Historische Theologie

Hartwin Brandt: Die Kaiserzeit. Römische Geschichte von Octavian bis Diocletian, 31 v. Chr. – 284 n. Chr.

Hartwin Brandt: Die Kaiserzeit. Römische Geschichte von Octavian bis Diocletian, 31 v. Chr. – 284 n. Chr., Handbuch der Altertumswissenschaft III.11, München: C. H. Beck, 2021, geb., XII+707 S., € 98,–, ISBN 978-3-406-77502-4


Hartwin Brandt ist Professor für Alte Geschichte an der Universität Bamberg. Für die prominente Reihe „Handbuch der Altertumswissenschaft“ oblag ihm die Neubearbeitung des römischen „Prinzipats“ bis zum Regierungsantritt von Diocletian (284 n. Chr.). Der von Augustus eingeführte Prinzipat war de facto eine Erbmonarchie, welche die äußere Form einer Republik beibehielt. Ich konzentriere meine Besprechung auf kirchengeschichtliche Inhalte; diese sind durch das wiederkehrende Thema der Christenverfolgungen gegeben. Die betreffenden Abschnitte sind beim Stichwort „Christ“ im Allgemeinen Register verzeichnet. Neben diesem gibt es auch ein Stellen- und ein Personenregister.

Warum wurden Christen im Römischen Reich verfolgt? Zu dieser Frage gibt es Vermutungen, aber keine sichere Antwort. Eine zentrale Quelle dazu ist der Briefwechsel zwischen dem Statthalter Plinius dem Jüngeren und Kaiser Trajan im Jahr 112 n. Chr. (314). Für Plinius war es selbstverständlich, dass er als römischer Statthalter standhafte Christen hinrichten (!) lassen soll. Darin stimmt ihm Trajan in seinem kurzen Antwortbrief („Reskript“) zu – diese Sichtweise war demnach damals unter den römischen Regenten eine feste Überzeugung; sie hatten nicht das Gefühl, damit etwas Neues einzuführen (was Berichten über Christenverfolgungen unter Nero oder Domitian zusätzliche Plausibilität verleiht).

Die hier bei Plinius und Trajan detailliert zutage tretende Einstellung gegenüber Christen zeigt, dass sich diese im Römischen Reich bis zum Toleranzedikt des Galerius 311 n. Chr. ständig in Lebensgefahr befanden. Insbesondere bei Kaisern, denen die traditionelle römische Religion und/oder der Kaiserkult wichtig waren, konnte es leicht zu Verschärfungen kommen.

Regional konnten Christen auch dann verfolgt werden, wenn ein Kaiser keine allgemeine Christenverfolgung anordnete – wenn nämlich ein Statthalter ein Christengegner war, oder wenn er damit den von ihm vermuteten Erwartungen des Kaisers vorauseilend entsprechen wollte. Abgesehen davon genügte es gemäß dem Plinius-Trajan-Briefwechsel, wenn Christen von Zeitgenossen angezeigt wurden. Brandt schlussfolgert oft voreilig, dass es keine nennenswerte Christenverfolgung gab, wenn der damalige Kaiser keine solche ausdrücklich anordnete.

Aus dem Brief des Plinius ist außerdem die große Verbreitung der christlichen Bewegung in Kleinasien erkennbar (nicht nur über Städte, sondern auch „über Dörfer und Felder“ ausgebreitet …). Bei dieser Verbreitung konnten christenfeindliche Maßnahmen, auch zeitlich und regional begrenzte, schnell zu zahlreichen Hinrichtungen führen. Das Ziel scheint aber im Allgemeinen keine Massenhinrichtung gewesen zu sein, sondern die Einschüchterung, d. h. durch die Androhung der Todesstrafe sollten sich Christen vom Glauben abwenden oder ihn zumindest nicht mehr praktizieren.

Über die antiken Christenverfolgungen berichten vor allem christliche Quellen. Wie ist deren Historizität einzuschätzen? Über die wohl auf Valerian zurückgehenden Verordnungen der Jahre 257 und 258 gegen die Christen schreibt Brandt: „ihr Wortlaut ist nicht überliefert, aber ihr Inhalt lässt sich aus den verfügbaren Quellen recht zuverlässig bestimmen – aus den ‚Acta Cypriani‘, dem in der eusebianischen Kirchengeschichte zitierten Schreiben des Bischofs Dionysius von Alexandria, den Briefen Cyprians und den Märtyrerakten“ (521). Wenn sich die genannten – durchweg christlichen! – Quellen hier, im Urteil Brandts, als zuverlässig erweisen, so ist das ein positives Indiz auch für andere Aussagen dieser Quellen. Dennoch beargwöhnt Brandt christliche Texte generell; er meint: „die christlichen Autoren der Kaiserzeit […] liefern keine belastbaren Informationen über das tatsächliche Geschehen“ (209f).

Das Opferedikt des Decius (wahrscheinlich Ende 249) mit reichsweiter Geltung forderte, „dass alle freien Reichsbewohner öffentlich Rechenschaft über erfüllte Opfertätigkeit zu leisten und vor lokalen Autoritäten zu opfern hatten“ (508). Dennoch hält es Brandt für übertrieben, von „einer reichsweiten Christenverfolgung“ zu sprechen (508f). Aufschlussreich ist, wenn Brandt schreibt: „Mit diesem Edikt war wohl weder eine systematische Christenverfolgung intendiert, noch richtete es sich ausschließlich gegen die Christen, aber natürlich waren letztere vom allgemeinen Opferzwang in erster Linie betroffen.“ (572). De facto war es also eine Christenverfolgung.

Die Verfolgungen davor waren regional beschränkt. Für Septimius Severus waren Kaiser- und Götterkult wichtig; auf Münzen stellte er sich so dar, dass man an Jupiter erinnert wurde. Doch „großflächige Christenverfolgungen“ praktizierte er laut Brandt (450) nicht, es gab aber punktuelle „in Nordafrika und Kleinasien“ (447, Anm.). Jedoch konnten auch solche regionale Verfolgungen zu vielen Martyrien führen.

Die mit „Zehntausenden von Martyriumsopfern“ übersetzte Angabe des Eusebius über die Zeit des Mark Aurel bezweifelt Brandt unter Verweis darauf, „dass unter Mark Aurel nahezu unverändert der seit Trajan gültige Rechtszustand herrschte“ (395). Aber schon dieser bisherige Rechtszustand konnte schnell zur Hinrichtung vieler Christen führen – insbesondere wenn es seit Trajan zu einer weiteren Vermehrung der Christen gekommen war. Brandt selbst beschreibt detailliert, wie wichtig der Kaiserkult für Mark Aurel war: „Der als Medium der Loyalitätsbekundung (von seiten der Bevölkerung) kaum zu überschätzende Kaiserkult behielt auch unter Mark Aurel seinen hohen Stellenwert.“ (393) Es konnte demnach durchaus Aversionen gegen die diesen Kult ablehnenden Christen gegeben haben. Speziell aus der Regierungszeit von Mark Aurel blieb eine Anzahl ausführlicher Märtyrerberichte sowie von „Apologien“ erhalten. Die Angabe von Eusebius (zehntausende = myriádas) könnte im übertragenen Sinn gemeint sein (also „eine große Menge“, oder „unzählige“). Es hängt vom Bereich ab, was man als „große Menge“ empfindet: Bei der Hinrichtung von Menschen innerhalb kurzer Zeit genügten für ein solches Empfinden wohl schon einige hundert Opfer.

Brandt übertreibt die Kritik von Eusebius an Domitian, indem er dessen Kritik durch Begriffe wie „blutrünstig“ oder „Vernichtungswut“ wiedergibt (282). Eusebius (HE III,17) sagt, dass Domitian eine Verfolgung gegen die Christen anordnete, ohne sie jedoch als besonders groß oder systematisch zu beschreiben. Brandt zitiert ausführlich Cassius Dio, wonach Domitian viele hinrichten ließ oder sie in Verbannung schickte: wegen „Atheismus“ oder weil sie „sich in jüdische Lebensformen hineintreiben ließen“ (281). Diese religiös klingenden Anschuldigungen machen es plausibel, dass es bei Domitian auch (viele?) Christen als Opfer gab.

Dass Claudius 49 n. Chr. Juden aus Rom auswies, erwähnt Brandt nicht. Hinter dieser Ausweisung werden oft Turbulenzen zwischen Juden und Judenchristen vermutet. Den Bericht des Tacitus über den Brand Roms 64 n. Chr. und die anschließende Christenverfolgung zitiert Brandt ausführlich (210f); dieser Bericht stelle „keine Fiktion und keine bewusste Verzerrung“ dar, und es sei eine Tatsache, dass Nero Christen zu Sündenböcken machte und „sie auf brutale Weise umbringen ließ“. Allerdings bezweifelt Brandt auch hier, dass es eine „Christenverfolgung größeren Stils“ gab. Diese Verfolgung habe, laut Brandt, vorwiegend Juden (!) betroffen: Wenn Tacitus „von einer ungeheuren [ingens] Menge [multitudo] an betroffenen ‚Chrestiani‘ spricht, so kann dies wohl nur (primär) auf die große jüdische Gemeinde in Rom bezogen werden“. Für diese Vermutung bringt Brandt keine klare Begründung. Es gibt aber keinerlei Hinweise auf eine solche Judenverfolgung in der jüdischen Überlieferung, wie das bei einem solchen dramatischen Ereignis zu erwarten wäre. In der christlichen Überlieferung dagegen blieb die Erinnerung an Neros Christenverfolgung lebendig.

Brandt meint, „Tacitus weiß offenkundig“ noch zur Zeit der Abfassung seiner Annalen (um 110) „sehr wenig über die Christen – ähnlich wie der jüngere Plinius“ (211). Aber Plinius fand sehr viel über das Verhalten der Christen heraus, wie in seinem Brief an Trajan erkennbar ist. Und Tacitus weiß immerhin recht genau, wann und wo diese religiöse Strömung begann, und nennt sie naheliegenderweise nach ihrem Gründer „Chrestiani“.

Dem meist auf ca. 95 datierten 1. Klemensbrief entnimmt Brandt keinen Hinweis auf Neros Christenverfolgung: „Kein eigener Quellenwert kommt dem sogenannten 1. Clemensbrief ‚An die Korinther‘ zu“ (210, Anm.). In seinen (mehr als 5000!) Fußnoten gibt Brandt aber auch abweichende Einschätzungen an, so dass der Leser auf unterschiedliche Meinungen von Althistorikern aufmerksam wird. So verweist Brandt hier auf einen Aufsatz von Tassilo Schmitt (Bremen): „Des Kaisers Inszenierung“ (in: Zeitschrift für Antikes Christentum, 2012). Schmitt zeigt, dass die Angabe im 1. Klemensbrief 6,2 (Christinnen als Danaiden und Dirken) gut zu Neros Neigung passt, Mythen nachspielen zu lassen, also durchaus „Quellenwert“ haben kann.

Fazit: Hartwin Brandt stellt die römische Kaiserzeit (bis 284) in einer beeindruckend umfassenden Zusammenschau dar. Bei seinen Aussagen bezieht er sich jeweils auf historische Quellen und Fachliteratur, so dass seine Überlegungen nachvollzogen – und gegebenenfalls kritisiert – werden können. Bei der Darstellung der Christenverfolgungen im Römischen Reich tendiert Brandt dazu, ihr Ausmaß zu verkleinern. Beim Umgang mit den historischen Quellen präsentiert Brandt mitunter eigenwillige Ideen, die nicht die Einschätzung der Althistoriker insgesamt widerspiegeln (was ich bei einem solchen „Handbuch“ jedoch erwarten würde). Zum Thema „Christenverfolgung in der Antike“ empfehle ich vor allem die detailreiche Darstellung von Wolfram Kinzig (in der Reihe „Wissen“ von C. H. Beck, 2019) über das Vorgehen gegen Christen.


Dr. Franz Graf-Stuhlhofer, BSc, Lehrbeauftragter an der KPH Wien/Krems für Kirchengeschichte und Dogmatik