Altes Testament

Thomas B. Dozeman: Joshua 13–24

Thomas B. Dozeman: Joshua 13–24. A New Translation with Introduction and Commentary (AYB), New Haven: Yale University Press, 2023, Ln., xix+414 S., $ 75,–, ISBN 978-0-300-26540-8


Acht Jahre nach Josua 1–12 (2015, 656 S., im Folgenden: „Bd. 1“) legt der mittlerweile emeritierte Alttestamentler am methodistischen United Theological Seminary (Trotwood, Ohio) nun den zweiten Teil seines Kommentars nach („Bd. 2“). Hält man den lange erwarteten Band in der Hand, fällt auf, wie leicht er ist. Die Kommentierung selbst umfasst dabei nur 240 der 414 S. (105–361, abzüglich 17 S. Übersetzung, in der AYB doppelt: einleitend und abschnittsweise).

Angesichts der immensen Forschungsentwicklung der letzten acht Jahre (hervorragend dokumentiert in dem ebenfalls 2023 erschienenen John Goldingay, Joshua. BCOT, Grand Rapids: Baker) verwundert es, dass der umfassenden Bibliographie von Bd. 1 (69 S.) in Bd. 2 nur 35 S. gegenüberstehen. So fehlen beispielsweise der theologisch wertvolle Kommentar von Matthias Ederer (NSK-AT 5/1, 2017), David Mosters Dissertation zu den Gebieten Manasses (Bar Ilan Universität, 2017), Koert van Bekkums Dissertation u. a. zu Jos 13,1–7 (2011), William T. Koopmans’ Untersuchungen zu Jos 23 (1988, 1993) oder Terrance A. Clarkes faszinierendes close reading von 21,43–45: „Complete v. Incomplete Conquest. A Re-Examination of Three Passages in Joshua“, Tyndale Bulletin 61 (2010), 89–104.

Zu den Orten in Jos 13–24 wird derzeit intensiv geforscht in dem Datenbank-Projekt „Ortsangaben der Bibel (odb)“ unter der Federführung von Jan Christian Gertz, Erasmus Gaß und Detlef Jericke, wobei aktuelle Ergebnisse auch in das WiBiLex-Projekt der Deutschen Bibelgesellschaft einfließen, beide online. Doch wie soll ein Kommentar all diese einzelnen Artikel zu hunderten von Orten aus dem Internet zitieren? Dozeman löst dieses Problem, indem er komplett darauf verzichtet. Nicht ganz so aktuell diskutiert bereits Charles C. McKinney in seiner Dissertation A Historical Geography of the Administrative Division of Judah: The Town Lists of Judah and Benjamin in Joshua 15:21–62 and 18:21–28,Ramat Gan: Bar Ilan, 2016, oft mehrere Vorschläge für die Lokalisierung der einzelnen judäischen Orte, die ja die Hauptmenge in Josua darstellen. Dozeman verweist nur dreimal auf dieses Werk (167, 169, 178: zu Skorpionsteig, Bet-Araba und Eschtaol, 15,3.6.33). Alleine bei Juda liest man 19× „the location is/ remains unknown“, wobei in weiteren Fällen stillschweigend auf eine Lokalisierung verzichtet wird. Möchte Dozeman die neuere Forschung nach Zecharia Kallai (1986), Volkmar Fritz (1994), J. Cornelis de Vos (2003) und Hartmut Rösel (2011) nicht aufnehmen, weil ihm die Lokalisierungsvorschläge zu spekulativ erscheinen, oder nimmt er sie einfach nicht oder nur lückenhaft wahr?

 Erfreulicherweise interessiert sich Dozeman ähnlich wie Goldingay für die Bedeutung der hebräischen Ortsnamen. Wenig lesefreundlich verweist Dozeman bei zahlreichen Orten auf Bd. 1, da er gleichnamige und ähnlich lautende Orte je beim Erstbeleg diskutiert, z. B. En-Dor (17,11) unter Dor (11,2).

Im Unterschied zu Bd. 1 bietet Dozeman keinen Appendix mit Übersetzung des masoretischen Texts (MT) parallel zu Septuaginta (LXX), auch für eine tabellarische Ortsliste muss man auf Bd. 1, Appendix II zurückgreifen. Da der literarkritische Ansatz von Bd. 2 konsequent an Bd. 1 anknüpft, ist die Einleitung nur etwa halb so umfangreich (3–43). Etwas eigenwillig setzt er ein mit einer angepassten Fassung seines Aufsatzes „The Twelve Tribe System and Pan-Israelite Identity in the Post-Exilic Period. Reexamining Martin Noth’s Amphictyonic Hypothesis“, in: Reinhard Müller u. a. (Hg.): Fortgeschriebenes Gotteswort. Studien zu Geschichte, Theologie und Auslegung des Alten Testaments. FS Christoph Levin, Tübingen: Mohr, 2020, 79–92, wo er u. a. die Vorkommen der beiden hebräischen Begriffe für „Stamm“ in Tora und Josua untersucht (16, 20f).

Hier bestätigt er im Hinblick auf die Idee der zwölf Stämme (er lehnt Vorstufen mit sieben und zehn ab, 39) und des ungeteilten Reichs seine Sicht des Buchs als „independent Samarian myth of origin, written in the postexilic period“ (36), als literarische Fiktion nur in dem Sinn „historisch“, dass es einen persischen Hintergrund habe (25). So seien die berichteten Ereignisse ein Produkt der Fantasie, getrieben von dem Wunsch, die städtische Kultur, welche die Rückkehrer aus dem Exil vorfanden, durch eine fundamentalistische, ländliche Utopie zu ersetzen.

Jos 13–19 sei eine Schöpfung desselben Autors, der 1–12 verfasst habe, nun auf Num 26–36 zurückgreife, sowie auf die von Albrecht Alt postulierten Ortslisten Judas und Benjamins, Grenzbeschreibungen jedoch selbst entwerfe (39). Mit Julius Wellhausen und Rudolf Smend hält Dozeman Jos 24 für das ursprüngliche Ende, Kap. 23 für eine spätere Einfügung, ebenso Kap. 20–21 (289f). Das Buch sei jedoch bis zuletzt ein eigenständiges Werk geblieben, redaktionelle Eingriffe habe es gegeben, sie ließen sich jedoch nicht als Bearbeitung übergreifender Werke erklären (Hexateuch, deuteronomistisches Geschichtswerk); lediglich die endgültige Einfügung in den Kanon habe kleine Spuren im Buch hinterlassen (41f).

So zeigt Dozeman, dass man auch heute noch das Buch Josua als unabhängiges und zusammenhängendes „Buch“ verstehen kann. Die literarkritischen Annahmen Dozemans haben natürlich im Chor der zahlreichenden widersprüchlichen literarkritischen Modelle der Gegenwart zu Josua kaum noch Überzeugungskraft (vgl. zu den Alternativen z. B. Erasmus Gaß, Die Landverteilung im Josuabuch. Eine literarhistorische Analyse von Josua 13–19,FAT 132, Tübingen: Mohr, 2019; Asyl, Leviten und ein Altar. Eine literarhistorische Analyse von Josua 20–22, FAT 144, Tübingen: Mohr, 2021). Auch die Abstreitung der historischen Glaubwürdigkeit von Josua basiert auf Modellen und Vorannahmen aus dem 19. Jh., die heute nicht mehr unbegründet übernommen werden können (Naturalismus, historischer Skeptizismus, Postulat von „Mythen“ im Alten Testament). Mehrfach betont Dozeman: „The present commentary builds upon the accumulated research” (39, 41), in dieser Hinsicht baut er auf tönerne Füße.

Wie in Bd. 1 legt Dozeman auch im Hauptteil dieses Werks einen großen Schwerpunkt auf die Literarkritik. Beispielsweise widmet er von den zwölf Seiten zu Jos 23 vier Seiten der Composition und nur knapp fünf Seiten den eigentlichen Comments. Dem gegenüber zeigt er mit nur sechs allgemein gehaltenen Sätzen kein erkennbares Interesse an Literary Structure. Keine der gebotenen Strukturentwürfe zu Jos 13–24 gibt einen Hinweis auf einen Chiasmus.

Ein zweiter Schwerpunkt liegt bei Dozeman im Bereich Textkritik. In den Notes verzeichnet er Unterschiede zwischen MT und LXX minutiös, auch sieben der elf Tabellen im Buch dienen diesem Vergleich. Im Hinblick auf das Verhältnis zwischen MT und LXX verwirft Dozeman Versuche einer chronologischen Rangordnung auf der Suche nach Ur-Text oder Vorlage. In einer Phase der Pluriformität (43) hätten sich MT und LXX nebeneinander durch Abschreibfehler und ideologische Revision entwickelt. So begnügt sich Dozeman mit der Darstellung der Unterschiede dieser Traditionen. Dieser eigentümliche, egalistische Ansatz mag im Trend der Zeit liegen, unterschätzt m. E. jedoch Willen und Fähigkeit akribischer Abschreiber, einen autoritativen, heiligen Text wortgetreu zu überliefern. Textvarianten sind nicht auf Phasen allgemeiner Laxheit, sondern auf einzelne seltene Fehler und schwache Momente zurückzuführen.

Trotz der genannten Desideria erreicht dieser Band über weite Strecken das gewohnte Niveau von Bd. 1 an Gründlichkeit, vor allem im Hinblick auf Text- und Literarkritik, aber auch im Hinblick auf historische Geographie und Exegese bzw. Theologie.


Dr. Siegbert Riecker ist Lehrer an der Bibelschule Kirchberg und External Instructor an der Evangelischen Theologischen Faculteit in Leuven.