulinische Verfasserschaft nicht direkt verbunden ist, so bekennt sich Immendörfer doch schon am Anfang mit „vielen anderen Forschern“ zur Abfassung des Epheserbriefs durch Paulus (3). In der Einführung wird u. a. relativ ausführlich die angewandte Methodik dargelegt und erläutert (10–36).

Die Monografie ist in sieben Kapitel aufgebaut: 1. Einführung (1–36); 2. Empfängerschaft des Epheserbriefs (S. 37–76); 3. Die Stadt Ephesus (77–122); 4. Artemis Ephesia (S. 123–178); 5. Der Epheserbrief im Licht von Artemis (179–314); 6. Der Epheserbrief als Lehrbrief an frühere Anhänger von Artemis (315–328); 7. Gesamt-Schlussfolgerung (S. 329–332). Es folgen u. a. sechs Anhänge (333–405). Wie man schnell erkennen kann, hat das 5. Kapitel den größten Anteil.

Unter der Überschrift „The Recipients of Ephesians“ (37–76) geht es u. a. um die Besprechung der vorhandenen Diskussion rund um das Dissertationsthema. So wird z. B. auf S. 49f. dargelegt, welche Studien auf die Verbindung des Epheserbriefs zum Artemiskult eingehen. Im Anschluss daran wird auf die Frage eingegangen, wer die Empfänger des Epheserbriefs sind (nach der Alten Kirche usw.) und ob der Ausdruck „in Ephesus“ (ἐν Ἐφέσῳ) in Eph 1,1 ursprünglich ist (59ff). Immendörfer folgert, dass das „in Ephesus“ ursprünglich ist und der Brief somit zuerst an die Gläubigen von Ephesus gerichtet war (S. 71). Er geht davon aus, dass Paulus den Brief in Rom geschrieben hat und dass seit dem Besuch des Apostels in Ephesus weitere „Heiden“ zum Glauben und zur Gemeinde gekommen waren (S. 73). „Furthermore, Ephesus being the political und spiritual centre of the province of Asia Minor makes it very probable that the Christians in Ephesus distributed the letter to their satellite churches in the surrounding areas they were in contact with. This may have been an intention of Paul“ (S. 73).

Unter der Überschrift „The City of Ephesus“ (77–122) geht Immendörfer zuerst auf die verschiedenen Quellen, die in Bezug auf die vorgegebene Thematik zur Verfügung stehen, (S. 78–83) und anschließend auf die Geografie (83–85), die Geschichte (S. 86–96), die Archäologie (S. 97–108) und die „Religion“ von Ephesus (109–120) ein.

Mit der Überschrift Artemis Ephesia (123–178) kommt Immendörfer dann zu einem zentralen Punkt der Dissertation. Es geht um den Artemistempel von Ephesus mit dessen Geschichte sowie mit dem Asyl- und Bankwesen (123–144) und um die Göttin selbst (S. 144–165) wie auch um den Artemiskult (165–174). Schon die Hauptbezeichnungen für Artemis z. B. in den Inschriften sind aussagekräftig (S. 153ff.): „Herrin“ (Κυρία; vgl. auch z. B. 203; vgl. z. B. Eph 1,21: ὑπεράνω πάσης ἀρχῆς καὶ ἐξουσίας καὶ δυνάμεως καὶ κυριότητος), „Retterin“ (Σώτειρα; vgl. auch z. B. S. 203f.), „die Göttin“ (ἡ θεός/θέα; vgl. Apg 19,27: τὸ τῆς μεγάλης θεᾶς Ἀρτέμιδος ἱερὸν), „die himmlische Artemis“ (ἡ οὐράνιος Ἄρτεμις; vgl. u. a. Eph 1,20; 2,6; 3,10), „Königin der Welt“ (βασιληΐς κόσμου; vgl. Eph 5,5: ἐν τῇ βασιλείᾳ τοῦ Χριστοῦ καὶ θεοῦ) und „Besitz des Ersten Thrones“ (πρωτοθρονία; vgl. Kol 1,15f.18: πρωτότοκος πάσης κτίσεως … εἴτε θρόνοι εἴτε κυριότητες εἴτε ἀρχαὶ εἴτε ἐξουσίαι … πρωτότοκος ἐκ τῶν νεκρῶν, ἵνα γένηται ἐν πᾶσιν αὐτὸς πρωτεύων). Artemis wird als die „große/größte Göttin“ bezeichnet (u. a. 156f. und 191ff.; vgl. z. B. Apg 19,28.34: μεγάλη ἡ Ἄρτεμις Ἐφεσίων; Apg 19,27: τῆς μεγαλειότητος αὐτῆς; Eph 1,19: τὸ ὑπερβάλλον μέγεθος τῆς δυνάμεως αὐτοῦ).

Zudem wird Artemis als „die vaterländische/einheimische Artemis“ (ἡ πάτριος θεός) beschrieben (u. a. S. 156, 164 und 248ff.; vgl. Eph 3,14: ἐξ οὗ πᾶσα πατριὰ ἐν οὐρανοῖς καὶ ἐπὶ γῆς ὀνομάζεται), und sie gilt als „Amme“ bzw. „Ernährerin“ (τροφός) der Epheser (u. a. S. 163, 176 und 245ff.; vgl. Eph 5,29: ἀλλ’ ἐκτρέφει καὶ θάλπει αὐτήν). Der Pfeil (βέλος) steht in enger Verbindung mit Artemis und stellt die Hauptwaffe der Göttin dar (S. 160f., 219ff. und 223ff.; vgl. Eph 6,16: τὰ βέλη τοῦ πονηροῦ [τὰ] πεπυρωμένα). Der Name der Göttin ist groß bzw. der größte unter den Göttern (160 und 230ff; vgl. Eph 1,21: ὑπεράνω πάσης ἀρχῆς καὶ ἐξουσίας καὶ δυνάμεως καὶ κυριότητος καὶ παντὸς ὀνόματος ὀνομαζομένου, οὐ μόνον ἐν τῷ αἰῶνι τούτῳ ἀλλὰ καὶ ἐν τῷ μέλλοντι), und sie steht „unserer Stadt“ vor (163). Artemis wird wiederholt mit dem Adjektiv „herrlich“ (ἔνδοξος) beschrieben (u. a. 163 und 242ff), und entsprechend macht Artemis die Stadt Ephesus „herrlich“ (u. a. 176f; vgl. Eph 5,27: ἵνα παραστήσῃ αὐτὸς ἑαυτῷ ἔνδοξον τὴν ἐκκλησίαν). Die Mysterien des Artemiskultes spielen in den Inschriften eine wichtige Rolle (171ff. und 267ff.; vgl. z. B. Eph 5,32: τὸ μυστήριον τοῦτο μέγα ἐστίν· ἐγὼ δὲ λέγω εἰς Χριστὸν καὶ εἰς τὴν ἐκκλησίαν).

Es folgt das ausführlichste Kapitel der Monografie unter der Überschrift „Ephesians in the Light of Artemis“ (179–314). Artemis wird zwar im Epheserbrief nicht namentlich genannt, doch sieht Immendörfer verschiedene Bezüge im Brief zum Artemiskult in Ephesus. Dabei beginnt er mit dem Bild des Tempels für die christliche Gemeinde, das im Epheserbrief zentraler als im Kolosserbrief erscheint (180ff.). Da die Wörter „mitten“ (μέσος) und „Wand“ (τοῖχον) in einer Inschrift im Zusammenhang mit dem Artemistempel in Ephesus erscheinen, sieht Immendörfer einen Zusammenhang mit dem Begriff „Zwischenwand“ (μεσότοιχον) in Eph 2,14 (182 und 238ff). Es scheint diesbezüglich aber doch eher angebracht, im „Hintergrund“ des Epheserbriefs vor allem den Tempel von Jerusalem mit der Trennwand nach dem „Vorhof der Heiden“ sowie eine Anspielung an den in den jüdischen Reinheitsvorschriften bestehenden „Zaun um die Tora“ (vgl. mAvot 1,1; 3,13; Arist 142; Josephus, Ant 15,417; ders., Bell 5,193–195) zu sehen. Trophimus, der aus Ephesus stammte, wurde in Jerusalem konkret damit konfrontiert (vgl. Apg 21,29).

In dem Ausdruck „die untersten [Teile] der Erde“ (τὰ κατώτερα [μέρη] τῆς γῆς) in Eph 4,9 sieht Immendörfer mit Recht einen Hinweis auf das Grab (vgl. die „Parallele“ in Phil 2,8), wobei in Bezug auf den alttestamentlichen Gebrauch des Ausdrucks noch einiges mehr zu sagen wäre, als das auf S. 255ff. geschieht. Die Parallele zum Artemiskult sieht Immendörfer darin, dass Artemis bei den Prozessionen die Gräber um Ephesus „besuchte“, Jesus Christus jedoch vom Himmel selbst in ein Grab hinabsteigt und dann wieder hinaufsteigt (262). Auch Eph 5,19 zeigt „Parallelen“ zum Artemiskult auf (vgl. 272ff), wobei allerdings beachtet werden sollte, dass die drei Begriffe in Eph 5,19 in der Septuaginta Überschriften von Psalmgattungen im Alten Testament darstellen. Bevor Immendörfer zu einer Evaluation kommt (295–314) – u. a. auf S. 309 mit einer Liste von rund 40 Begriffen, die im Epheserbrief und in Inschriften von Ephesus erscheinen, wobei auch jeweils aufgeführt wird, welche der Begriffe ebenfalls im Kolosserbrief gebraucht werden –, vergleicht er in einem „Exkurs“ Apg 19 und 1Kor 15,32 (θηριομαχέω) mit Quellen-Aussagen zum Artemiskult (278–295).

Das 6. Kapitel trägt die Überschrift „Ephesians as a Teaching Letter to Former Adherents of Artmemis (S. 315–328). Eine Schlussfolgerung dabei ist, dass der Epheserbrief „konkrete lokale ephesische Merkmale“ („concrete local Ephesian charactestistics“) enthält (S. 316). Das wird im Folgenden im Einzelnen dargelegt. Eine weitere Schlussfolgerung unter der Unterüberschrift „Ephesians is an Authentic Letter“ (325) ist: „A deutero-Pauline writer could not have used Colossians as a template towards the end of the first century CE to establish such a trenchant and subtle difference for unknown (or Ephesian) recipients“ (325f.).

Auf drei Seiten folge eine „Gesamt-Schlussfolgerung“ (329–332). Im Anschluss daran folgen sechs Anhänge (333–405) – u. a. mit Statistiken wie z. B. zu den 35 hapax legomena im Epheserbrief im Vergleich zu Artemis-Inschriften aus Ephesus – und Verzeichnisse (zu den Referenzen und Autoren). Im Literaturverzeichnis fehlt mindestens ein Werk, das weitere Aspekte zur Unterstützung der Argumentation darlegt: Ivana Petrovic, Von den Toren des Hades zu den Hallen des Olymp: Artemiskult bei Theokrit und Kallimachos, Leiden/Bosten: Brill, 2007.

Auch wenn einzelne Stellen bzw. Aussagen im Epheserbrief in der Monografie von Immendörfer wohl zu einseitig auf den Artemiskult bezogen wird, sind die Darlegung und die Argumentation inklusive Schlussfolgerungen insgesamt doch sehr überzeugend und sollten in Zukunft zwingend in Bezug auf die Einleitungsfragen zum Epheserbrief beachtet werden.


Dr. Jacob Thiessen, Professor für Neues Testament an der Staatsunabhängigen Theologischen Hochschule Basel