Neues Testament

Daniel Röthlisberger: Hilfe und Selbsthilfe für verfolgte Christen

Daniel Röthlisberger: Hilfe und Selbsthilfe für verfolgte Christen. Eine Studie zum neutestamentlichen Ethos, Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt, 2021, geb., 594 S., € 42,–‍, ISBN 978-3-374-06764-0


Daniel Röthlisberger ist Pfarrer der Evangelischen Landeskirche in Württemberg. Hilfe und Selbsthilfe für verfolgte Christen ist seine veröffentlichte Dissertation (2017) unter der Betreuung von Rainer Riesner an der Universität Dortmund. Das Ziel seiner Untersuchung war es, die verschiedenen Formen der Selbsthilfe und Hilfe unter den frühen Jesus-Nachfolgern in Verfolgungssituationen inhaltlich zu erfassen, zu kategorisieren und genauer zu bestimmen. Zu diesem Zweck exegetisierte Röthlisberger relevante Texte in der gesamten Breite des Neuen Testaments, ausgehend von einer synchronen Annäherung an das Textmaterial.

Das erste Kapitel des Buches bietet eine Einführung mit Fokus auf methodischen und hermeneutischen Aspekten. In den folgenden Kapiteln stellt Röthlisberger die Ergebnisse seiner Forschung vor, indem er sieben Grundkategorien der Hilfe bzw. Selbsthilfe erörtert. Kapitel zwei zeigt, wie das Gebet als Hilfsmittel in Verfolgungssituationen funktionierte. Nicht nur Gebete für spirituelles und körperliches Wohlergehen oder für die Verkündigung des Evangeliums wurden als Hilfsmittel eingesetzt, sondern auch die Klagerufe der Märtyrer um Recht und Gerechtigkeit. Das dritte Kapitel konzentriert sich auf die Evangeliumsverkündigung, insbesondere unter Verfolgern. Denn Verfolger, die sich bekehrten, stellten keine Gefahr mehr dar. In diesem Zusammenhang hebt Röthlisberger auch die Bedeutung der παρρησία und den werbenden Aspekt von Wohlverhalten und Wohltaten hervor. Das vierte Kapitel befasst sich mit dem materiellen und psychischen Beistand der Christen untereinander und insbesondere dort, wo sich Mitchristen in Gefangenschaft befanden. Das fünfte Kapitel ist ganz der Praxis der Flucht, des Versteckens und ähnlicher Schutzmaßnahmen gewidmet, die als völlig legitime Reaktionen auf Verfolgung angesehen wurden. Das sechste Kapitel hat den Fokus auf Apologien und einer Reihe von möglichen Rechtsmitteln bei Verhören oder Prozessen vor weltlichen oder religiösen Gerichten. Das siebte Kapitel geht auf das Thema des Verzichts auf Gegengewalt als Verteidigung ein. Röthlisberger erörtert die spirituelle und eschatologische Dimension der Verfolgung und der Feindesliebe. Das achte Kapitel zeigt, dass die Hilfe nach dem Tod weiterging, nämlich durch die Bergung und Bestattung der Märtyrer. Das neunte Kapitel präsentiert die Schlussfolgerung, gefolgt von einem zehnten Kapitel mit u. a. einem semantischen und phänomenologischen Überblick über „Verfolgung“ im Neuen Testament.

Die Studie hat den Charakter eines klassifikatorischen Überblicks mit einer sorgfältigen Beschreibung der historischen Situation, in der sich die Erstrezipienten der verschiedenen Texte befanden. Hilfreich ist auch, dass Röthlisberger die den Handlungen zugrunde liegenden Motive, Normen, Werte und Ziele in den Blick nimmt. Darüber hinaus untersucht er die Pragmatik der verschiedenen Texte und stellt dar, wie sie präskriptiv oder paradigmatisch das Ethos der frühen Christen in Verfolgungssituationen prägten.

Mit dieser soliden Studie schließt Röthlisberger eine Lücke in der Forschung zum Leiden der frühen Jesus-Nachfolger. Ihre Verfolgung und die Deutung dieser Realität sind oft untersucht worden. Die Möglichkeiten der Hilfe und Selbsthilfe in ihrer Notlage wurden jedoch noch nie in einer umfassenden exegetischen Studie untersucht. Röthlisberger legt eine breite, aber gründliche Analyse vor, die sprachliche, historische und hermeneutische Faktoren berücksichtigt. Das Ergebnis enthält zugleich einen Überblick über die verschiedenen Aspekte der Verfolgung und bietet damit auch weitere Hintergrundinformationen für das Studium der neutestamentlichen Schriften.

Der Studie fehlt jedoch eine wichtige Kategorie von Hilfen, die im Neuen Testament auftaucht, nämlich „die apostolischen Briefe“ als eigenständige Phänomene. Genauer gesagt, fehlt die Aufmerksamkeit für den Ehrendiskurs, der zum Thema „Verfolgung“ geführt wird. Röthlisberger verweist gelegentlich auf Situationen im Zusammenhang mit Ehre und Scham hin (z. B. wenn er von Gefangenschaft oder Flucht spricht). Auch zeigt er regelmäßig die Wirkung rhetorischer Elemente in den Texten auf. Viele der rhetorischen Elemente, die Röthlisberger anspricht, finden jedoch ihre Kohärenz in einem breiteren Ehrendiskurs, wie David deSilva (The Hope of Glory: Honor Discourse and New Testament Interpretation, 1999) gezeigt hat. So sind zum Beispiel das breite Anpreisen der Beharrlichkeit und des Glaubens einer bestimmten christlichen Gemeinde, oder die Betonung einer diametral entgegengesetzten Zukunft für Gläubige und Nichtgläubige, nur zwei typische Beispiele für rhetorische Elemente, die in einem solchen umfassenderen Ehrendiskurs grundlegend zusammenhängen. Die Thematisierung der Verfolgungssituation auf der Ebene der Ehre zielt darauf ab, die Christen davon abzuhalten, Christus aufzugeben, weil diese Situation für sie eine schmerzliche soziale Schande bedeutet. Der Diskurs ermutigt sie und zeigt, worin wahre Ehre besteht. Wenngleich Röthlisberger immer wieder zeigt, dass bestimmte Einzeltexte und Motive eine ermutigende Funktion haben, wirkt die Ermutigung, die die Apostel durch die Auseinandersetzung mit dem gesellschaftlich tief verankerten Ehrendiskurs bewirken, noch auf einer tieferen Ebene. Dieser berührt den Wert des Einzelnen und der Gruppe, der er angehört, und versucht, die soziale Schande, die die Situation der Verfolgung mit sich bringt, radikal in wirkliche Ehre in Christus umzukehren. Der apostolische Brief stellt somit selbst ein Hilfsmittel dar.Mit Hilfe und Selbsthilfe für verfolgte Christen hat Röthlisberger der neutestamentlichen Forschung wertvolle neue Erkenntnisse geliefert, die hoffentlich auf die eine oder andere Weise den vielen Christen, die heute noch in Unterdrückung leben, eine Hilfe sein werden.


Dr. Myriam Klinker-De Klerck, Assistant Professor of New Testament, Theological University Utrecht|Kampen (The Netherlands); Extraordinary researcher North-West University (Potchefstroom, South Africa)