Neues Testament

Gerhard Tauberschmidt: Das Koine-Griechisch des Neuen Testaments

Gerhard Tauberschmidt: Das Koine-Griechisch des Neuen Testaments, utb 6085, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2023, Pb., 619 S., € 33,–, ISBN 978-3-82-526085-9


Frisch aus dem Hause Vandenhoeck & Ruprecht erschien im September 2023 ein neues Buch zur Vermittlung eines einführenden Griechischkurses. Obwohl der Titel dies auf den ersten Blick suggerieren mag, handelt es sich nicht um eine Grammatik zum ntl. Griechisch, sondern nach eigener Bezeichnung um ein „Lehrbuch“. Der Inhaber der Professur für Übersetzungswissenschaft und Biblische Sprachen an der Internationalen Hochschule Liebenzell legt mit diesem über 600 Seiten starken Werk 44 Kapitel und 11 Anhänge vor, die vom Erlernen der Buchstaben bis zum flüssigen Übersetzen führen sollen. 

Aufgegliedert wie vergleichbare Werke macht sich der Autor aktuelle linguistische Erkenntnisse zu Nutze, um möglichst früh ins eigenständige Übersetzen neutestamentlicher Originaltexte zu kommen. Anhand eines eher induktiven Ansatzes verfolgt das Buch neben der Vermittlung der Sprachkenntnisse obendrein das hehre Ziel, Spaß am Erlernen des Griechischen zu vermitteln, auszulösen und dann auch zu empfinden. Linguistisch interessiert sich Tauberschmidt stark für einen diskursanalytischen, synchronischen Ansatz, was das Buch besonders von älteren Lehrwerken unterscheidet und der Koine einen ganz eigenen Stellenwert innerhalb der Entwicklung des Altgriechischen einräumt. Historischen Aporien wie das Importieren attischer Bedeutungsspektren in die ntl. Texte wird stärker vorgebeugt und Koine per se erlernt und angewandt. Der Ansatz an sich ist bereits zu loben. Obwohl freilich die große Mehrzahl moderner Lehrbücher für ntl. Griechisch in der einen oder anderen Weise linguistisch informiert sind, ist dieser besondere Blick aus linguistischer Perspektive auf das Erlernen der Sprache hilfreich und wird manchem mehr liegen als das (scheinbar) trockene Erarbeiten von Regeln und Paradigmen. Mancherorts finden sich Verweise ins klassische Griechisch, die jedoch recht sparsam eingesetzt werden. Teil des hier modifiziert angewandten induktiven Ansatzes sind zahlreiche Lieder des Autors, die beim Einprägen und Wahrnehmen grammatischer und philologischer Phänomene helfen können. Über QR-Code oder Link lassen sich diese als Aufnahmen online abrufen. Vorausgesetzt wird dabei stets die in Deutschland übliche erasmische Aussprache. Ebenso online findet sich zum Lehrbuch noch ein Arbeitsbuch, das wiederum mit Anhang gut 100 Seiten stark ist und zahlreiche Übungen zu den einzelnen Kapiteln im Lehrbuch bietet. Alle Übungen sind an einen NT-Text rückgebunden und führen damit tief in das NT selbst hinein, was sowohl die Relevanz des Sprachenerwerbs präsent hält als auch für das eigene theologische Wissen weiterführend sein wird. Hervorragend konzipierte Tabellen erleichtern darüber hinaus das Repetieren und den Überblick.

Angesichts einer solchen Fülle von Angeboten und Seiten wird einerseits viel Übung ermöglicht, andererseits fragt man sich, ob insgesamt 700+ Seiten den Rahmen einer Einführung ins ntl. Griechisch nicht doch unnötig stark sprengen. Auch ist der sprachwissenschaftlich-informierte Ansatz deutlich zu würdigen, doch bringt dieser auch neue Schwierigkeiten mit sich, wenn man sich die Komplexität eines zufällig ausgewählten Satzes vor Augen führt (61): „Das Genetivobjekt fungiert als direktes Objekt der verbalen Idee im Nomen.“ Ob ein Studienanfänger, der heutzutage nur noch selten das Latinum oder weitergehende Deutschkenntnisse bereits mitbringt, diese Erklärung als hilfreich empfinden wird? Auch trifft man im Buch immer wieder bei der Erklärung grammatischer Phänomene auf etwas irreführende Sätze wie (62): „Wenn kein Subjekt (Nomen) vorhanden ist, finden Sie es im Verb“. Um diesen Satz logisch einwandfrei zu halten, müsste man entweder das Nomen stehenlassen und „Subjekt“ streichen oder so umformulieren: „falls kein explizites Subjekt (Nomen) vorhanden ist, finden Sie es im Verb“. Doch finden sich solche holprigen Formulierungen nicht regelmäßig. Im Großen und Ganzen ist das Buch verständlich geschrieben, auch wenn der Eindruck bleibt, dass bereits eine gute Menge an Fachsprache bei der Lektüre hilfreich ist, um den zu vermittelnden Inhalt umgehend zu verstehen. Das bringt mich zur Hauptfrage, die sich bei der Arbeit durchs Buch immer wieder stellte: Ist das Lehrbuch nun als solches, nämlich zum Lehren, konzipiert? Dann enthält es zu viele Übungen und hätte deutlich konzinner ausfallen können. Ist es ein Lehr- und Lernbuch? Dann sollten die Anwender auch genug Platz erhalten, Übungen direkt im Buch zu machen. Ist es ein Lehrbuch, mit dem man sich selbst lehren soll? Dann wäre ein Lösungsbuch in der Cloud hilfreich gewesen, obgleich nicht unbedingt nötig angesichts der hinzugefügten Stellenangaben im NT. Betrachtet man manche Tabellen, wird man durchaus einen zusätzlichen Lehrer brauchen, um diese auf Anhieb richtig zu verstehen (z. B. 43/44). Ähnlich verhält es bspw. mit Anhang 3, der deutlich gewonnen hätte, wären die Formen nicht nur tabellarisch gelistet, sondern auch nach Häufigkeit und Aussagekraft gewichtet worden. So könnte ein unangeleitet Lernender meinen, die einzelnen Aktionsarten eines Verbalaspektes (etwa die gnomische im Vergleich zur durativen Aktionsart im Imperfekt) tauchten auch ähnlich oft auf und seien ähnlich wahrscheinlich, was freilich nicht stimmt (und das Buch anderswo auch nicht fälschlich suggeriert). Auch fragt man sich bei Anhang 11, einem Vergleich zwischen NA27 und NA28, ob dies für heutige Theologiestudenten noch nötig und zeitgemäß ist, wurde doch NA27 bereits 2012 abgelöst. Obwohl die bereits erwähnten Tabellen und Visualisierungen hilfreich sind, erscheinen die Graphiken aus NA28 und UBS5 dagegen beinahe als zu unscharf für eine sinnvolle Benutzung (vgl. 432f). Auch über die seltsam eindeutige Determinierung im Titel „Das Koine-Griechisch des NT“ könnte man angesichts der hohen sprachlichen Varianz innerhalb des ntl. Corpus streiten. Zuletzt fällt das Format auf. Neben fehlendem Platz für eigene Eintragungen (außer dem großzügigen Rand) ist es schade, dass so ein umfangreiches Lern- und Lernwerk in Paperback erschienen ist. Freilich gehört dies zur utb-Reihe, ist aber dennoch ein Manko, da bei intensiver Benutzung und Transport (wie im Fall des Rezensenten) das Buch schnell in starke Mitleidenschaft gezogen wird.

Insgesamt liegt mit diesem Lehrbuch ein umfangreiches Werk vor, das das Eintauchen ins ntl. Griechisch ermöglicht und dies durch Lieder und induktives Arbeiten durchaus vergnüglich aufbereitet.


Magnus Rabel, M.Th., Doktorand bei Prof. Dr. Jörg Frey am Lehrstuhl für neutestamentliche Wissenschaft an der Universität Zürich