Lisbeth Zogg Hohn/Danielle Cottier: Gastliche Kirche
Lisbeth Zogg Hohn/Danielle Cottier: Gastliche Kirche. Handbuch zur Gemeindeentwicklung mit dem Modell Generationenkirche, Zürich: TVZ, 2023, Pb., 304 S., € 36,–, ISBN 978-3-290-18508-4
Das Modell „Generationenkirche“ ist in vielen Deutschschweizer Kirchgemeinden bekannt. Ziel ist, dass in der Kirche Menschen unterschiedlicher Generationen und verschiedener Lebensstile Raum zum Leben und sich begegnen finden. Gemäß dem hier vorgestellten Buch ist dies möglich, wenn eine Kultur der Gastlichkeit gelebt wird. Das Modell entwickelt haben die ehemalige Pfarrerin Lisbeth Zogg und die Projektberaterin Danielle Cottier in jahrzehntelanger gemeinsamer Gemeindeberatung. Nun haben sie das Handbuch „Gastliche Kirche“ als Vermächtnis verfasst. Sie bündeln darin intensive Konzeptarbeit und Praxiserfahrung und zeigen Chancen von Kirchgemeinden heute.
Die Autorinnen plädieren für einen Perspektivenwechsel: Sie denken Kirche gezielt von den Menschen und deren Bedürfnissen her. Die gastliche Kirche ist „entgegenkommend und zugewandt“ (52). Sie orientiert sich an der philoxenia (= „freundschaftliche Liebe zum Fremden“ (57)). Auch der Kirche gegenüber Wohlwollende und Distanzierte werden dabei als vollwertige Mitglieder betrachtet, ohne dass diese „näher rücken“ müssen (42). Das Evangelium wird vor allem implizit verkündet und wirkt in der Atmosphäre. Dafür eignet sich ein niederschwelliges Setting am besten.
Wie kann Gemeindeentwicklung geschehen? Die Autorinnen haben eine „5-Säulen-Struktur“ entwickelt, mit der sich kleine und große Projekte durchführen lassen. Die Säulen sind: Selbstverständnis/Identität, Angebote/Dienstleistungen, Räume innen/außen, Betriebsorganisation und Kommunikation extern. Dabei können sowohl einzelne als auch alle Säulen fokussiert werden. Je grösser das Projekt ist, desto empfehlenswerter ist, mit der ersten Säule zu starten und ein von allen Beteiligten mitgetragenes Identitätsprofil zu entwickeln. Dazu finden sich im Buchkapitel hilfreiche Leitfragen und praktische Tipps.
Es ist schade, dass Erfolg von Kirche am Gottesdienst gemessen wird, finden die Autorinnen. Sie treten für die Gleichwertigkeit kirchlicher Angebote ein; die vier Handlungsfelder „Alltags-, Lern-, Feier- und Kulturkirche“ sind gleichwertig. Besonders die Alltags- und die Kulturkirche haben noch viel ungenutztes Potential. Zu beachten ist, dass Angebote unterschiedlich hohe Schwellen haben. Eine Sensibilisierung dafür hilft, die Ausgewogenheit von kirchlichen Angeboten zu überprüfen. Kirchgemeinden benötigen eine Mischung von Nieder-, Mittel- und Hochschwelligem mit den je eigenen Arten von Gruppenbildung. An Niederschwelligem mangelt es oft in Gemeinden. Die Autorinnen haben deswegen die „niederschwellige Drehscheibe“ als ein Herzstück des Gemeindemodells entwickelt: Im Sinne von „third place“ bieten Gemeinden eine offene räumliche Anlage an, in der es sowohl niederschwellige Grundangebote als auch feste Programmpunkte gibt. Dabei ist definiert, wann die Anlage für alle und wann für einzelne Gruppen geöffnet ist. Entscheidend ist, dass Bezugspersonen präsent sind. Wenn Pfarrpersonen sowie andere Mitarbeitende und Freiwillige zu Gastgebenden werden, verändert sich das Berufsverständnis. Die Berufe sollen dabei prinzipiell als gleichwertig betrachtet und die Zusammenarbeit gestärkt werden.
Ein Expertisengebiet der Autorinnen ist die Spielkultur. Diese passt gut zur Generationenkirche, denn Spielen verbindet Generationen und auch Kulturen. Im entsprechenden Kapitel erfahren Lesende beispielsweise, wie eine praxistaugliche Spielinfrastruktur konzipiert werden kann.
Besonders große Aufmerksamkeit kommt den Räumen zu. Sie sind „Botschafter der Gastlichkeit“ (14). Eine Stärke der Autorinnen ist, dass sie dabei speziell auch kirchgemeindliche Außenräume im Blick haben. Deren Potential liegt in vielen Gemeinden noch brach. Mit Erfahrung führen die Autorinnen aus, wie Räume generationenfreundlich eingerichtet werden können. Dabei sind auch praktische Hinweise – beispielsweise, dass genügend Stauraum wichtig ist.
Die Gemeinde soll im öffentlichen Raum sichtbar sein. In der Kommunikation sollen Stereotype von Kirche vermieden und bewusst ein überraschendes Kirchenbild transportiert werden.
Zum nachhaltigen Gelingen von Gemeindeentwicklungsprojekten trägt bei, wenn alle relevanten Personen einbezogen werden. Dazu gehören die Partizipation der Gemeindemitglieder – auch derer an den Rändern der Gemeinde – und die breite Vernetzung mit inner- und außerkirchlichen Akteuren im Umfeld. Einige der von den Autorinnen begleiteten Gemeinden haben gute Erfahrungen mit temporären niederschwelligen Drehscheiben gemacht. Solche können als Labor für langfristige Projekte bzw. größere Veränderungen dienen. Je nach Größe des Projekts ist es lohnend, Fachkräfte (z. B. für Prozesssteuerung, Architektur, Entwicklung der Organisationsstruktur, Kommunikation usw.) miteinzubeziehen. Interne Konflikte – solche werden bei Entwicklungsprojekten immer zutage treten – sollen beachtet und frühzeitig angegangen werden.
Nach einer kompakten Übersicht über das Modell der Generationenkirche zu Beginn des Buches, dem daran anschließenden Hauptteil, betreffend die Grundlagen der gastlichen Kirche zusammen mit Erkenntnissen aus einer umfangreichen Befragung (über 1100 Gespräche!) in Gemeinden und den Ausführungen zum 5-Säulen-Modell, schließt das Werk mit Portraits von fünf Projektgemeinden. In ihnen wird ersichtlich, dass das zuvor Beschriebene erfolgreich in der Praxis umgesetzt werden kann.
Sowohl in den Portraits als auch im gesamten Buch wird deutlich, dass die Autorinnen selbst partizipativ arbeiten. Im Hauptteil sind zahlreiche bereichernde Zitate eingebettet und das umfangreiche Bildmaterial stammt größtenteils aus umgesetzten Projekten. Ein besonderes Verdienst von Zogg/Cottier ist, dass Bedürfnisse unterschiedlicher Generationen – insbesondere von kleineren Kindern – konsequent im Blick sind. Das mutmachende Werk ist übersichtlich und ansprechend gestaltet mit vielen Illustrationen, einem breiten Rand für Notizen und hilfreichen Reflexionsfragen für die Anwendung und zum Weiterdenken. Es eignet sich sehr als Arbeitsmittel für die Gemeindeentwicklung. Hilfreich könnten auch die herunterladbaren Ressourcen auf der eigens eingerichteten Website sein, deren Links in den Kapiteln angegeben werden. Zum Zeitpunkt der Abfassung dieser Rezension waren sie jedoch nicht zugänglich.
Das Werk würde an Weite und theologischer Tiefe gewinnen, wenn im Fokus auf Menschen der Blick auf die Beziehung zu Gott ergänzt würde. Es könnte noch weiter darüber nachgedacht werden, was geschehen kann, wenn Menschen im Gotteshaus Gott selbst als dem ersten Gastgeber begegnen – wie beispielsweise niederschwelliger Zugang zum Staunen über Gott und für Gebet geschaffen werden könnte.
Daniela Sommerhalder lic. theol., Doktorandin und Assistentin am Lehrstuhl für Praktische Theologie, Universität Zürich