Max Botner: Beyond the Greek New Testament
Max Botner: Beyond the Greek New Testament. Advanced Readings for Students of Biblical Studies, Grand Rapids/MI: Baker Academic, 2023, Pb., 375 S., $ 36,99,–, ISBN 978-1-5409-6502-8
An einer zunehmenden Anzahl von Fakultäten und Ausbildungsstätten geht die Vermittlung und damit die Kenntnis der für die Theologie so zentralen Altsprachen immer weiter zurück. Als eine durchaus hilfreiche Gegenmaßnahme dieser grassierenden Tendenz sind über die letzten Jahrzehnte eine Reihe von Readern erschienen, die etwa die Hebräische Bibel, die LXX und das NT sprachlich durch Annotationen und Vokabelhilfen originalsprachlich erschließen.
In diese Reihe stellt sich auch das neue Textbook von Max Botner. Selbst im Rahmen interdisziplinärer Altphilologie-Kurse während des Studiums begeistert für das klassische Griechisch, legt Botner nun eine 375-seitige Textsammlung vor, die momentan auf dem Markt ihresgleichen sucht. Die ursprünglich für den Unterricht zusammengestellte Sammlung, die augenscheinlich mehrfach auf ihre Tauglichkeit ebenda getestet wurde, vereint zwei Dinge, die selten zusammenkommen: zum einen das realistische Wissen um die Begrenztheit der Griechischkenntnisse eines durchschnittlichen Theologiestudiums und -studenten, zum anderen die Begeisterung für das sukzessive Eintauchen in die Weite und Tiefe dieser Sprache über das NT hinaus. So bietet das Textbook in acht Kapiteln Einblicke in überaus zentrale Corpora und Strömungen vor, während und nach der Zeit der frühen Jesusbewegung, die wiederum diese – gewiss in unterschiedlichem Ausmaß – beleuchten und einordnen können: LXX (11–40), Apostolische Väter (41–66), Pseudepigraphen der Hebräischen Bibel (67–112), Philo (113–158), Josephus (159–206), griechische Geschichtsschreiber und Biographen (207–256), griechische Philosophen und Rhetoriker (257–326), griechische Poeten und Stücke (327–361).
Die Auswahl der exemplarischen Abschnitte ist jeweils freilich hinterfragbar [etwa die Aufnahme durchaus anspruchsvoller Homerpassagen, die zeitlich wie sachlich weit von der Welt des NT entfernt liegen (329–337)], lässt aber insgesamt einen guten Einblick in die Denk- und Lebenswelten der griechisch(-römischen) Antike zu. Zur Freude des Rezensenten finden sich viele Abschnitte, die auch theologisch interessant sind, was die Rückbindung an den geneigten Theologen als Zielpublikum unterstützt.
Neben dem Verdienst, eine gute Auswahl getroffen zu haben, zeichnet sich die Sammlung noch in zwei weiteren Hinsichten aus. So ist die Reihung der Kapitel nicht nur dem Medium ‚Buch‘ geschuldet, sondern gibt das zunehmende, sprachliche Niveau der Textpassagen wieder. Das Lied Moses aus Dtn 31,30ff (13–21) bietet einen leichten Einstieg, ebenso 1Clem (43–48), doch steigert sich das Niveau schon bald bei Joseph und Aseneth (81–89) und tut dies kontinuierlich bis hin zum bereits angesprochenen Homer. Das „Beyond“ des Titels bezieht sich also sinnvoll sowohl auf die Textauswahl als auch auf das deutlich schwierigere Niveau im Gegensatz zum neutestamentlichen Griechisch. Es handelt sich eben um „advanced readings“, die aber allezeit für den geneigten Studenten erreichbar bleiben.
Botner, selbst mittlerweile Bibelwissenschaftler als Associate Professor an der Willem Jessup University (CA, USA), bietet neben seinen sprachlichen Anmerkungen im durchlaufenden Fußnotenapparat auch eine Reihe ausgesprochen hilfreicher Kommentare, die jeweils ans Ende des Übersetzungsstücks gestellt werden. Etwa zur Frage nach dem Ursprung textlicher Änderungen innerhalb der LXX gegenüber einem potenziellen Proto-MT. Tendenziell nehmen diese Bemerkungen ab, je schwerer die Texte werden. Einerseits wird das vermutlich daran liegen, dass die meisten Übersetzer dieser Texte schon mit dem Wortlaut an sich Herausforderung genug empfinden werden, andererseits wahrscheinlich auch an der fehlenden Expertise des Autors in den Spezialfragen der griechisch(-römischen) Altphilologie.
So lässt sich manches kritisieren, was aber durchweg diskutabel bleibt: Ob die Fragmente hellenistisch-jüdischer Schriftsteller, Ezekiel der Tragiker, Aristobul der Philosoph und Eupolemus der Historiker (99–112) nun tatsächlich unter dem Titel „Reading Old Testament Pseudepigrapha“ zu fassen sind, scheint angesichts der aktuellen Forschungslage etwa zu Theodotus (wie auch Artapanus, der hier nicht gelistet ist) fraglich. Auch verharren die referenzierten Werke der Sekundärliteratur selbstverständlich stark in der angelsächsischen Diskussion und führen nur bedingt zu einem ausgewogenen Forschungsüberblick. Des Weiteren ist Philo vor Josephus zu verorten zwar historisch korrekt, hält der Rezensent aber hinsichtlich der mitunter ausgesprochen komplexen Sprache Philos für verfehlt. Verglichen damit ist Josephus, insbesondere aufgrund seiner starken, mancherorts paraphrastischen Nähe zur biblischen Tradition, in den ausgewählten Textstellen leichter zu verstehen und zu übersetzen. Zuletzt noch formal: Um den Sinn eines echten Arbeitsbuches zu erfüllen, wäre Hardcover von Nöten gewesen. Nach nur einmaliger Durcharbeit ist das Buch schon deutlich in Mitleidenschaft gezogen, was für das ständige Heranziehen zum Erhalt der eigenen Sprachkenntnisse wenig hilfreich ist.
Insgesamt liegt mit diesem Reader ein momentan einzigartiges Werk vor, das ähnliche Konzeptionen aus dem letzten Jahrhundert wie von Debrunner gut ablöst. Es führt den Theologiestudenten in die Welt des Antiken Judentums, der griechisch-römischen Mehrheitsgesellschaft und den Denkraum des NT ein, jedoch nicht durch Überblicksaufsätze, sondern – ganz reformatorisch (ad fontes!) – durch die Auseinandersetzung mit repräsentativen Textabschnitten der relevanten Autoren, Corpora und Texte selbst. Durch die Fußnoten und Anmerkungen lässt sich dieser Kurs auch im Selbststudium erarbeiten, wobei gerade im theologischen Kontext freilich die Diskussionen, die diese Texte auszulösen vermögen, im Austausch besser geführt werden könnten und verortet wären.
Nun fehlen nur noch die Seminare, die diese Textsammlung unter Anleitung mit geneigten Studenten auch erarbeiten. Doch dafür braucht es zunächst ein curriculares Umdenken, was mitunter auch eine erneut steigende Studentenzahl erfordert. Werkzeuge für ein fundiertes, vertieftes Studium liegen nun um eine schöne Textsammlung erweitert zu Genüge vor.
Magnus Rabel, M.Th., Doktorand bei Prof. Dr. Jörg Frey am Lehrstuhl für neutestamentliche Wissenschaft an der Universität Zürich